Opfer häuslicher oder sexualisierter Gewalt in Sachsen-Anhalt können die Spuren direkt nach der Tat in einer Klinik medizinisch dokumentieren lassen und bis zu 30 Jahre später über eine Anzeige entscheiden. / © Imago/Yay Images
Wer in Sachsen-Anhalt Opfer häuslicher oder sexualisierter Gewalt geworden ist, kann die Spuren direkt nach der Tat in einer Klinik medizinisch dokumentieren lassen und später über eine mögliche Anzeige entscheiden. Das landesweite Netz beteiligter Klinikstandorte wird derzeit aufgebaut. In Krankenhäusern in Stendal, Merseburg und Weißenfels sei Personal bereits geschult, sagte die Rechtsmedizinerin und Projektleiterin für die vertrauliche Spurensicherung, Carolin Richter. In den Notaufnahmen der Unikliniken in Halle und Magdeburg gibt es die Möglichkeit schon länger. Demnächst sind Schulungen auch in Dessau, Gardelegen und Wittenberg sowie im Harzklinikum in Quedlinburg und Wernigerode geplant.
»In diesem Jahr habe es bislang 28 Fälle gegeben«, sagte Rechtsmedizinerin Richter. »Das ist ein Anfang.« Dabei handele es sich oft um Fälle von Partnerschaftsgewalt. Die Medizinerin mit 20-jähriger Berufserfahrung stellt fest: »Die Hemmschwelle der Frauen, sich an jemanden zu wenden, ist gesunken.« Und gleichzeitig sei die Grenze für die eigene körperliche Integrität für viele höher als noch vor einigen Jahren. Betroffenen sei klar, dass sie nicht diejenigen seien, die sich schämen müssten. Zur vertraulichen Spurensicherung könne man übrigens schon kommen, wenn es Spuren von hartem Zugreifen gebe – nicht erst bei einem blauen Auge oder Wunden.
Etwa eine dreiviertel Stunde, je nach Verletzungen und auch abhängig von der Patientin, dauere eine vertrauliche Spurensicherung, sagt Projektleiterin Richter. Um alles Nötige zusammenzuhaben, bekommen die teilnehmenden Kliniken komplette Sets mit Dokumentationsbogen, einem Erklärzettel für die Patienten, Abriebtupfern für Abstriche von Körper und Fingernägeln, Röhrchen für die Blut- und Urinentnahme bis hin zu einer Einmalpinzette und einem Papierwinkel für Fotoaufnahmen sowie Asservierungstüten für Kleidung. Weil die Frauen oft ihre Unterwäsche dalassen müssten, ist laut Richter auch dort für Ersatz gesorgt. Die Offenheit für das Thema sei laut Richter groß in den beteiligten Kliniken.