Apothekertag 1997
Die Entwicklung seit der Hauptversammlung des Apothekertages 1996 setzt
die kontinuierlichen politischen Aktivitäten der ABDA fort. "Wir haben die
Zusage der Politik, daß die Grundlagen der privatwirtschaftlich organisierten
und freiberuflich geprägten Apotheke als der einzigen Institution, die die
Arzneimittelversorgung gewährleistet, nicht in Frage gestellt sind", erklärte
Dr. Johannes Pieck, Sprecher der ABDA-Geschäftsführung in seinem Bericht
vor der Hauptversammlung der deutschen Apotheker. Das Fremd- und
Mehrbesitzverbot stehe politisch nicht zur Disposition, wohl aber weiter in der
Diskussion.
Pieck sprach den Fall des Mindener Apothekers Günter Stange an. Hier müsse das
Landgericht Bielefeld entscheiden, ob es sich bei dem Phänomen der
"Stange-Apotheken" um eine unzulässige Apothekenkette oder um "eine mehr oder
minder enge, freiwillige Kooperation mit anderen selbständigen Apothekern" handelt,
wie Stange formuliert habe. Die Anklage, die nach zweijährigen Ermittlungen und der
Auswertung von 1.200 beschlagnahmten Aktenordnern erhoben wurde und in einer
371 Seiten umfassenden Anklageschrift zusammengefaßt ist, bezeichnete Pieck als
vorläufigen Erfolg der Bundesapothekerkammer (BAK). Der BAK gehe es nicht um
die Person Stange, sondern darum, daß für alle Beteiligten, also auch für die formalen
"Inhaber" der 32 "Filialapotheken", rechtsförmlich festgestellt wird, daß geltendes
Apothekenrecht auch unter dem Vorwand freiwilliger Kooperation Ketten nicht zuläßt.
In dem Beschluß des Bundesrates zur Änderung des Apothekengesetzes sah Pieck den
Versuch, Fremd- und Mehrbesitz in einer Nische der ambulanten Versorgung
einzuführen. Die Arzneimittelversorgung der Bewohner von Pflegeheimen sollte auf der
Grundlage einer nicht praktikablen Unterscheidung zwischen Alten- und Pflegeheimen
Krankenhausapotheken übertragen werden. Dies wäre eine ordnungspolitische
Provokation und nicht hinnehmbar. Auch die Tendenz von Krankenhausträgern, die
Zahl der Krankenhausapotheken zu vermindern und die verbleibenden Apotheken zu
"Profitcentern" auszubauen, erscheine zwielichtig. Das Bundesministerium für
Gesundheit habe diesem Vorschlag des Bundesrates widersprochen. Bereits jetzt
bestehe Konsens, daß die Belieferung von Alten- und Pflegeheimen künftig nur auf der
Basis eines Versorgungsvertrages zu konkretisieren sei. Im Interesse einer orts- und
zeitnahen Versorgung dürften künftig nur dem Heim nahegelegene Apotheken einen
solchen Vertrag abschließen. Die Politik erwarte von der Apothekerschaft keinen
verbalen Paradigmenwechsel, sondern eine Intensivierung der pharmazeutischen
Betreuung der Bewohner in Alten- und Pflegeheimen.
In der Diskussion um den Gesetzentwurf zwischen der ABDA und der
Arbeitsgemeinschaft Deutscher Krankenhausapotheker (ADKA) ist nach Piecks
Worten ein Kompromiß gefunden worden. Nachdem die in den
Krankenhausambulanzen anzuwendenden Arzneimittel aus Krankenhausapotheken
oder krankenhausversorgenden Apotheken stammen, habe sich die ABDA damit
einverstanden erklärt, daß diese Praxis nun auch formalrechtlich sanktioniert wird. An
der strikten Trennung der Zuständigkeiten von Krankenhaus- und Offizinapotheken
werde jedoch festgehalten. "Wir streiten weiter um die Absicht der Politik,
Krankenhäuser zu ermächtigen, bei Entlassung am Wochenende einen angeblichen
Notbedarf für das Wochenende mitzugeben und damit ein Dispensierrecht vierter
Klasse für Krankenhausmitarbeiter zu etablieren." Hinzu komme die Forderung der
ADKA, öffentliche Apotheken von der Krankenhausversorgung auszuschließen. "Wir
können nicht zulassen, daß damit die Kompetenz der öffentlichen Apotheken in Zweifel
gezogen und ihnen diese Kompetenz genommen wird", stellte Pieck fest.
