»Anerkennung der Apotheke vor Ort« |
Melanie Höhn |
27.09.2023 12:35 Uhr |
»Wir sollten für eine sichere und finanzierbare Gesundheitsversorgung nicht am, sondern mit dem Arzneimittel sparen«, erklärte BAH-Chef Cranz heute bei der Expopharm-Eröffnung in Düsseldorf. / Foto: PZ/Alois Müller
Der BAH wirbt »aus Überzeugung« für den Grundsatz der Apothekenpflicht von Arzneimitteln und für eine »Anerkennung der Apotheke vor Ort«, insbesondere auch durch eine recht aufwendige Apothekenunterstützungskampagne seitens des Verbands, betonte der Hauptgeschäftsführer des Verbands Hubertus Cranz in seinem Grußwort zur diesjährigen Expopharm-Eröffnung.
Zur Weiterentwicklung der Apotheke gehöre eine noch stärkere Rolle bei der Unterstützung der Selbstmedikation, insbesondere auch bei Produkten, die mit neuen Indikationsstellungen aus der Verschreibungspflicht entlassen werden, sagte er. »Niemand wird zur Selbstmedikation gezwungen, aber ein verstärkter Einsatz nichtverschreibungspflichtiger Arzneimittel erscheint medizinisch gerechtfertigt und könnte die Effizienz in der gesundheitlichen Versorgung steigern«, so Cranz. Denn ohne ein Mehr an Eigenverantwortung werde es letztendlich keine bessere gesundheitliche Versorgung geben.
Arzneimittel seien ein wichtiger Teil der Gesundheitsversorgung und würden wesentlich zu einem resilienten Gesundheitssystem beitragen. »Wir sollten für eine sichere und finanzierbare Gesundheitsversorgung nicht am, sondern mit dem Arzneimittel sparen«, erklärte Cranz. Hinzu komme die volkswirtschaftliche Bedeutung einer starken industriellen Gesundheitswirtschaft, die in Deutschland hochqualifizierte Arbeitsplätze schaffe und zu volkswirtschaftlichem Wohlstand beitrage. Um dies zu stärken oder zumindest zu erhalten, müssten die Rahmenbedingungen in Deutschland und Europa verbessert werden. »Die guten Absichten eines Arzneimittellieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetzes (ALBVVG) in allen Ehren, aber das reicht nicht aus«, kritisierte er.
Der BAH erkenne die getroffenen Maßnahmen bei Kinderarzneimitteln als einen Schritt in die richtige Richtung an. »Wir benötigen aber eine weitergehende Reform im Bestandsmarkt einschließlich eines umfassenden Inflationsausgleichs und ein Abrücken von einem Prinzip, das letztlich nur das billigste Produkt überleben lässt. Nur dann wird es uns gelingen, durch Diversifizierung auf der Anbieterseite Abhängigkeiten zu verringern und Versorgungssicherheit zu erhöhen«, erläuterte Cranz.
Eher erschwert als erleichtert werde das Bemühen um Liefersicherheit auch durch die von der EU-Kommission vorgeschlagene Revision der EU-Arzneimittelgesetzgebung. Einen eigenständigen Plan zur Verhinderung von Lieferengpässen für jedes einzelne Arzneimittel durch die Zulassungsinhaber zu erstellen sei überzogen, kritisierte der BAH-Hauptgeschäftsführer.
