Pharmazeutische Zeitung online
Georg Zwenke zum Sichtbezug

»Angebot in Apotheken ermöglicht Integration in den Alltag«

Seit Jahresbeginn gilt in Hamburg eine Vereinbarung zur Abrechnung des Sichtbezugs in Apotheken. Warum sich diese Leistung für Apotheken lohnen kann und was die Patienten davon haben, erläutert Georg Zwenke, Geschäftsführer des Hamburger Apothekervereins (HAV), im PZ-Interview.
Anne Orth
22.01.2025  16:00 Uhr

PZ: Bisher ist die Versorgung von Opioidabhängigen in Form der Sichtvergabe in Apotheken eher ein Nischenthema. Wird sich dies durch den neuen Vertrag zwischen dem HAV und der AOK Rheinland/Hamburg zum Sichtbezug ändern?

Zwenke: In Hamburg versorgen bisher viele Apotheken Substitutionspatienten im Wege der Sichtvergabe. Wirtschaftlich auskömmlich ist dieses freiwillige Engagement unserer Mitglieder jedoch nicht. Angesichts der vielfach äußerst schwierigen finanziellen Situation der Apotheken drohte diese Versorgung, die nichts zum Betriebsergebnis beiträgt, aus wirtschaftlichen Gründen eingestellt zu werden. Wir erwarten daher durch die mit der AOK Rheinland/Hamburg geschlossene »Vereinbarung über Regelung für die Abrechnung des Sichtbezuges in Apotheken«, die die Regelungen der zwischen Deutschem Apothekerverband und GKV-Spitzenverband geschlossenen Mustervereinbarung übernimmt, eine gewisse Stabilisierung dieser Versorgung durch die Vor-Ort-Apotheken.

PZ: Welche Vorteile hat es für die Patienten, wenn sie die Substitutionsmittel in einer Apotheke erhalten können?

Zwenke: Menschen, die an einer Suchterkrankung leiden, kommen aus allen Bereichen unserer Gesellschaft, so wie andere Erkrankte auch. Sie haben gegen ihre Krankenversicherung Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln. Hierzu gehören im Bedarfsfall auch Betäubungsmittel als Substitutionsmittel. Die Sicherstellung der ordnungsgemäßen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln ist die ureigene Aufgabe der Vor-Ort-Apotheken. In Apotheken gibt eingewiesenes pharmazeutisches Personal ganz niedrigschwellig Substitutionsmittel im Wege der Sichtvergabe an Suchterkrankte ab, die diese dort kontrolliert einnehmen.

Für Suchtpatienten bedeutet dieses Leistungsangebot eine Integration in die »Alltagsnormalität«: Sie suchen wie alle anderen Patienten und Kunden ihre in der Nähe liegende Apotheke auf und erhalten dort das ganze Spektrum pharmazeutischer Leistungen angeboten – einschließlich der Sichtvergabe. Sie können durch diese Leistung ihrer Apotheke einer Erwerbstätigkeit nachgehen. 

Dieses Leistungsangebot belegt einmal mehr, wie unverzichtbar die Vor-Ort-Apotheken sind. Mit der Sichtvergabe von Substitutionsmitteln haben diese Apotheken bisher unvergütet soziale Verantwortung mitgetragen und einen wichtigen Beitrag zum Zusammenhalt unserer Gesellschaft geleistet. Damit dieses wichtige Leistungsangebot auch in dieser für viele Apotheken wirtschaftlich stark herausfordernden Zeit aufrechterhalten werden konnte und kann, war eine Honorierung dringend notwendig. Da die Sichtvergabe auch in den Substitutionsambulanzen von substituierenden Vertragsärzten erfolgt, orientiert sich die Honorierung der Apotheken an der bereits seit Jahren erfolgenden Vergütung der Vertragsärzte.

PZ: Die Regelungen gelten bisher nur für Menschen, die bei der AOK Rheinland/Hamburg versichert sind. Gibt es bereits Verhandlungen mit weiteren Kassen? Können Sie sich eine entsprechende Vereinbarung auch in Schleswig-Holstein vorstellen?

Zwenke: Selbstverständlich. Wir stehen hierzu gerade in erfolgversprechenden Gesprächen mit der AOK NordWest. Die mit der AOK Rheinland/Hamburg geschlossene Vereinbarung sieht ausdrücklich eine Beitrittsmöglichkeit aller gesetzlichen Krankenkassen vor. Hierzu möchten wir sie auch auf diesem Weg herzlich einladen. Denn alle Krankenkassen haben suchterkrankte Versicherte.

Inwieweit kann es für Apotheken attraktiv sein, Sichtbezug anzubieten?

Zwenke: Suchtmedizinisch tätige Ärzte wollen die Sichtvergabe in der Praxis oftmals nicht anbieten. Folglich besteht ein entsprechender Versorgungsbedarf bei deren Suchtpatienten. Vor-Ort-Apotheken können sich noch stärker als unverzichtbarer Leistungserbringer im Gesundheitswesen positionieren, wenn sie auch diese Kunden versorgen. Der suchterkrankte Kunde, der in »seiner« Apotheke die Leistung »Sichtvergabe« erhält, wird Stammkunde dieser Apotheke sein und bleiben. Die Patienten bringen dem Personal, das die Sichtvergabe durchführt, oft große Dankbarkeit entgegen.

