Apothekertag 1997
Das Arzneimittel darf nicht mehr die Spardose der Nation sein. Bei der
Pharmaindustrie, den Apothekern und auf dem Arzneimittelmarkt kann nicht
noch mehr gespart werden, erklärte Bundesgesundheitsminister Horst
Seehofer auf dem Deutschen Apothekertag in Düsseldorf. Der
Apothekerschaft dankte er ausdrücklich für das Sparopfer, das sie in den
vergangenen Jahren erbracht haben. Den Gesprächspartnern der Berufs- und
Interessenvertretung dankte er für den guten Stil der produktiven, unruhigen
Zusammenarbeit.
Der Minister trat "einem der größten Vor- und Fehlurteile" entgegen, wonach der
Arzneimittelbereich angeblich überteuert sein soll. Die Realität sehe anders aus: Die
Arzneimittelpreise liegen heute unter dem Niveau von 1989. Es sei falsch, daß die
Bundesrepublik im internationalen Vergleich im Preisniveau an der Spitze liege. Bei
Seehofers Amtsantritt 1992 habe der Arzneimittelanteil an den Leistungsausgaben der
gesetzlichen Krankenversicherung 16,3 Prozent ausgemacht, Ende 1996 waren es noch
14,1 Prozent. Der Minister wehrte sich gegen die Vorstellung, daß man aus der
Sparkasse des Arzneimittelmarktes alle anderen Bereiche der sozialen Sicherung
sanieren könne.
Mit Tagesaktionismus könne keine verläßliche Politik gemacht werden. Man brauche
einen geistigen Bauplan, dessen wichtigste Elemente hohes Qualitätsniveau und
wirtschaftliche Leistungserbringung seien. Hier habe der Arzneimittelmarkt einen
wesentlichen Beitrag geleistet. "Wir sind nach wie vor die Apotheke der Welt, und ich
möchte in der Qualität mit keinem anderen System auf dieser Erde tauschen", so
Seehofer. Politische Verantwortung heiße Position beziehen. Für Deutschland bedeute
das: "Wir haben die rechtlichen Rahmenbedingungen so bestimmt, daß Forschung und
Qualität in der Bundesrepublik nicht nur stattfinden können, sondern auch finanziert
werden". Seehofer trete dafür ein, daß die Bundesrepublik in der Arzneimittelforschung
weiterhin Spitze ist und sich auch über die Arzneimittelpreise amortisiert. Deshalb sei es
richtig gewesen, daß der Festbetrag für patentgeschützte Arzneimittel abgeschafft
wurde.
Auch in der wirtschaftlichen Leistungserbringung müsse sich der Arzneimittelmarkt nicht
verstecken. Der Minister schonungslos: So dumm könnten auch nur einige Leute in
Deutschland sein, daß sie fordern, Arzneimittel im Ausland zu kaufen und so die
Arbeitsplätze im Inland kaputt machen. Auf diese Art werde ein Wirtschaftszweig so
stranguliert, daß er schließlich auf staatliche Subventionen angewiesen sei. Offenbar
gerate in Vergessenheit, daß prosperierende Wirtschaftszweige die beste Sozialpolitik
seien.
Das Versandhandelsverbot für apothekenpflichtige Arzneimittel wird nach Seehofers
Ausführungen in der 8. Novelle zum Arzneimittelgesetz verankert. Der Minister werde
den Forderungen der Krankenkassen nach anderen Vertriebswegen für Arzneimittel
nicht nachgeben. Ansonsten werde er eine Diskussion anzetteln, welche Bereiche der
Kassen privatisiert werden könnten.
Seehofer bekräftigte, daß das Arzneimittel in die Apotheke gehört, weil nur hier in der
Person des Apothekers der pharmazeutische Sachverstand vertreten sei. Dieser müsse
eher noch aus- denn abgebaut werden. Der Minister hofft, daß sich diese deutsche
Auffassung von Qualitätssicherung auch in Europa durchsetzen werde. Er werde sich
ach über die 8. AMG-Novelle hinaus dafür einsetzen. In einer Zeit, in der so viel über
Verbraucherschutz diskutiert werde, in der "jede Blutwurst deklariert werden muß",
könne man nicht gleichzeitig die Arzneimittelsicherheit und die Apothekenpflicht
verschreibungspflichtiger Arzneimittel verneinen.
Auch eine Positivliste werde es nicht geben. Die Marktzugangsbedingungen für
Arzneimittel werden nach wie vor vom Arzneimittelgesetz und dem Bundesinstitut für
Arzneimittel und Medizinprodukte bestimmt "und von niemandem sonst".
Bei den Strukturverträgen, die Seehofer grundsätzlich befürwortet, dürfe man nicht nur
die ärztliche Dienstleistung an sich sehen, sondern müsse auch betrachten, welche
Kosten veranlaßt werden. "Denn von fünf Mark fließt nur eine Mark der ärztlichen
Dienstleistung zu und vier Mark den veranlaßten Leistungen". Die Initiative der ABDA,
hier mit den Ärzten in Gesprächskreisen zusammenzuarbeiten, sei begrüßenswert.
Zum geistigen Bauplan gehört nach Seehofer auch die Begründung der Zuzahlungen. Sie
würden nicht verändert, ebenso werde es keine Dreiteilung des Arzneimittelmarktes
werde geben. Auch die "atomare Abschreckung" einer Zuzahlungserhöhung nach
Beitragssatzerhöhung werde nicht kommen.
Der Minister wies darauf hin, daß die Ausgaben in der gesetzlichen
Krankenversicherung aufgrund externer Faktoren, wie zum Beispiel der steigenden
Lebenserwartung und der neuen therapeutischen Möglichkeiten aufgrund der
Gentherapie weiter steigen werden. Da die Leistungen aus Beiträgen, nicht aus
Rücklagen finanziert werden, nähere sich die Gesellschaft einem neuen Finanzengpaß.
Insofern müsse über kurz oder lang auch die Finanzierung der gesetzlichen
Krankenversicherung grundsätzlich überdacht werden.
Der Schalter in den Köpfen der Bevölkerung ist nach Seehofers Einschätzung jedenfalls
umgelegt: Sie habe begriffen, daß das System nur mit mehr Eigenverantwortung des
einzelnen und weniger Staat weiterbestehen kann.
PZ-Artikel von Gisela Stieve, Düsseldorf


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