AOK setzt in Rabattverträgen auch auf Nachhaltigkeit |
Die AOK hat Rabattverträge für 114 Wirkstoffe oder Wirkstoffkombinationen ausgeschrieben. Lediglich bei 15 davon spielt bei der Vergabe auch der Umweltschutz eine Rolle. / Foto: Adobe Stock/VERSUSstudio
Wie die AOK am 25. Juli mitteilte, umfasst die neue Arzneimittel-Ausschreibung 114 Wirkstoffe oder Wirkstoffkombinationen mit einem Umsatzvolumen von jährlich rund 2,7 Milliarden Euro. Die 15 enthaltenen antibiotischen Wirkstoffe schreibt die Kasse demnach erneut mit einem Bonuskriterium für Nachhaltigkeit in der Produktion aus.
Nachhaltigkeit ist laut AOK bereits seit 2020 ein Kriterium in den Arzneimittelrabattverträgen der Kasse. Wie die PZ berichtete, schrieb die AOK im September 2020 unter dem Namen »AOK Z1« fünf antibiotische Wirkstoffe aus. Laufzeit der Verträge war von Juni 2021 bis Ende Mai 2023. Bei der Ausschreibung bezog die AOK Baden-Württemberg auch Umweltkriterien mit ein. Die Anbieter mussten unter anderem nachweisen, dass sie bei Abwässern bestimmte Grenzwerte einhalten, zudem mussten sie Kontrollen vor Ort erlauben. Weitere Zuschlagskriterien waren die Länge der Lieferkette und die Einhaltung örtlicher Arbeitsschutz-Vorgaben. Für die Zuschlagskriterien musste sich die Kasse vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf verantworten. Das Gericht untersagte in zweiter Instanz die Anwendung eines qualitativen Zuschlagskriteriums für robuste Lieferketten.
Die Einhaltung der Vorgaben überprüften Expertinnen und Experten des Instituts für Wasserforschung (IWW). Das Umweltbundesamt (UBA) begleitete die Ausschreibung wissenschaftlich. Wie die PZ berichtete, untersuchten Experten die Gewässer rund um Antibiotika-Fabriken in Indien, Spanien und Italien. Dabei wurden teilweise extrem hohe Kontaminationen gemessen. So war an drei der acht überprüften Standorten das Abwasser teilweise extrem stark verseucht, an einem Standort auch ein angrenzendes Gewässer.
Laut der AOK zeigen die Ergebnisse der ersten Ausschreibungsrunden einen deutlichen Handlungsbedarf. Teilweise stellten die Experten demnach fest, dass der festgelegte Schwellenwert im gereinigten Produktionsabwasser um bis zu 11.000 Prozent überschritten wurde. Auch in der angrenzenden und von den Produktionsanlagen beeinflussten Umwelt seien zum Teil hohe Konzentrationen gemessen worden.
Aus Sicht der AOK habe die Pilotstudie von AOK, IWW und UBA aber auch positive Effekte gezeigt. So seien Produktionsanlagen angepasst, Abwasseraufbereitungen vergrößert und Lagerungen optimiert worden. Insgesamt ist nach AOK-Angaben die Sensibilisierung mit dem Thema deutlich gestiegen. Laut Johannes Bauernfeind, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg, sind die Vorgabe und Kontrolle von Konzentrationen im Produktionsabwässern »ein wirkungsvolles Instrument, um Umweltverschmutzung und Potentiale für Entstehung resistenter Keime einzudämmen«. Er fordert politische Maßnahmen auf europäischer Ebene, da das Problem über die Reichweite der Gestaltung von Arzneimittelrabattverträgen hinausgehe.
Auch andere Kassen haben das Thema Nachhaltigkeit für sich entdeckt. So berücksichtigte der Kassendienstleister GWQ ServicePlus nach eigenen Angaben bei einer Ausschreibung Nachhaltigkeitskriterien. Anfang April wurden insgesamt acht Lose ausgeschrieben, 35 Betriebs- und Innungskrankenkassen beteiligten sich.
Die Ausschreibung ist nach Angaben der AOK die erste, die den neuen Vorgaben des Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetzes (ALBVVG) Rechnung trägt. Das Ende Juli 2023 in Kraft getretene Gesetz schreibt unter anderem eine stärkere Bevorratung mit einer Versorgungsreserve von 6 Monaten vor. Außerdem muss bei Rabattvertragsausschreibungen für patentfreie Antibiotika ein Los auch die europäische Produktion berücksichtigen. Bauernfeind ist allerdings skeptisch, ob diese Regelung aus dem ALBVVG zu einer Verbesserung der Versorgung führt. Eine Diversifizierung der Lieferketten sei zwar ein sinnvolles Anliegen. Das globale Problem der Lieferengpässe allerdings im nationalen Sozialrecht lösen zu wollen, reiche nicht aus. »Es braucht konsequente Lösungen auf europäischer Ebene«, fordert der Vorstandschef.