AOK übernimmt Mehrkosten bei Fiebersäften für Kinder |
Melanie Höhn |
08.12.2022 13:30 Uhr |
Mehrkosten entstehen den Versicherten dann, wenn der Preis der abgegebenen Präparate über dem Festbetrag liegt, der von den Kassen erstattet wird. / Foto: Adobe Stock/detailblick-foto
Bereits seit Monaten hält der Lieferengpass bei den flüssigen Arzneimitteln für Kinder mit den Wirkstoffen Ibuprofen und Paracetamol an. Die elf AOKs haben deshalb nun beschlossen, bei Ibuprofen- und Paracetamol-haltigen Fiebersäften für Kinder ab sofort anfallende Mehrkosten, die sogenannten Aufzahlungen, zu übernehmen. Darüber informierte der AOK-Bundesverband heute in einer Pressemeldung. Die Ausnahmeregelung soll zunächst für die laufende Erkältungssaison bis Ende März 2023 gelten.
Mehrkosten entstehen den Versicherten dann, wenn der Preis der abgegebenen Präparate über dem Festbetrag liegt, der von den Kassen erstattet wird. Ab Januar wird zumindest der Festbetrag für Paracetamol erhöht. Hersteller erhalten dann für Paracetamol-Suspensionen 7 Cent mehr. Dies sei jedoch nicht genug, um die Lage zu entspannen, mahnte der Verband Pro Generika.
Weil die Produktion nicht mehr wirtschaftlich ist, steigen bei Fiebersäften mit dem Wirkstoff Paracetamol immer mehr Hersteller aus der Produktion aus, informierte Pro Generika. Seit Mai 2022 versorgt Teva allein mehr als 90 Prozent des Marktes – und hat dabei mit explodierenden Kosten zu kämpfen: Allein der Preis für den Wirkstoff Paracetamol sei um 70 Prozent gestiegen. Um wirtschaftlich produzieren zu können, hat Teva den Preis über den Festbetrag erhöht, sodass Eltern zuzahlen müssen. Der Paracetamol-Saft Ben-u-ron, der über dem Festbetrag liegt, hat Marktanteile von 10 Prozent. Der Festbetrag für Ibuprofen-Fiebersaft – derzeit ebenfalls knapp – wurde jedoch nicht erhöht.
»Wir wollen in der angespannten Situation für etwas Entlastung sorgen«, sagte Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes. Das zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) habe zwar bislang keinen »Lieferabriss« bei Fiebersäften für Kinder festgestellt, gleichwohl werde auf bestehende regionale Versorgungsengpässe und die eingeschränkte Verfügbarkeit der Präparate hingewiesen. »Diese Knappheit verunsichert derzeit viele Eltern mit erkrankten Kindern. Wir möchten unterstützen, indem wir die Mehrkosten, soweit sie anfallen, für unsere Versicherten übernehmen«, erklärte Reimann.
Angesichts der zunehmenden Lieferengpässe mahnt die Verbandschefin effektive Maßnahmen für mehr Versorgungssicherheit im Arzneimittelbereich an. Hierzu habe die AOK-Gemeinschaft bereits vor zwei Jahren Vorschläge gemacht: »Auch in Deutschland muss es endlich ein Frühwarnsystem mit verpflichtenden Meldungen der Hersteller zu Lieferschwierigkeiten geben, wie es bereits in anderen Ländern umgesetzt wird. Außerdem sollten Bevorratung und Lagerhaltung bei Großhandel sowie pharmazeutischen Unternehmen ausgebaut werden. Bevor reflexartig an der Preisschraube zu Lasten der Beitragszahlenden gedreht wird, müssen diese Maßnahmen in der angekündigten Gesetzgebung erst einmal umgesetzt werden«, fordert Reimann.
Auch bei der Bundespressekonferenz Anfang dieser Woche waren die Lieferschwierigkeiten bei Fiebersäften für Kinder ein Thema. Eine BMG-Sprecherin bestätigte, dass es derzeit Lieferengpässe gebe – »aber keine Versorgungsengpässe«. Noch vor Weihnachten sollen jedoch Eckpunkte vorgestellt werden, um die Engpässe »weitestgehend zu beseitigen«, so die Sprecherin.
Bezüglich der Kinder-Fiebersäfte sagte sie konkret: »Wir haben dazu aber Werkzeuge; es ist zum Beispiel möglich, dass Arzneimittel importiert werden.« Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) habe auch angekündigt, dass das Vergaberecht geändert werden soll.
Neben Fiebersäften sind auch Antibiotika-Säfte von massiven Lieferausfällen betroffen. Aus Sicht des Herstellers Infectopharm könnte sich die Lage im kommenden Winter sogar noch weiter verschärfen. Infectopharm sieht sich gezwungen, die Preise für seine Antibiotika-Säfte für Kinder über den Festbetrag zu erhöhen, der von den Kassen erstattet wird.
Als Alternative können Apotheken eine individuelle Rezeptur für Fiebersäfte herstellen. Die Fertigung von individuellen Rezepturarzneimitteln soll laut BfArM jedoch »ausschließlich im Einzelfall« zur Anwendung kommen, »wenn der Krankheitszustand des Kindes eine Behandlung mit den in Rede stehenden Wirkstoffen erfordert«. Über die weiteren Voraussetzungen einer Rezepturherstellung hatte die PZ bereits berichtet.
Die Übernahme der Kosten für die Rezepturherstellung wird bei den einzelnen Krankenkassen unterschiedlich gehandhabt. Laut einer Mitteilung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) wolle der GKV-Spitzenverband die Krankenkassen informieren und »dringend empfehlen, dass während der eingeschränkten Verfügbarkeit den Apotheken die Rezepturen von den Krankenkassen erstattet werden«.
Auf Nachfrage der PZ gilt für Versicherte der Techniker Krankenkasse bereits seit Ende August, dass die anfallenden Mehrkosten für Eltern übernommen werden, wenn die Kosten für Paracetamol- und Ibuprofen-haltige Fiebersäfte über dem Festbetrag liegen, sagte eine Sprecherin. Sollten alternative Fertigarzneimittel nicht zur Verfügung stehen, übernimmt die Kasse die Kosten für die Rezepturherstellung auf ärztliche Verschreibung sowie die Kosten für Einzelimporte aus dem Ausland ohne vorherige Bewilligung. Auch die Barmer übernimmt auf Nachfrage der PZ die Mehrkosten für Paracetamol- oder Ibuprofen-haltige Fiebersäfte für Kinder. Die Apotheke könne die Mehrkosten direkt über das Kassenrezept mit der Kasse abrechnen. »Falls die Apotheke dennoch den Eltern die Mehrkosten in Rechnung stellen sollte, können sie die Rechnung bei der Barmer zur Erstattung einreichen«, erklärte ein Sprecher. Die Kasse übernimmt auch die Kosten von Paracetamol- oder Ibuprofen-haltigen Rezepturarzneimitteln, wenn alternative Fertigarzneimittel nicht zur Verfügung stehen, wie sie der PZ auf Nachfrage im September bestätigte. Ähnliches gelte laut Barmer-Sprecher für Einzelimporte aus dem Ausland.