Die derzeitige Vergütung der Sichtvergabe bringt betriebswirtschaftlich oft nicht den Ertrag, der bei einer erbrachten qualifizierten pharmazeutischen Leistung zu erwarten wäre. Die neue Honorierung ist ein erster Schritt in die Richtung, dass, wie auch sonst im Wirtschaftsleben, alle angeforderten und in Anspruch genommenen Leistungen zu vergüten sind. 

Die Durchführung des Sichtbezugs ist eine freiwillige Leistung der Apotheke, einen Kontrahierungszwang gibt es nicht. Wenn Inhaber beispielsweise aus ökonomischen oder personellen Gründen die Sichtvergabe nicht anbieten möchten, müssen sie dies auch nicht tun. 

PZ: Welche Herausforderungen bringt die Sichtvergabe mit sich? 

Zwenke: Es empfiehlt sich, zum substituierenden Arzt einen regelmäßigen, kollegialen Kontakt zu pflegen. Darüber hinaus ist beim Sichtbezug die Dokumentation zeitaufwändig, die konsequent durchgeführt werden sollte. Was alles zu dokumentieren ist, ist in der Leitlinie der Bundesapothekerkammer zur Qualitätssicherung »Herstellung und Abgabe der Betäubungsmittel zur Opiodsubstitution« detailliert beschrieben. 

PZ: Was ist beim Umgang mit den Patienten zu beachten?

Zwenke: Der Umgang mit suchterkrankten Patienten kann sich von der Versorgung zahlreicher anderer Patienten und Kunden der Apotheke unterscheiden, muss es aber auch nicht. Es kann vorkommen, dass sozial schwache und psychisch labile Menschen die Sichtvergabe erhalten, die einen freundlich-konsequenten und geradlinigen Umgang benötigen.

Vor Durchführung der Sichtvergabe ist der Allgemeinzustand des Patienten zu prüfen. Das kann die Mitarbeitenden mitunter vor Herausforderungen stellen. Hier kann es auch einmal zu verbalen Konflikten kommen.

Für den Fall, dass die Sichtvergabe eines Patienten für das Apothekenpersonal nicht mehr tragbar sein sollte, haben wir in unserer Vereinbarung eine Regelung aufgenommen, dass die Apotheke den einzelnen Suchtpatienten von der Durchführung des Sichtbezugs ausschließen kann, wenn er den Betriebsablauf stören sollte. Die Apotheke nimmt dann den Auftrag des substituierenden Vertragsarztes zur Durchführung des Sichtbezuges schlicht nicht an. In der Praxis entscheidet die Apothekenleitung je nach Patientenstruktur, wann, wie und wo in der Offizin die Sichtvergabe durchgeführt wird.

 

Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
 
FAQ
SENDEN
Wie kann man die CAR-T-Zelltherapie einfach erklären?
Warum gibt es keinen Impfstoff gegen HIV?
Was hat der BGH im Fall von AvP entschieden?
GESAMTER ZEITRAUM
3 JAHRE
1 JAHR
SENDEN
IHRE FRAGE WIRD BEARBEITET ...
UNSERE ANTWORT
QUELLEN
22.01.2023 – Fehlende Evidenz?
LAV Niedersachsen sieht Verbesserungsbedarf
» ... Frag die KI ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln. ... «
Ihr Feedback
War diese Antwort für Sie hilfreich?
 
 
FEEDBACK SENDEN
FAQ
Was ist »Frag die KI«?
»Frag die KI« ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums versehen, in denen mehr Informationen zu finden sind. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung verfolgt in ihren Artikeln das Ziel, kompetent, seriös, umfassend und zeitnah über berufspolitische und gesundheitspolitische Entwicklungen, relevante Entwicklungen in der pharmazeutischen Forschung sowie den aktuellen Stand der pharmazeutischen Praxis zu informieren.
Was sollte ich bei den Fragen beachten?
Damit die KI die besten und hilfreichsten Antworten geben kann, sollten verschiedene Tipps beachtet werden. Die Frage sollte möglichst präzise gestellt werden. Denn je genauer die Frage formuliert ist, desto zielgerichteter kann die KI antworten. Vollständige Sätze erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer guten Antwort.
Wie nutze ich den Zeitfilter?
Damit die KI sich bei ihrer Antwort auf aktuelle Beiträge beschränkt, kann die Suche zeitlich eingegrenzt werden. Artikel, die älter als sieben Jahre sind, werden derzeit nicht berücksichtigt.
Sind die Ergebnisse der KI-Fragen durchweg korrekt?
Die KI kann nicht auf jede Frage eine Antwort liefern. Wenn die Frage ein Thema betrifft, zu dem wir keine Artikel veröffentlicht haben, wird die KI dies in ihrer Antwort entsprechend mitteilen. Es besteht zudem eine Wahrscheinlichkeit, dass die Antwort unvollständig, veraltet oder falsch sein kann. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung übernimmt keine Verantwortung für die Richtigkeit der KI-Antworten.
Werden meine Daten gespeichert oder verarbeitet?
Wir nutzen gestellte Fragen und Feedback ausschließlich zur Generierung einer Antwort innerhalb unserer Anwendung und zur Verbesserung der Qualität zukünftiger Ergebnisse. Dabei werden keine zusätzlichen personenbezogenen Daten erfasst oder gespeichert.

Mehr von Avoxa