Apothekertag 1997
In der Beurteilung der gesundheitspolitischen Lage scheinen sich
Apotheker, Großhandel und Industrie weitgehend einig zu sein. Auf der
Eröffnungsveranstaltung zur Expopharm lehnten Vertreter der
Industrieverbände und des Pharmagroßhandels einhellig die Bonusverträge
zwischen Ärzten und Krankenkassen ab, die gemeinsame Erklärung zur
Arzneimittelpreisverordnung wurde dagegen von allen begrüßt. Gute
Voraussetzungen also für eine dringend notwendige engere Zusammenarbeit.
Im Gegensatz zu den vergangenen Jahren wurde die Messe nicht von einem Vertreter
des Bundeswirtschaftsministeriums eröffnet, sondern vom DAV-Vorsitzenden Hermann
S. Keller persönlich. Wie aus den Grußworten der anwesenden Marktpartner
hervorging, sind sich Apotheker, Großhandel und der großen Industrieverbänder in der
Beurteilung der aktuellen politischen Lage weitgehend einig.
Das große Engagement der Selbstmedikationsanbieter nahm der Vorsitzende des
Deutschen Apothekerverbandes mit großer Genugtuung zur Kenntnis. Der DAV sei
daran interessiert, weiterhin gemeinsam aktiv die Zukunft zu gestalten, sagte Keller auf
der Eröffnungsveranstaltung zur Expopharm 1997 im Düsseldorfer Congress Centrum
Süd.
Als ausgewogen und angemessen bezeichnete auch der Vorsitzende des Deutschen
Apotheker Verbandes (DAV), Hermann S. Keller die gemeinsame Erklärung von
Krankenkassen, Großhandel und Apothekern. Mit dem Konsensvorschlag, der eine
Kappung der Preisspanne bei teuren Arzneimitteln vorsieht, werde die jahrelange,
unsägliche Diskussion über Vertriebsmargen im hochpreisigen Bereich beendet,
konstatierte Keller.
Bei dem erreichten Kompromiß gebe es weder Sieger noch Besiegte, dafür bestehe
jetzt endlich wieder Planungssicherheit und Verläßlichkeit. Der DAV-Vorsitzende
rechnet damit, daß die Regierung die Änderung der Arzneimittelpreisverordnung noch in
diesem Jahr verabschieden werde.
Die Vereinbarung ist nach Kellers Auffassung ein gutes Lehrstück für eine engere
Zusammenarbeit von Kassen, Industrie und Apothekern. Krankenkassen und die
Industrie sollten den Sachverstand der Apotheker in Zukunft noch stärker nutzen,
forderte der DAV-Vorsitzende. Denn bislang werde die apothekerliche Kompetenz
nicht ausreichend von den Marktpartnern genutzt. Keller: "Die Apotheker können mehr
als sie dürfen." Industrie und Apotheker seien verpflichtet, im Interesse der Patienten
gemeinsame Wege zu gehen.
Mit Sorge blickt Keller auf die finanzielle Situation der Gesetzlichen
Krankenversicherung (GKV), denn diese habe auf der Einnahmenseite ein großes
Problem. Die hohe Arbeitslosigkeit und sinkende Realeinkommen lassen immer weniger
Geld in die Kassen der Kassen fließen. Als Folge zeichne sich für 1997 bereits ein
deutliches Defizit ab, obwohl die Leistungsausgaben rückläufig seien, führte der
DAV-Vorsitzende aus. Weitere Sparmaßnahmen seien deshalb unausweichlich.
Keller warnte davor, das Defizit durch eine pauschale Begrenzung der
Leistungsausgaben bekämpfen zu wollen: "Sparen heißt nicht, mit dem Rasenmäher alles
niederzumachen, was Ausgaben verursacht und Geld kostet, schon gar nicht, wenn es
um Gesundheit geht." Die Reduktion der Ausgaben in einzelnen Bereichen könne
durchaus zu einer Steigerung der Gesamtausgaben führen. Sinnvolles Sparen bedeute
deshalb "Kostenmanagement mit Köpfchen".
Das größte Sparpotential sieht Keller bei den Krankenhäusern. Mit einem Anteil von
mehr als 30 Prozent der Gesamtausgaben ist der Klinikbereich der größte Kostenblock
in der Gesetzlichen Krankenversicherung. Ziel müsse es deshalb sein, so wenig
Patienten wie möglich im Krankenhaus zu behandeln. Außerdem solle die
durchschnittliche Dauer von Krankenhausaufenthalten gesenkt werden.
Keine weiteren Einsparmöglichkeiten bestünden dagegen im Arzneimittelbereich, sagte
Keller weiter. Der Anteil der Medikamentenkosten an den GKV-Ausgaben ist seit
Jahren rückläufig. Der Trend hält auch 1997 an: In diesem Jahr werden die
Krankenkassen weniger für Arzneimittel ausgeben als 1992, prognostizierte der
DAV-Vorsitzende. Keller: "Wenn alle anderen Ausgabenbereiche ebenfalls auf dem
Niveau wären, dann hätte die GKV bis weit über die Jahrtausendwende keine
Finanzierungsprobleme."
