Alzheimer möglicherweise übertragbar |
Christina Hohmann-Jeddi |
30.01.2024 16:30 Uhr |
Die Ablagerungen von Amyloid im Gehirn ist ein Kennzeichen der Alzheimer-Pathologie. / Foto: Adobe Stock/Dr_Microbe
Für die Hypothese, dass die Alzheimer-Erkrankung unter bestimmten Umständen übertragbar sein könnte, gibt es neue Hinweise. Wie ein Team um Gargi Banerjee vom Institut für Prionen-Erkrankungen des University College London im Fachjournal »Nature Medicine« berichtet, entwickelten fünf Personen nach einer Behandlung in der Kindheit mit Wachstumshormon aus Hirngewebe von Verstorbenen eine Alzheimer-Pathologie.
Prionen sind fehlgefaltete Proteine, die anderen Proteinen ihre Struktur aufzwingen und so degenerative Erkrankungen wie die Creutzfeld-Jakob-Krankheit (CJD) verursachen können. Seit dieser Entdeckung wird nach ähnlichen Übertragungsformen auch bei anderen degenerativen Erkrankungen des Zentralnervensystems gesucht. Ein Team um Seniorautor Professor Dr. John Collinge hatte 2015 erste Hinweise auf eine mögliche Übertragbarkeit einer Alzheimer-Pathologie von Mensch zu Mensch veröffentlicht.
Collinges Team hatte die Gehirne von 80 Personen untersucht, die aufgrund von Kleinwuchs vor 1985 eine Wachstumshormonbehandlung erhalten hatten, in späteren Jahren CJD entwickelten und daran starben. Das Präparat wurde aus den Hirnanhangdrüsen von Verstorbenen gewonnen. Bei sechs dieser Patienten fanden sich in den Gehirnen auch Amyloid-Ablagerungen, obwohl sie zu jung für eine Alzheimer-Pathologie waren.
Die Forschenden folgerten damals, dass Alzheimer möglicherweise über fehlgefaltetes β-Amyloid (Aβ) in dem Hormonpräparat übertragen worden war, das dann eine Amyloid-Pathologie bei den Behandelten auslöste. Entsprechende Kristallisationskeime für fehlgefaltetes Aβ (Aβ-Seeds) konnte das Team auch in alten Proben des Wachstumshormon-Präparats nachweisen.
Nun haben Forschende um Collinge und Banerjee auch Amyloid-Pathologien bei Personen gefunden, die vor 1985 mit Wachstumshormon behandelt worden, aber nicht an CJD gestorben waren. Fünf von acht untersuchten Personen wiesen 30 Jahre nach der Hormonbehandlung kognitive Beeinträchtigungen auf, die auf eine Alzheimer-Erkrankung hindeuten. Die kognitiven Symptome traten bei den Personen im Alter von 38 bis 55 Jahren auf. Sie waren zum Teil so schwerwiegend, dass sie die Patienten bei Alltagsaktivitäten beeinträchtigten. Alle fünf Personen erfüllten den Autoren zufolge die Kriterien für eine schwere neurokognitive Störung aufgrund von Morbus Alzheimer.
Die Forschenden folgern aus ihren Ergebnissen, dass Alzheimer unter bestimmten Umständen durch medizinische Maßnahmen übertragen werden kann. Obwohl diese iatrogene Übertragung vermutlich sehr selten sei, gebe sie doch Anlass zu prüfen, wie versehentliche Übertragungen von Aβ-Seeds bei anderen medizinischen und chirurgischen Maßnahmen verhindert werden können.
Ein deutscher Prionen-Experten sieht diese Schlussfolgerung kritisch und wünscht sich weitere Untersuchungen. Privatdozent Dr. Michael Beekes, Leiter der Forschungsgruppe Prionen und Prionoide am Robert-Koch-Institut in Berlin, erklärt: »Aus meiner Sicht erscheint es verfrüht, das klinische Syndrom der Patienten bereits aufgrund der aktuell berichteten Daten als iatrogene Alzheimer-Krankheit zu bezeichnen und die Alzheimer-Krankheit somit als übertragbar anzusehen.«
Die Patientenzahl sei gering und zwei der Betroffenen hätten eine geistige Behinderung, die vermutlich mit einem erhöhten Alzheimer-Risiko einhergehe. Die beschriebenen Demenzerkrankungen erfüllten zudem zwar diagnostische Kriterien einer Alzheimer-Erkrankung, ein definitiver neuropathologischer Nachweis sei aber nicht geführt worden, so Beekes.
Die Studie liefere aber »gut begründete und weiterzuverfolgende Hinweise darauf, dass der im Reagenzglas und in Tierstudien belegte Mechanismus des Aβ-Seedings unter bestimmten Umständen nach einer Übertragung von Aβ-Seeds auch im Menschen auftreten und in der Folge möglicherweise Demenzerkrankungen verursachen kann«.
Allerdings seien die Erkenntnisse vor allem aus wissenschaftlicher und weniger aus praktischer Sicht bedeutsam. Laut Beekes besteht kein Übertragungsrisiko im alltäglichen Umgang mit Alzheimer-Erkrankten und auch bei medizinischen Eingriffen sei das Risiko einer Aβ-Übertragung gering.
Chirurgische Instrumente würden bereits seit Längerem routinemäßig gegen Prionen aufbereitet, was Studien zufolge auch zumindest teilweise gegen Aβ, τ und α-Synuclein wirksam ist. Das τ-Protein spielt ebenfalls bei der Alzheimer-Pathologie eine Rolle und das α-Synuclein bei Morbus Parkinson und anderen neurodegenerativen Erkrankungen.
Wachstumshormone werden schon seit 1986 nicht mehr aus Hypophysen von Verstorbenen gewonnen, sondern synthetisch produziert.