AOK Bayern darf Verwürfe nicht retaxieren |
Ev Tebroke |
24.02.2023 10:30 Uhr |
Das Bundessozialgericht in Kassel hat die Zytostatika herstellenden Apotheken gestärkt und das Retax-Gebaren der AOK Bayern bei Verwürfen als unlauter eingestuft. / Foto: imago/Klaus Martin Höfer
Kassen müssen sich an die geltenden Verträge zur Preisbildung und Erstattung von Arzneimitteln halten, die die Spitzenverbände von Krankenkassen und Apothekerschaft geschlossen haben. Sie können diese nicht verweigern, weil sie die Abrechnungsregeln für unwirtschaftlich halten. Dies lässt sich aus einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) gegen die AOK Bayern ablesen (B 3 KR 7/21 R). Die Urteilsgründe stehen zwar noch aus. Der Tenor geht aber aus dem Terminbericht des BSG hervor.
Konkret ging es um Vergütungen für nicht weiterverwendbare Arzneimittelreste, die bei der Herstellung von Zytostatika-Zubereitungen für ambulante Chemotherapien entstehen. Die AOK Bayern hatte einer Apothekerin aus Bayern die Erstattung dieser sogenannten Verwürfe verweigert und sich dabei auf den Wirtschaftlichkeitsgrundsatz berufen.
Die Vergütungsregeln zu Verwürfen von Zytostatika-Zubereitungen (parenterale Lösungen) sind in der sogenannten Hilfstaxe in Anlage 3 festgelegt. Dieses Vertragswerk zwischen dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und dem Deutschen Apothekerverband DAV regelt die Preisbildung für Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen. Aus Sicht der AOK Bayern hätten die Vertragspartner mit der Festlegung der Abrechnungsfähigkeit in der Hilfstaxe ihre Kompetenzen überschritten, weil sie mit den getroffenen Regelungen erheblich unwirtschaftliches Abrechnen der Apotheken ermöglichten, heißt es in dem Terminbericht. Laut Hilfstaxe ist die ungenutzte Teilmenge einer von der abrechnenden Apotheke selbst hergestellten zytostatikahaltigen Arzneimittelzubereitung aber als unvermeidbarer Verwurf abrechnungsfähig, sofern entweder im Einzelnen angeführte wirkstoffbezogene Vorgaben eingehalten sind oder - für dort nicht aufgeführte Stoffe - die Teilmenge »nachweislich nicht innerhalb von 24 Stunden in einer weiteren Rezeptur verwendet werden konnte«.
Der Streit reicht zurück bis ins Jahr 2012. Die Kasse hatte der besagten Apothekerin die Erstattung von Verwürfen verweigert. Letztere hatte dagegen erfolgreich geklagt. Das Sozialgericht Nürnberg hatte die AOK in erster Instanz am 9. Juli 2021 zur Zahlung von 828,50 Euro nebst Zinsen bezüglich der zuletzt noch streitigen Arzneimittelzubereitungen aufgrund von 13 Verordnungen verurteilt (S 21 KR 402/14). Gleichzeitig ließ es die Sprungrevision zum BSG zu. In der Revision rügte die AOK dann die in der Hilfstaxe vereinbarten Verwurfsregelungen als nicht mit dem Wirtschaftlichkeitsgrundsatz vereinbar.
Das BSG hält diese Argumentation für ungerechtfertigt und hat die Entscheidung des Sozialgerichts bestätigt. Dieses sei »zutreffend davon ausgegangen, dass ungenutzte Teilmengen zytostatikahaltiger Arzneimittelzubereitungen als so genannter Verwurf gesondert zu vergüten sind, wenn diese nicht innerhalb von 24 Stunden in weiteren Rezepturen verwendet werden konnten und wirkstoffbezogene Sonderregelungen nicht vorgehen«.
Als Rechtsgrundlage nennt das BSG § 129 Absatz 1 SGB V sowie ergänzende Vereinbarungen auf Bundes- und Landesebene nach dem SGB V sowie Vergütungsregelungen zwischen dem GKV-Spitzenverband und dem Deutschen Apothekerverband: Nach § 78 Arzneimittelgesetz und § 5 Absatz 5 Arzneimittelpreisverordnung, werden die nach dem Arzneimittelgesetz geltenden Vorgaben zur Preisberechnung von in Apotheken angefertigten Zubereitungen aus Stoffen durch abweichende Preisvereinbarungen ersetzt, sofern die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildete maßgebliche Spitzenorganisation der Apotheker und der GKV-Spitzenverband solche Regelungen treffen.
Es handelt sich aus Sicht des BSG um vertragliche Vergütungsbestimmungen, »die schon nach den allgemeinen Grundsätzen dem gerichtlich nur begrenzt überprüfbaren Gestaltungsspielraum der Vertragspartner obliegen«. Haben sich beide Seiten auf dieses Vertragswerk geeinigt, zudem per Schiedsstellenregelung, könne, »von äußeren Grenzen abgesehen«, keine Seite eine gerichtliche Entscheidung über die angemessene Vergütung beanspruchen. »Dass solche Grenzen hier verkannt wären, ist nicht zu erkennen; allein die Möglichkeit einer anderen Ausgestaltung des streitbefangenen Regelwerks berührt derartige Grenzen nicht«, so das BSG.
Laut BSG ist das Vertragswerk der Hilfstaxe bindend und kann nicht von einer Kasse einfach als unwirtschaftlich gerügt und ignoriert werden. Diese Entscheidung wird sich nun auch auf zahlreiche andere ausstehende Gerichtsverfahren auswirken, die allesamt das Thema Retaxation von Verwürfen betreffen.