Freiberuflichkeit: Signale aus Karlsruhe
Das Selbstverständnis der Mehrheit der Apotheker, einen Heilberuf auszuüben, und
nicht bloß "Arzneimittelkaufmann" zu sein, gelte auch weiterhin. Nach dem Beschluß des
Bundesverfassungsgerichts vom 22. Mai 1996 zu den standesrechtlichen
Werbebeschränkungen und den in der Folgezeit ergangenen weiteren Beschlüssen zu
diesem Komplex bestand durchaus die Gefahr, daß ein übertriebenes wettbewerbliches
Gebaren Platz greift. Insgesamt jedoch habe sich das Werbegebaren der Apotheker
nicht zu einem neuen standespolitischen Problem entwickelt. Die erforderliche
Neufassung der Berufsordnungen sei von den Apothekerkammern weitgehend
abgeschlossen.
Die Heilberuflichkeit des Apothekers ist die einzige politische Anspruchsgrundlage, die
es gegenüber dem Gesetzgeber und der Öffentlichkeit für ein Verbot von Fremd- und
Mehrbesitz, für eine Apothekenpflicht und für eine Arzneimittelpreisverordnung gebe, so
Pieck unter Beifall. "Ich kann nur davor warnen, den Apotheker aus der Heil- und
Freiberuflichkeit lösen zu wollen". Wer den Apotheker zum Kaufmann machen will,
werde kurzfristig auch von der Politik so behandelt. Wenn die Apothekenpflicht und die
Arzneimittelpreisverordnung fallen, würden auch betriebswirtschaftliche Überlegungen
akademischen Ursprungs nichts helfen.
Es bleibt abzuwarten, in welchem Maße der Versuch, dem Kunden ein
Arzneimittelsortiment für gesundes Leben und zugleich für alle Mißbefindlichkeiten
anzubieten, vom Publikum angenommen wird, so Pieck zu Bestrebungen von Aldi,
künftig auch Arzneimittel direkt aus dem Transportkarton anzubieten. Die ABDA werde
dagegen halten. Mit der Marketinggesellschaft Deutscher Apotheker (MGDA) würden
die Apotheker nicht nur PR-mäßig, sondern auch auf dem Markt der freiverkäuflichen
Arzneimittel stärker präsent sein.
Pieck mahnte an, daß immer wieder, trotz zahlreicher Abmahnungen - zur Zeit seien
etwa 30 Verfahren anhängig - grob fahrlässig oder vorsätzlich gegen Recht und Gesetz
verstoßen wird, indem Mitglieder mit Rezepten über Hilfsmittel an einen namentlich
genannten Lieferanten verwiesen werden oder eine bestimmte Lieferantengruppe als
preiswürdig oder preiswürdiger hingestellt werde. Pieck versicherte, "daß wir auch in
Zukunft jedem uns bekanntgewordenen Fall mit adäquaten rechtlichen Mitteln begegnen
werden".
Was der deutschen Ärzteschaft bei den Vitalshops selbstregulierend gelungen ist, will
sie offenbar im Bereich der Ärztemuster nicht regulieren, sagte Pieck. Für die extreme
Zunahme der illegalen Abgabe von Ärztemustern durch die Pharmaindustrie an
niedergelassene Ärzte sowie durch Ärzte an Patienten sei die Pharmaindustrie ursächlich
und verantwortlich. Was sie nicht liefere, könnten Ärzte auch nicht abgeben.