Gleiches gelte auch für den Vorschlag seitens der EU-Ebene zur Bekämpfung von Antibiotika-Resistenzen. Wenn wie von der EU-Kommission vorgeschlagen eine Fußpilzcreme oder eine Herpes-Salbe zukünftig der Verschreibungspflicht unterstellt werden sollen und »damit völlig unnötigerweise betroffene Menschen die Wartezimmer der Arztpraxen weiter überfüllen würden, dann scheint fachliche Aufklärung, mehr Maß und Orientierung bitter nötig«, so Cranz weiter. Eines wolle der BAH nicht: Eine zweite Erfahrung wie mit der Medizinprodukteverordnung. »Es gibt wohl heute kaum jemand, der dieses 2021 in Kraft getretene Rechtswerk als wirklich gelungen ansieht. Nur durch die Verlängerung der Übergangsfristen lässt sich sofortiger Schaden vermeiden. Eine nochmalige, zumindest punktuelle Überarbeitung ist aber notwendig und sollte von der Europäischen Kommission baldmöglichst angegangen werden.«
Besonders kritisch bleibe die Haltung des BAH zum GKV-Finanzstabilisierungsgesetz, »gerade auch nach den ersten Erfahrungen mit den neuen sogenannten AMNOG-Leitplanken«, erklärte Cranz. Der neu eingeführte Kombinationsabschlag entpuppe sich mehr und mehr als verdeckte, aber umfassende Erhöhung des Herstellerabschlags für patentgeschützte Arzneimittel. Wenn man innovative Gesundheitsversorgung und eine Stärkung des Standorts Deutschland wolle, müssten möglichst bald Korrekturen vorgenommen werden.
Positiv äußerte sich Cranz hinsichtlich einer Pharmastrategie. Diese soll die Rahmenbedingungen für die pharmazeutische Forschung und Industrie durch die Vereinfachung klinischer Prüfungen und eine Entbürokratisierung bei der Zulassung erleichtern. Der BAH habe umfangreiche Vorschläge zu diesem Thema unterbreitet und sei nun gespannt auf die konkreten Maßnahmen in Deutschland. Die nun anlaufende Diskussion auf europäischer Ebene zu einem neuen Vorgehen bei der Durchführung von Arzneimitteländerungen, den sogenannten Variations, verspreche dabei ebenfalls Verbesserungen und könnte die geplante Abschaffung des Systems der bisher notwendigen Zulassungsverlängerungen und der bisher für Generika notwendigen Risikomanagementplänen ergänzen. Möglichst bald sollte die Europäische Kommission ihre Vorschläge dazu vorlegen, forderte Cranz.
Des Weiteren ging Cranz auf die Digitalisierung im Gesundheitswesen ein. »Nach vielen Verzögerungen ist hier nun eine neue Dynamik zu spüren«, erklärte er. Beim Thema E-Rezept bleibe es für den BAH besonders wichtig, dass auch in Zukunft die freie Apothekenwahl gewährleistet sei, unabhängig davon, ob ärztliche Verordnungen analog oder digital vorliegen. Die gesetzlich definierten Ausbaustufen des E-Rezepts sollten laut Cranz zeitnah und koordiniert für alle Leistungserbringer zur Verfügung stehen. Dies gelte insbesondere für das elektronische Grüne Rezept, also der Empfehlung eines meist nichterstattungsfähigen Arzneimittels durch den Arzt, für dessen Anwendung und Verbreitung sich der BAH weiterhin intensiv einsetze.
Beim Thema elektronische Patientenakte (EPA) stehe für den BAH die praktische Verwertbarkeit und somit der Nutzen für den Einzelnen und für die Gemeinschaft im Vordergrund. »Wir begrüßen den Einbezug der pharmazeutischen Industrie in den Kreis der Zugriffsberechtigten auf das Forschungsdatenzentrum«, sagte Cranz in diesem Zusammenhang. Wichtig sei hierbei eine zügige Antragsabwicklung und die Möglichkeit, allen Antragsberechtigten in gleicher Form einen Zugriff auf Gesundheitsdaten zu ermöglichen. Bei den parallel zur nationalen Gesetzgebung laufenden Diskussionen für einen europäischen Gesundheitsdatenraum sei auf Kohärenz zu achten, damit praxistaugliche Resultate entstehen.
Zudem seien digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) auf dem Weg, zu einem festen Bestandteil unserer Gesundheitsversorgung zu werden. »Allerdings sind die Marktzugangsvoraussetzungen für DiGA anspruchsvoll, vielleicht zu anspruchsvoll und die Instrumente zur Preisregulierung komplex, mitunter wohl zu komplex«, erklärte Cranz. Da die Beratung der Patientinnen und Patienten über digitale Anwendungen eine nicht zu unterschätzende Aufgabe ist, erscheint es angebracht, weitere Leistungserbringer wie Apotheken einzubeziehen und angemessen zu honorieren.