Antidepressiva bei Demenz womöglich nachteilig |
Annette Rößler |
03.03.2025 18:00 Uhr |
Antidepressiva werden bei Patienten mit Demenz nicht nur gegen Depressionen eingesetzt, sondern auch, um Symptome wie Aggressivität und Agitation zu mildern. / © Getty Images/simarik
Patienten mit einer Demenz erhalten häufig Antidepressiva, um neuropsychiatrische Symptome wie Depressionen, aber auch Ängstlichkeit, Aggressivität und Schlafstörungen positiv zu beeinflussen. Laut der S3-Leitlinie »Demenzen« soll darauf geachtet werden, dass die Präparate keine anticholinergen Nebenwirkungen haben, die Sturzgefahr nicht erhöhen und nicht mit der sonstigen Medikation des Patienten interagieren. Wenn sie wirksam sind, können Antidepressiva laut der Leitlinie Patienten mit Demenz auch langfristig gegeben werden.
Wie sich Antidepressiva auf die kognitive Funktion der Patienten auswirken, sei jedoch noch zu wenig erforscht, schreibt ein Team um Dr. Minjia Mo vom Karolinska-Institut in Stockholm aktuell im Fachjournal »BMC Medicine«. Die Forschenden werteten daher im Rahmen einer nationalen Kohortenstudie die Daten aller Patienten aus, die zwischen dem 1. Mai 2007 und dem 16. Oktober 2018 in der Datenbank Sve-Dem (Swedish Registry for Cognitive/Dementia Disorders) registriert waren. Berücksichtigt wurden Patienten mit mindestens einem Follow-Up nach der Demenzdiagnose und einer Neuverordnung eines Antidepressivums.
Eingeschlossen waren 18.740 Patienten. Der Frauenanteil lag bei 55 Prozent, das Durchschnittsalter betrug 78 Jahre. 4271 Patienten (23 Prozent) erhielten während des Beobachtungszeitraums mindestens eine Verordnung über ein Antidepressivum. Meistverordnet waren selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) mit einem Anteil von 65 Prozent; Trizyklika und selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) wurden mit jeweils 2 Prozent sehr viel seltener eingesetzt (andere Antidepressiva: 31 Prozent).
Die kognitive Funktion der Teilnehmenden wurde anhand des Mini-Mental-Status-Test (MMSE) beurteilt, bei dem Patienten maximal 30 Punkte erreichen können (keine Demenz: 27 bis 30 Punkte, schwere Demenz: 0 bis 10 Punkte). Laut der Studie war die Anwendung von Antidepressiva mit einer beschleunigten Abnahme der kognitiven Fähigkeiten assoziiert (–0,30 MMSE-Punkte pro Jahr). Besonders ausgeprägt war dieser Zusammenhang bei Escitalopram (–0,76 MMSE-Punkte pro Jahr) und Citalopram (–0,41 MMSE-Punkte pro Jahr), schwächer bei Sertralin (–0,25 MMSE-Punkte pro Jahr) und Mirtazapin (–0,19 MMSE-Punkte pro Jahr), jeweils verglichen mit keiner Einnahme von Antidepressiva.
Laut den Forschenden werden allerdings erst Veränderungen von 1 bis 3 MMSE-Punkten als klinisch signifikant angesehen. Sie weisen zudem darauf hin, dass aus ihren Ergebnissen keine Kausalität abgeleitet werden kann. Es lässt sich also nicht sagen, ob für den beobachteten Zusammenhang die Antidepressiva verantwortlich sind oder möglicherweise die zugrunde liegende Erkrankung, wegen der diese Medikamente verordnet wurden.
Dafür, dass Antidepressiva einen kognitiven Abbau beschleunigen könnten, gebe es keine überzeugende Beweislage aus kontrollierten Studien, sagt Dr. Klaus P. Ebmeier, Professor für Alterspsychiatrie an der Universität Oxford im Vereinigten Königreich. Im Gegenteil könnten Patienten kognitive Aufgaben oft besser lösen, wenn Antidepressiva eine depressive Verstimmung effektiv verbessern.
Ebmeier weist darauf hin, dass Verhaltensauffälligkeiten wie Aggressionen und Verstimmungen bis zur Agitation bei Demenzpatienten häufiger würden, je weiter die Erkrankung fortschreitet. Dann würden häufig »aus der Not heraus« Medikamente eingesetzt, von denen Antidepressiva, insbesondere SSRI, als am wenigsten problematisch angesehen würden. »Während es nicht auszuschließen ist, dass Antidepressiva möglicherweise in der Demenz auch negative Auswirkungen auf kognitive Leistungen haben könnten, scheint die vorliegende Studie aber eher den Mangel an effektiven Behandlungsmöglichkeiten zu unterstreichen. Dieser Mangel führt dann gerade in den schwersten Fällen zur Verschreibung der anscheinend ›harmlosesten‹ Medikamente«, so die Einschätzung des Experten.