Durch den Trend zur Selbstmedikation werde der Apotheker als Berater immer
wichtiger, so Keller weiter. In Zukunft werde sich der Apotheker deshalb noch stärker
als Dienstleister verstehen müssen. Der Schlüssel zum Erfolg heiße Kundenorientierung.
Durch ihre fundierte Ausbildung seien Apotheker als Berater rund um das Arzneimitel
konkurrenzlos, "alldieweil andere Abgabestellen von freiverkäuflichen Arzneimitteln
diese Kompetenz nicht haben und auch nicht im Wochenendkurs erlernen können".
Einstimmige Ablehnung der Bonusregelung
Die Hauptgeschäftsführerin des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller (VFA),
Cornelia Yzer, zeigte sich bei der Eröffnungsveranstaltung erleichtert über die Wendung
der Diskussion um die Modifizierung der Arzneimittelpreisverordnung. Die jetzt
diskutierten Vorschläge würden die Problematik um hochpreisige, innovative
Arzneimittel entschärfen. Angesichts knapper Ressourcen im Gesundheitswesen sei
aber zu befürchten, daß die Kosten der Vertriebswege sehr schnell wieder zum
Diskussionsgegenstand werden könnten. Deshalb sei es wichtig, daß die Apotheker im
engen Dialog mit den Arzneimittelherstellern blieben.
Yzer sprach sich gegen die Arzneimittelversorgung von Pflegeheimen durch
Krankenhausapotheken aus. Änderungen im Sinne des Bundesrates würden
voraussichtlich zu einer erheblichen Steigerung der Kosten der Arzneimittelversorgung
im Krankenhaus führen.
Die Hauptgeschäftsführerin des VFA wies außerdem darauf hin, daß aufgrund der
angespannten Finanzsituation die Grenzen für die weitere Entwicklung der
Arzneimittelumsätze eng gesteckt seien. Gemeinsames Ziel der Beteiligten im
Arzneimittelbereich müsse es aber sein, die Finanzierbarkeit des therapeutischen
Fortschritts in der gesetzlichen Krankenversicherung zu sichern.
Angesichts der Diskussion um neue Versorgungsformen wies Yzer darauf hin, daß ein
integriertes Kosten- und Qualitätsmanagement die reine Kostenmanagement-Diskussion
ablösen müsse.
Die Bonus-Verträge, die Krankenkassen und Kassenärzten in Berlin, Brandenburg und
Hessen abgeschlossen haben, würden nicht zu Einsparungen, sondern zu einer
bedenklichen Umverteilung der verfügbaren Mittel im Gesundheitswesen führen. Die
Vertragspartner hatten vereinbart, daß diejenigen Ärzte einen finanziellen Bonus
erhalten, die nur zurückhaltend Arzneimittel verordnen.
Zuvor hatte auch Keller bereits heftige Kritik an der Bonusregelung geübt. Ärzte kämen
durch diese Vereinbarung zwangsläufig in einen Interessenskonflikt. Keller:
"Bonusvertrag heißt im Klartext, daß es der Arzt seinem Geldbeutelmit
Minderverordnungen auf Kosten seines Patienten besser gehen lassen kann."
Auch Peter Dewein, Geschäftsführer Wirtschafts-, Gesundheits- und Sozialpolitik des
Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI), sprach sich gegen diese
Bonus-Verträge aus. Hier werde die Ökonomie über die Ethik gestellt, sagte er. Lothar
Jenne, Vorsitzender des Bundesverbandes des pharmazeutischen Großhandesl,
bezeichnete die Bonusregelungen als unmoralisch, weil sie den Arzt vor die Alternative
"Einkommenssicherung oder Therapieoptimierung" stelle.
Dennoch prognostizierte Jenne, daß Apotheker auch in Zukunft keine Existenzsorgen
haben müßten, da die Bedeutung des Arzneimittels seiner Meinung nach in Zukunft noch
erheblich wachse. Angesichts der Tatsache, daß bisher erst ein Drittel aller bekannten
Krankheiten behandelt werden könne und angesichts der Perspektiven der
Gentechnologie für die Entwicklung neuer Arzneimittel, gelange man zu dem Schluß,
daß das bisherige Potential an wirksamen Arzneimitteln nur ein erster Schritt war.
Johannes Burges, Vorsitzender des Bundesfachverbandes der Arzneimittelhersteller,
äußerte sich besorgt darüber, daß immer mehr Lebensmittelhersteller mit
gesundheitlichen Aussagen werben. Es könne nicht angehen, daß Produkte, die keiner
Zulassung bedürfen, sich in ihrem Anspruch wie ein Arzneimittel darstellen. Auch dieses
Problem stelle - wie die Restriktionen im Bereich der GKV - eine Herausforderung für
die Arzneimittelhersteller und die Apotheker dar.
PZ-Artikel von Monika Noll und Daniel Rücker, Düsseldorf


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