Die ABDA habe immer wieder eine Verschärfung der Bestimmungen über die Abgabe
von Ärztemustern an Arztpraxen gefordert. "Vielleicht zu lange haben wir gezögert, die
aufsichtsbehördliche Kontrolle der Arzneimittelvorräte in den Arztpraxen zu fordern."
Versandhandel: Verbale Volksbeglückung
Entschieden geht nach Piecks Worten die ABDA gegen Versuche interessierter Kreise
vor, den Versand von Arzneimitteln als ein dringendes gesundheitspolitisches und
finanzielles Anliegen erster Ordnung auszugeben. Die ABDA begrüßt daher den
Referentenentwurf zur 8. AMG-Novelle, der den Arzneimittelversand verbieten will.
Weil deutsche Gesetze jedoch nur in Deutschland und nicht in Großbritannien und der
weiten Welt des Internet gelten, würden die Gespräche im Ministerium fortgesetzt
werden.
Beratung: unverzichtbar und vertraulich
Zu dem Generalthema verstärkter pharmazeutischer Kompetenz in der Apotheke zählt
auch die Vorschrift der Apothekenbetriebsordnung (§ 4 Abs. 2 Satz 2), wonach die
Offizin so eingerichtet sein muß, daß die Vertraulichkeit der Beratung gewahrt werden
kann. Diese Verpflichtung, 1994 in die Apothekenbetriebsordnung aufgenommen, wird
nach Ablauf einer Übergangsfrist am 1. Januar 1999 für alle Apotheken verbindlich,
erinnerte Pieck. Die Umsetzung dieser Verpflichtung enthalte angesichts schrumpfender
wirtschaftlicher Ressourcen politischen Sprengstoff, zugleich stehe aber nach Auffassung
des Bundesgesundheitsministeriums die Glaubwürdigkeit des Apothekers auf dem
Prüfstand.
Arzneimittelpreisverordnung: Sicherung und Verunsicherung
Pieck sprach auch die zwischen den Spitzenverbänden der gesetzlichen
Krankenversicherung, dem Bundesverband des pharmazeutischen Großhandels und
dem Deutsche Apothekerverband gefundene "Gemeinsame Erklärung zur Änderung der
Arzneimittelpreisverordnung" an, die der Bundeswirtschaftsminister in einem Gespräch
mit Repräsentanten der ABDA als "plausibel, elegant und vernünftig" bezeichnet hat.
Daß dieser Konsens noch keine Garantie für geordnete Beziehungen zu den
Krankenkassen ist, belege die Kündigung der "Hilfstaxe", die zum 30. September 1997
erfolgt ist. Hier zeige sich im Schatten der Einigung über eine zu novellierende
Arzneimittelpreisverordnung ein Stück Irrationalität.
Die Kündigung der Hilfstaxe ist nach Piecks Auffassung eine Gefahr für die
Glaubwürdigkeit der Arzneimittelpreisverordnung. Teile der Pharmaindustrie in
Deutschland hätten auf den Abschluß von Vertriebsbindungsverträgen verzichtet.
Zugleich werde Krankenhausware in erheblichem Umfang nicht mehr als solche
gekennzeichnet, man dulde oder fordere sogar, daß diese Ware in den Offizinbereich
diffundiert, berichtete Pieck.
"Wir fordern die Firmen der Pharmaindustrie mit allem Nachdruck auf, dort, wo noch
nicht geschehen, Vertriebsbindungsverträge abzuschließen oder so zu ergänzen, daß sie
ihren Namen verdienen." Die ABDA fordert weiter, daß Krankenhausware von
Herstellerfirmen als solche gekennzeichnet wird und damit das Verschwinden dieser
Ware in einen anderen Vertriebsbereich faktisch unmöglich wird.
PZ-Artikel von Gisela Stieve, Düsseldorf


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