Alte Debatten und neue Verbotsforderungen |
Vor einem Jahr feierten Cannabis-Liebhaber am Brandenburger Tor. / © IMAGO/Manngold
Seit dem 1. April 2024 ist Cannabis unter strengen Auflagen in Deutschland legal. Die damalige Ampel-Koalition wollte mit dem Gesetz die Konsumentinnen und Konsumenten entkriminalisieren, den Schwarzmarkt einhegen, Polizei und Justiz entlasten sowie den Jugendschutz verbessern. Nach einem Jahr fällt die erste Bilanz des Gesetzes gemischt aus.
Das Cannabisgesetz sieht unter anderem den gemeinschaftlichen Hanfanbau in sogenannten Cannabis Social Clubs vor. Doch die Vereine müssen sehr strenge Auflagen erfüllen und werden vielerorts von den lokalen Behörden ausgebremst. Laut dem Dachverband deutscher Cannabis Social Clubs gibt es aktuell nur 106 Anbauvereinigungen in ganz Deutschland. In Bayern wurde bisher kein einziger Club erfolgreich gegründet. Da die Anbauvereinigungen nicht mehr als 500 Mitglieder haben dürfen, können sie maximal 53.000 Menschen versorgen. Viele Konsumenten greifen daher weiter auf den Schwarzmarkt zurück oder versuchen über obskure Online-Plattformen an Medizinalcannabis zu kommen.
Das Cannabisgesetz hat einen deutlichen Effekt auf die Justiz. Die Zahl der in der Polizeilichen Kriminalstatistik erfassten Rauschgiftdelikte ist im vergangenen Jahr um 34,2 Prozent gesunken. Das führte sogar zu einem messbaren Rückgang der gesamten Kriminalität, und das, obwohl das Gesetz erst im zweiten Quartal des Jahres 2024 in Kraft trat.
Viele Auswirkungen des Gesetzes sind noch unklar. So dürfte sich erst in den kommenden Jahren zeigen, ob die Teillegalisierung wirklich den Gesundheits- und Jugendschutz verbessern konnte. Die Union spricht sich dennoch schon jetzt für eine Rücknahme des Gesetzes aus. Ob sie sich damit in den Koalitionsverhandlungen durchsetzen kann, bleibt abzuwarten.
Auch ABDA-Präsident Thomas Preis spricht sich für ein neues Verbot aus. Gegenüber der Rheinischen Post sagte er: »Wir lehnen Cannabis als Genussmittel aus medizinischen und pharmazeutischen Gründen ab. Cannabis ist als Genussmittel völlig ungeeignet – insbesondere für junge Menschen unter 25 Jahren. Dass der Cannabiskonsum gesundheitlich sehr gefährlich sein kann, ist nach der Teillegalisierung kaum noch zu vermitteln. Viele Menschen denken: Was legal ist, ist auch ungefährlich.«
Preis befürchtet, dass die negativen Folgen der Legalisierung die Gesellschaft erst später treffen werden: »Die Trivialisierung des Cannabis-Konsums durch die Teillegalisierung führt zu mehr Konsum und mehr medizinischen und sozialen Problemen. Gleichzeitig angekündigte Aufklärungskampagnen haben dem nichts Spürbares entgegenzusetzen.«
Auch die telemedizinische Verordnung von Medizinalcanabis sieht der ABDA-Präsident kritisch. »Das bloße Ausfüllen eines Fragebogens darf nicht die Möglichkeit eröffnen, in den Besitz von medizinischem Cannabis zu kommen«, betonte Preis gegenüber der Rheinischen Post. Im März hatte die Apothekerkammer Nordrhein erfolgreich eine einstweilige Verfügung gegen die Plattform »Dr. Ansay« erwirkt, die medizinisches Cannabis samt Rezept wie in einem Online-Shop verkaufte.
Die Mehrheit der Deutschen ist offenbar anderer Meinung als der ABDA-Präsident. Eine in der vergangenen Woche vorgestellte Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov zeigte, dass sich 38 Prozent der Befragten eine Rücknahme der Teillegalisierung wünschen. Ebenfalls 38 Prozent sprachen sich für die Beibehaltung des Gesetzes aus, 11 Prozent wünschten sich sogar eine weitere Liberalisierung.
Im März sprachen sich 30 Unterzeichnende aus Politik, Recht, Wissenschaft, Medizin und Industrie in einem offenen Brief an die Bundesregierung für eine »evidenzbasierte Cannabispolitik« und die legale Abgabe in Modellprojekten aus. Unter den Unterzeichnern waren unter anderem der Verband der Cannabis versorgenden Apotheken, die Arcaden Apotheke und die Deutsche Akademie für Ganzheitliche Schmerztherapie. Sie heben allerdings auch hervor, dass die konkrete Gestaltung des Cannabisgesetzes »erhebliche praktische Herausforderungen« mit sich bringe.
Wie es mit der Teillegalisierung von Cannabis weitergeht, ist vorerst ungewiss. Im Papier der Arbeitsgruppe »Innen, Recht, Migration und Integration« findet sich die Absicht, die Teillegalisierung von Cannabis rückgängig zu machen. Allerdings ist der Satz blau markiert und daher als Unionsposition erkennbar. Eine Einigung gibt es noch nicht. In ihrem Wahlprogramm hatte sich die SPD sogar für eine vollständige und europarechtskonforme Legalisierung ausgesprochen.
Und auch wenn die Spitzengruppe von Union und SPD in der aktuellen heißen Phase der Koalitionsverhandlungen um Konsens ringen: Bei Cannabis – mit nur einem Satz im AG-Papier vermerkt – scheiden sich die Geister. In der ZDF-Sendung »Lanz« am Dienstagabend tauschten der CDU-Bundestagsabgeordnete Philipp Amthor und der SPD-Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Alexander Schweitzer, ihre Ansichten dazu aus. Grundsätzlich auf Konsens bedacht schienen beide – ohne allerdings konkret zu erklären, in welche Richtung bei der Teillegalisierung das Pendel schwingen könnte. Vielmehr schoben sie eine mögliche Entscheidung darüber, ob das Gesetz kassiert wird, dem jeweiligen Verhandlungspartner zu.
Die CSU hat zum Cannabis-Gesetz eine klare Vorstellung, und das schon lange. Aus Bayern kommen erneut Vorstöße, die Teilfreigabe möglichst schnell in die Geschichtsbücher zu verbannen. Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach forderte unlängst gegenüber »Table Briefings« die Chefverhandler auf, das Cannabis-Gesetz in seiner bisherigen Form abzuschaffen. Mit dem Gesetz habe der Cannabiskonsum zugenommen, so Gerlach. Die Regelung sei »ein gefährlicher Irrweg«. Nun habe man die Chance, diesen Fehler zu bereinigen.
Auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann will das Aus für die Freigabe. Der »Augsburger Allgemeinen« sagte er, man wolle »den Fehler der Ampel rückgängig machen und Cannabis wieder verbieten«. Herrmann zufolge besteht dabei parteiübergreifende Einigkeit unter den Innenministerinnen und Innenministern der Länder.