Ampel will Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche kippen |
Wegen ihres jahrelangen Rechtsstreits um den Strafrechtsparagrafen 219a gelangte die Gießener Medizinerin Christina Hänel zu einiger Bekanntheit. / Foto: picture alliance/dpa
«Ärztinnen und Ärzte sollen öffentliche Informationen über Schwangerschaftsabbrüche bereitstellen können, ohne eine Strafverfolgung befürchten zu müssen», heißt es in dem am gestrigen Mittwoch vorgestellten Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP. Ziel bei der Streichung des umstrittenen Paragrafen sei es, das Selbstbestimmungsrecht von Frauen zu stärken und Versorgungssicherheit herzustellen. Schwangerschaftskonfliktberatung solle online möglich sein.
Zudem sollen gegen belästigende Aktionen von Abtreibungsgegnern «gesetzliche Maßnahmen» kommen. Krankenkassen soll es ermöglicht werden, Verhütungsmittel als Satzungsleistung zu erstatten. «Bei Geringverdienenden werden die Kosten übernommen», heißt es weiter. Zugleich soll für ungewollt Kinderlose bessere Unterstützung kommen.
Mit dem geplanten Wegfall des umstrittenen Strafrechtsparagrafen kann die Gießener Allgemeinmedizinerin Christina Hänel in ihrem Kampf gegen das Werbeverbot zumindest einen Teilerfolg verbuchen. Weil sie auf ihrer Praxishomepage darüber informiert hatte, dass sie auch Schwangerschaftsabbrüche durchführt, war sie jahrelang Anfeindungen von Abtreibungsgegnern ausgesetzt und bekam Medienberichten zufolge etliche Strafanzeigen. 2016 schließlich erfolgte ein Strafbefehl der Gießener Staatsanwaltschaft – der Beginn einer jahrelangen Odyssee durch die Instanzen. Hänel hatte sich zum Ziel gesetzt, gerichtlich klären zu lassen, ob der Strafrechtsparagraf, der von ihr als »Informationsverbot« bezeichnet wird, verfassungskonform ist.
Im November 2017 wurde Hänel vom Amtsgericht Gießen zu einer Geldstrafe von 6000 Euro verurteilt, ihre Berufung gegen das Urteil wies das Landgericht Gießen im Oktober 2018 ab. Ihr Anwalt hatte damals in seinem Plädoyer den Paragrafen 219a in seiner damaligen Form als verfassungswidrig bezeichnet, da er die Berufsfreiheit von Ärzten und das Informationsrecht der schwangeren Frauen verletze. Nach monatelanger Debatte, welche Informationen Ärzte zu Schwangerschaftsabbrüchen straflos geben dürfen, wurde schließlich im März 2019 der umstrittene Paragraf um einen Absatz ergänzt. Ärzte und Kliniken können demnach öffentlich – also zum Beispiel auf der eigenen Internetseite – darüber informieren, dass sie Abtreibungen vornehmen. Die Verurteilung Hänels wegen unerlaubter Werbung für Schwangerschaftsabbrüche wurde mithin aufgehoben, das Landgericht Gießen musste sich damals erneut mit dem Fall befassen (Az.: 1 Ss 15/19). Im Dezember 2019 entschieden die Gießener Richter dann, dass Hänel weiterhin gegen den Strafrechtsparagrafen verstoße. Das sah später auch das Oberlandesgericht Frankfurt so, das im Januar dieses Jahres eine entsprechende Revision Hänels gegen das Urteil des Landgerichts Gießen ablehnte.
Hänels bis dahin letzter rechtlicher Schritt führte sie nach diesem Entscheid zum Bundesverfassungsgericht. Seit Februar 2021 wird ihre Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe geprüft. Falls Paragraf 219a tatsächlich gestrichen wird, bedeutet dies allerdings nicht, dass ihr Antrag verfällt. Da sich ihre Beschwerde gegen das letztinstanzliche Urteil des Landgerichts Gießen von Dezember 2019 richtet, ist für die Karlsruher Richter allein entscheidend, welche Rechtslage damals galt.
Dennoch zeigte Hänel sich Medienberichten zufolge mit den Plänen der Ampelkoalition zufrieden; sie habe mit einem solchen Schritt gerechnet, sagte sie jetzt der »Hessenschau«. »Es würde bedeuten, dass wir die informierte Entscheidungsfindung, die wir in allen anderen medizinischen Bereichen haben, nun auch bei Schwangerschaftsabbrüchen haben können«, sagt Hänel der Onlineausgabe zufolge. Schwangere in Konfliktsituationen könnten sich künftig seriös informieren, statt im Internet vor allem auf Seiten von Abtreibungsgegnern zu landen. »Deren Informationshoheit« wäre dann beendet, sagte Hänel dem Portal.