Alongshan-Virus auch bei europäischen Zecken verbreitet |
Christina Hohmann-Jeddi |
27.07.2023 15:05 Uhr |
Foto: Getty Images/Elke Schroeder/EyeEm
Das 2017 bei Patienten in der nordchinesischen Stadt Alongshan identifiziert und nach ihr benannte Alongshan-Virus (ALSV) aus der Familie Flaviviridae ist über China hinaus verbreitet. Es wurde inzwischen in Zecken in Finnland, Frankreich, Russland und der Schweiz gefunden. Auch in Deutschland gibt es erste Nachweise.
Das einzelsträngige RNA-Virus wird der gleichen Familie wie die Dengue-, FSME-, Zika- und West-Nil-Viren zugeordnet, weist aber wie das nah verwandte Jingmen-Zecken-Virus ein segmentiertes Genom auf. Schwere Erkrankungen, die über grippeähnliche, fiebrige Beschwerden hinausgehen, werden mit einer ALSV-Infektion bislang nicht in Verbindung gebracht, teilt das CRM Centrum für Reisemedizin mit. Es nimmt das neue Virus zum Anlass, auf die Bedeutung von Zecken als Krankheitsüberträger allgemein hinzuweisen und zu einem guten Zeckenschutz aufzurufen.
Problematisch sind nicht die Zecken selbst, sondern die Vielzahl an Viren und Bakterien, die sie, ähnlich wie Mücken, bei jeder Blutmahlzeit übertragen können. »Die von Bakterien verursachte Borreliose und die virale Frühsommer-Meningoenzephalitis FSME sind dabei nur die bekanntesten Beispiele für Zecken-übertragene Erkrankungen«, sagt Professor Dr. Tomas Jelinek, wissenschaftlicher Leiter des CRM. Mit dem Alongshan-Virus ist die Liste der Krankheitserreger, die über Zeckenstiche verbreitet werden, nun noch einmal angewachsen.
Auch in Europa ist der Erreger zu finden: So fand sich bei einer systematischen Untersuchung von Zecken, die in den Jahren 2021 und 2022 in der Schweiz gesammelt worden waren, ALSV sogar häufiger als das FSME-Virus. »Es ist daher davon auszugehen, dass das Virus auch epidemiologische Bedeutung für den Menschen hat«, sagt CRM-Leiter Jelinek.
Auch in Niedersachsen tragen viele Zecken das ALS-Virus in sich, wie eine aktuelle Studie der Universität Hannover im Journal »Microorganisms« zeigt. Das Virus wurde dort nicht nur in Zecken nachgewiesen, sondern auch in mindestens einem Hirsch; Antikörper gegen das Virus wiederum fanden sich in Hirschen, Rehen, Ziegen, Schafen und Pferden.
Wie stark auch Menschen von ALSV-Infektionen betroffen sind, ist noch weitgehend unbekannt. In China wurde man auf das neue Virus aufmerksam, als Patienten nach einem Zeckenstich FSME-typische Symptome wie Kopfschmerzen und Fieber entwickelten, sich jedoch keine FSME-Viren nachweisen ließen. Stattdessen stießen die Forscher auf das zuvor noch unbekannte ALS-Virus. »Es ist davon auszugehen, dass das Virus auch in Europa bereits länger zirkuliert und vermutlich auch schon zu Erkrankungen geführt hat«, sagt Jelinek. Diese seien jedoch vermutlich nicht dem noch unbekannten Virus zugeordnet worden.
Eine spezifische Behandlung steht für ALSV-Infektionen ebenso wenig zur Verfügung wie eine Impfung. »Am effektivsten ist es daher, sich vor den Zecken selbst zu schützen«, sagt Jelinek – denn damit schütze man sich auch vor allen anderen Krankheitserregern, die diese möglicherweise in sich trügen.
Allgemein wird zum Tragen langer heller Kleidung geraten, auf der die Zecken leicht zu entdecken sind. Auch die Verwendung chemischer Repellentien kann sinnvoll sein. Nach jedem Aufenthalt im Grünen sollte zudem der Körper gründlich abgesucht werden, denn oft krabbeln die Zecken mehrere Stunden lang umher, bevor sie sich festsetzen. Und auch wenn sie schon gestochen haben, ist die Infektionswahrscheinlichkeit umso geringer, je rascher sie wieder entfernt werden.