Antipsychotika reduzieren Risiko für Verkehrsunfälle |
Theo Dingermann |
10.06.2025 09:00 Uhr |
Bei bestimmten Erkrankungen wie Epilepsie, Schlafapnoe und wohl auch Schizophrenie ermöglicht die regelmäßige Tabletteneinnahme erst das sichere Führen eines Fahrzeugs. / © Getty Images/SimpleImages
An einer Schizophrenie leiden weltweit 19,8 Millionen Menschen und geht mit erheblichen Behinderungen für die Betroffenen einher. Die typischen Symptome wie Halluzinationen, Wahnvorstellungen, Desorganisationssyndrom und kognitive Defizite können auch das Fahrverhalten im Straßenverkehr beeinflussen. Dies kann die Betroffenen, aber auch andere Verkehrsteilnehmer gefährden. Die Frage, ob sich die Risiken durch eine gut eingestellte medikamentöse Therapie reduzieren lassen, wurde aktuell in einer klinischen Studie analysiert, deren Ergebnisse im Fachmagazin »Canadian Medical Association Journal« veröffentlicht wurden.
Dr. John A. Staples und Kollegen vom Department of Medicine an der University of British Columbia in Vancouver analysierten in einer selbst kontrollierten Fall-Kontroll-Studie (Case–Crossover-Studie) auf Basis von bevölkerungsweiten administrativen Gesundheits- und Verkehrsdaten aus British Columbia 1130 polizeilich registrierte Verkehrsunfälle aus den Jahren 2001 bis 2016, die von Personen verursacht wurden, für die eine Schizophrenie-Diagnose vorlag und die mindestens eine Antipsychotika-Verschreibung in den zwei Jahren vor dem Unfall erhalten hatten.
Die Adhärenz der Unfallverursacher wurde anhand der Antipsychotika-Einnahmequote (Medication Possession Ratio; MPR) berechnet. Darunter verstehen die Forschenden den Anteil der Tage im Beobachtungszeitraum, für den eine gültige Medikation verfügbar war. Zwei MPR-Werte wurden berücksichtigt: Zum einen für den Zeitraum 30 Tage vor dem Unfall (Pre-Crash-Intervall) und zum anderen für den Zeitraum ein Jahr plus 30 Tage vor dem Unfall (Kontrollintervall). Ein MPR von 0 bedeutet Non-Adhärenz, wohingegen ein MPR von 1 als perfekte Adhärenz definiert ist.
Durchschnittlich lagen die MPR-Werte im Pre-Crash-Intervall bei 0,69 und im Kontrollintervall bei 0,76. Vollständige Non-Adhärenz (MPR=0) wurde bei 20 Prozent der Fälle im Pre-Crash-Intervall registriert. Die Forschenden berechneten, dass eine perfekte Adhärenz mit einem halbierten Unfallrisiko assoziiert war (adjustiertes Odds Ratio [aOR] = 0.50).
Die Ergebnisse erwiesen sich als robust gegenüber Subgruppen (Alter, Geschlecht, Substanzgebrauch) und gegenüber verschiedenen Sensitivitätsanalysen. Verkehrssicherheitsrelevante Delikte im Zeitraum vor dem Unfall (zum Beispiel Fahren unter Alkohol- oder Drogeneinfluss) erhöhten das Risiko erwartungsgemäß deutlich (aOR = 3,00).
Damit liefert diese Studie eine starke empirische Evidenz dafür, dass eine gute Adhärenz zu einer Antipsychotika-Therapie das Risiko für Verkehrsunfälle bei Menschen mit Schizophrenie erheblich senkt. Der Effekt war unabhängig von soziodemografischen Faktoren und bekanntem Substanzmissbrauch.
Die Resultate sind konsistent mit älteren Simulatorstudien, die zeigten, dass gut eingestellte Patienten vergleichbare Fahrleistungen aufweisen wie gesunde Kontrollpersonen. Folglich schlagen die Autoren vor, die Adhärenz im Hinblick auf eine Antipsychotika-Therapie als potenzielles Kriterium für die Fahreignungsprüfung bei Patienten zu berücksichtigen, bei denen eine Schizophrenie diagnostiziert wurde, vergleichbar der Regelungen bei Patienten, die an Epilepsie oder Schlafapnoe erkrankt sind.