Antibiotikaresistenzen: Experten kritisieren Rückbau der Infektiologie |
| Melanie Höhn |
| 12.11.2025 17:30 Uhr |
Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) war im Jahr 2023 bereits jede sechste laborbestätigte bakterielle Infektion weltweit resistent gegen gängige Antibiotika. / © Adobe Stock/Justlight/
Generiert mit KI
Im Rahmen der »World AMR Awareness Week« vom 18. bis 24. November macht die WHO unter dem Motto »Jetzt handeln: Unsere Gegenwart schützen, unsere Zukunft sichern« auf die Dringlichkeit des Themas Antibiotikaresistenzen aufmerksam.
Doch mit dem Krankenhausreformanpassungsgesetz (KHAG), das heute in erster Lesung im Bundestag behandelt wird, steht eine Maßnahme zur Debatte, die zahlreichen Fachgesellschaften und Verbänden zufolge eine deutliche Schwächung der Infektionsmedizin zu Folge haben könnte: Die Streichung der Leistungsgruppe Infektiologie.
In einer gemeinsamen Stellungnahme plädieren unter anderem die Deutsche Gesellschaft für Infektiologie (DGI), die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM), die Gesellschaft für Virologie (GfV) und der Berufsverband Deutscher Internistinnen und Internisten (BDI) für die Änderungen des aktuellen Entwurfs des KHAG und die Wiederaufnahme dieser Leistungsgruppe.
Laut WHO war im Jahr 2023 bereits jede sechste laborbestätigte bakterielle Infektion weltweit resistent gegen Antibiotika. Die Resistenzentwicklung schreite derzeit schneller voran als die Fortschritte der modernen Medizin, warnte die Organisation im Oktober. Auch in Deutschland ist das Problem akut: Laut einer aktuellen Studie starben hierzulande rund 10.000 Menschen im Jahr 2019 an Infektionen mit antibiotikaresistenten Erregern.
»Im internationalen Vergleich sind die Zahlen noch relativ niedrig. Aber Krankheitserreger halten sich nicht an nationale Grenzen«, betonte die Professorin Maria Vehreschild, Vorsitzende der DGI. Um eine rationale Verordnung von Antibiotika sicherzustellen und der Ausweitung der Resistenzproblematik entgegenzuwirken, seien die fachärztliche infektiologische Expertise und die sogenannten »Antibiotic Stewardship-Programme« in Kliniken unverzichtbar.
Die Fachgesellschaften erläuterten in ihrer Stellungnahme, dass Fachärztinnen und Fachärzte für Infektionskrankheiten nicht nur wegen der Resistenzproblematik unverzichtbar seien. Der demografische Wandel, komplexe Operationen und moderne Therapien würden zunehmend zu komplizierten Infektionen führen. »Studien zeigen, dass die Einbindung infektiologischer Expertise die Überlebenschancen bei schweren Infektionen um bis zu 20 Prozent erhöht, Komplikationen reduziert und den Antibiotikaverbrauch senkt«, sagte Vehreschild. Die strukturelle Verankerung infektiologischer Kompetenz sei daher nicht nur medizinisch notwendig, sondern auch ökonomisch sinnvoll.
In den Leistungsgruppen der Infektiologie, die laut KHAG nun gestrichen werden sollen, sind laut der Expertinnen und Experten spezifische Qualitätskriterien und Vergütungen definiert. »Für Kliniken heißt das konkret: Ohne eine Leistungsgruppe lässt sich spezielle Infektiologie kaum finanzieren – entsprechende Stellen zur Weiterbildung des medizinischen Nachwuchses würden wegfallen, Fachärztinnen und Fachärzte ohne Perspektive in andere Gebiete abwandern«, erläuterte Professor Gerd Fätkenheuer, Past-Präsident der DGI.
Für Patientinnen und Patienten wiederum bedeute dies: Die Qualität der Versorgung bei schweren Infektionen drohe erheblich zu leiden. Die Streichung der Leistungsgruppe habe strukturelle Konsequenzen und führe dazu, dass die Krankenhausplanung der Länder keine Infektiologie vorsehe. Selbst komplizierte Infektionen würden dann in nicht-spezialisierten Kliniken versorgt werden. »Das gefährdet in hohem Maße die Versorgungsqualität und vor allem die Sicherheit der Patientinnen und Patienten«, so Fätkenheuer.
Mit dem aktuellen KHAG-Entwurf drohe jetzt eine fundamentale Schwächung der Infektionsmedizin insgesamt, ergänzte Vehreschild. »Damit handeln wir komplett entgegengesetzt zu anderen hochentwickelten, effizienten Gesundheitssystemen.« Die Leistungsgruppe Infektiologie sollte ursprünglich nicht flächendeckend, sondern an spezialisierten Zentren vorgehalten werden, um dort Patienten mit komplexen Infektionen nach optimalen Qualitätsstandards zu versorgen, erläuterte Vehreschild.
Für die Begründung der Streichung, nämlich vor allem technische Argumente wie die Zuordenbarkeit von Leistungen zu vorhandenen Abrechnungsziffern (DRG), gebe es »pragmatische Lösungen, die bei anderen Leistungsgruppen auch angewendet werden«, kommentierte Professor Leif Erik Sander, Direktor der Klinik für Infektiologie an der Berliner Charité. »Daher ist es überhaupt nicht nachvollziehbar, dass die medizinische Versorgung von Patientinnen und Patienten gefährdet, und ohne Not die ursprünglichen Reformziele der Krankenhausreform für mehr Qualität und Effizienz geschwächt werden«, so Sander. Bei Qualität und Patientensicherheit dürfe es keine Kompromisse geben.