AOK sieht keinen Grund zur Sorge |
Aktuell häufen sich Meldungen zu Lieferengpässen. Laut einer Analyse der AOK ist das Problem allerdings überschaubar. / © Adobe Stock/Anke Thomass
Laut dem Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO) gibt es derzeit keine Hinweise darauf, dass Versorgungsengpässe oder Lieferschwierigkeiten bei Arzneimitteln drohen, wie zuletzt zahlreiche Medien berichteten. Von den insgesamt mehr als 63.000 verschiedenen Arzneimitteln, die im Jahr 2023 auf dem Markt erhältlich waren und zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet wurden, sind nach aktueller WIdO-Auswertung derzeit lediglich 735 beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) von den pharmazeutischen Herstellern als nicht lieferfähig gemeldet. Ob die Hersteller dazu Angaben machen, ist allerdings nicht vorgeschrieben, sondern beruht auf einer Selbstverpflichtung.
Laut der Auswertung waren Anfang Oktober 2024 98,8 Prozent aller Medikamente verfügbar. Zudem ist nach Einschätzung des Instituts selbst bei Lieferengpässen nicht automatisch die Versorgungssicherheit mit Arzneimitteln beeinträchtigt: Für die aktuell als lieferunfähig gelisteten Arzneimittel sind nach Angaben der AOK in der Regel wirkstoffgleiche Alternativen verfügbar. Die Versorgungssicherheit in Deutschland sei nicht gefährdet, heißt es demnach.
Auch in Rabattverträgen sieht das Institut kein Problem. Im Gegenteil: »Insbesondere Arzneimittelrabattverträge tragen zu einer hohen Versorgungssicherheit bei und senken die Arzneimittelkosten«, so die Einschätzung des WIdO-Geschäftsführers Helmut Schröder.
Grundlage der WIdO-Analyse sind die beim BfArM angezeigten Lieferunfähigkeiten, die von Pharmaherstellern aber eben nur freiwillig gemeldet werden. Dies zeige eine Verfügbarkeitsquote aller Produkte von 98,8 Prozent. Daneben sieht die Analyse auch hinsichtlich der Verordnungsabdeckung keine Schwierigkeiten: 99,9 Prozent der im Jahr 2023 verordneten Arzneimittel seien derzeit verfügbar oder könnten im Falle der Lieferunfähigkeit durch identische Alternativ-Produkte oder Arzneimittel anderer Hersteller, die hinsichtlich Reichweite und Darreichungsform ähnlich sind, in der Versorgung ersetzt werden.
Helmut Schröder betont: »Lieferengpässe sind keine Versorgungsengpässe. Im Fall von temporären Lieferschwierigkeiten stehen in der Regel in der ambulanten Versorgung genügend Alternativen anderer Hersteller zur Verfügung.«
Um die immer wieder gemeldeten Engpässe empirisch besser überprüfen zu können, fordert das WIdO eine verpflichtende Meldung von Lieferengpässen – vom Hersteller über den Großhandel bis zur Apotheke. Schröder: »Es ist nicht einzusehen, dass wir heute den Weg unserer Paketsendungen online mitverfolgen können, dies aber bei der ungleich wichtigeren Arzneimittelversorgung in Deutschland nicht schaffen.«
Weitreichende Transparenz biete etwa die verpflichtende Auskunft darüber, welche Arzneimittel von welchen Herstellern im deutschen Arzneimittelmarkt erwartet werden, welche Arzneimittel wann geliefert werden und welche Mengen vorrätig sind.
Gleichzeitig sollten Großhändler wie auch Apotheken die von ihnen vorgehaltenen Arzneimittel transparent machen, damit auch flexibel auf regionale Lieferengpässe reagiert werden könne. »Hierzu müsste der Gesetzgeber eine verpflichtende Dokumentation der Lieferunfähigkeiten auf den verschiedenen Stufen beauftragen. Damit könnte möglichen Lieferunfähigkeiten vorbeugend begegnet werden,« fordert Schröder.
Auch die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Carola Reimann, sieht keinen Anlass zur Sorge: »Wir alle erinnern uns noch an Herbst und Winter 2022, als Fiebersäfte für Kinder knapp wurden und punktuell auch andere gängige Medikamente von Lieferengpässen betroffen waren. Heute, im Herbst 2024, häufen sich wieder die Meldungen zu Lieferschwierigkeiten und Versorgungsengpässen. Zwar ist die Emotionalität bei diesem Thema teilweise verständlich, sie entspricht aber nicht der aktuellen Datenlage.«
Über fehlende Arzneimittel wurde in den vergangenen Wochen oft debattiert. Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sah kein größeres Problem und erklärte im September gegenüber der »Bild«, dass es in der Bundesrepublik »keine Versorgungsknappheit« gebe, sondern lediglich »punktuelle Lieferengpässe in einem sehr komplexen Markt«.
ABDA-Vizepräsident Mathias Arnold wollte dieses Argument nicht gelten lassen und erklärte im Gespräch mit der PZ: »Auch ein punktueller Lieferengpass ist ein Problem für die, die davon betroffen sind. Ein fehlendes Medikament ist immer eine Belastung für die Patienten und die Apotheken. Jedes Problem sieht aus der Adlerperspektive klein aus«, so Arnold.
Lauterbachs Aussagen wurden auch vom »Aktionsbündnis Patientenversorgung« kritisiert. In einer Stellungnahme hieß es: »Die Lieferengpässe von Arzneimitteln sind eine bittere Realität in der täglichen Versorgung unserer Patienten. Die andauernden Beschwichtigungen aus dem Bundesgesundheitsministerium und auch von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach selber zeigen, wie fernab von der Versorgungswirklichkeit dort Gesundheitspolitik betrieben wird.«