»Alle raufen sich die Haare« |
Lukas Brockfeld |
12.09.2024 22:02 Uhr |
Silke Gebel, Peter Bobbert, Dena Rostamzadeh, Anne-Kathrin Klemm, Melanie Dolfen und Nicole Praima (v.l.n.r.) sprachen mit Moderator Alexander Müller (rechts) über die geplante Apothekenreform. / Foto: Sandra Schneider, Spreekind-Fotografie
Am 12. September luden die Apothekerkammer Berlin und der Berliner Apotheker-Verein gemeinsam zu einem Diskussionsabend ein. Auf der Agenda standen die Folgen der von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) geplanten Apothekenreform. Außerdem wurde über mögliche Alternativen gesprochen.
Ina Lucas, Präsidentin der Apothekerkammer Berlin, erklärte in ihrer Begrüßungsrede ihre Sicht auf die Gesundheitspolitik der Bundesregierung: »Nach einer Reihe von Spargesetzen, ich erinnere an das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz, mit dem auch den Apotheken ein zusätzlicher Sparbeitrag in Höhe von 240 Millionen Euro abverlangt wurde, sehen wir uns nun zum Ende der aktuellen Legislaturperiode mit einer Reihe von Reformgesetzen konfrontiert, mit denen Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach meint, die für jede und jeden von uns spürbaren Probleme in unserem Gesundheitssystem lösen zu können.« Doch viele der Reformpläne würden den eigenen Ansprüchen nicht gerecht.
Anke Rüdinger, Vorsitzende des Berliner Apotheker-Vereins, sah die bewährten Apothekenstrukturen in Gefahr: »Die Aufhebung des Kreisgrenzen-Prinzips in Kombination mit der Abschaffung der Anwesenheitspflicht für Apothekerinnen und Apotheker und der Abschaffung der Pflicht zur ständigen Dienstbereitschaft würden bereits kurzfristig unweigerlich zu spürbaren Qualitäts- und Leistungseinschränkungen für Patientinnen und Patienten führen. Mittelfristig muss sogar damit gerechnet werden, dass der Grundsatz der persönlichen apothekerlichen Verantwortung sowie das Fremdbesitzverbot nicht zu halten sein werden.«
Im Anschluss fand eine Podiumsdiskussion statt. Peter Bobbert (Präsident der Ärztekammer Berlin), Dena Rostamzadeh (Inhaberin einer öffentlichen Apotheke), Nicole Praima (betroffene Patientin), Melanie Dolfen (Inhaberin einer öffentlichen Apotheke), Silke Gebel (Bündnis 90/Die Grünen, Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses) und Anne-Kathrin Klemm (Vorständin des BKK-Dachverbands) tauschten ihre Argumente aus. Die provokante Frage des Abends lautete »Apotheken sind nur überbezahlte Abgabestellen – Wahrheit oder verheerender Irrtum?«. Die Moderation übernahm PZ-Chefredakteur Alexander Müller.
In der anschließenden Podiumsdiskussion veranschaulichte die Berliner Apothekerin Dena Rostamzadeh, wie schlimm das Apothekensterben auch für die Patientinnen und Patienten ist: »Jedes Mal, wenn wir ein neues Schild an der Tür aufhängen, fragen die Kunden erschrocken, ob wir unsere Apotheke schließen. Sie fragen: Was wird aus uns? Was sollen wir machen?« Auch wenn sie ihre Offizin nicht aufgeben wolle, leide ihr Betrieb unter der unzureichenden Vergütung und fehlendem Personal.
Auch Inhaberin Melanie Dolfen kennt diese Probleme. Sie beschäftige sich viel mit dem Personal. »Wir verspüren einen starken Rückgang; unser Personal kehrt der Branche den Rücken. Das macht mir Sorgen!« Der PTA- und der PKA-Beruf müssten dringend aufgewertet und besser bezahlt werden. Das sei für viele Apotheken aber aufgrund ihrer schwierigen finanziellen Lage nicht möglich.
Wie unverzichtbar eine wohnortnahe Apotheke für viele Menschen ist, wurde von Nicole Praima veranschaulicht. Ihre 12-jährige Tochter ist pflegebedürftig und benötigt regelmäßig eigens für sie hergestellte Medikamente. »Wenn wir unsere Apotheke vor Ort nicht hätten, dann wären wir aufgeschmissen«, stellte Praima klar.
Als Anne-Kathrin Klemm vom BKK Dachverband nach der in der Apothekenreform geplanten Honorarumschichtung gefragt wurde, sagte sie, »wenn das die Lösung ist, hätte ich gerne mein Problem zurück.« Der Gesundheitsminister adressiere zwar viele reale Probleme, komme aber immer wieder zu den falschen Schlüssen. »Wenn man sich die Umsetzung anschaut, dann raufen sich alle die Haare und sagen, dass es so gar nicht geht«, erzählte Klemm. Ein Beispiel sei das kürzlich vom Bundeskabinett beschlossene Gesundes-Herz-Gesetz. Das werde dazu führen, dass die Kassen künftig viele Primärpräventionsmaßnahmen nicht mehr finanzieren können.
Positiver sah Klemm dagegen die von Lauterbach geplante PTA-Vertretung. »Wir müssen uns fragen, wie wir die Versorgung im ländlichen Raum in Zukunft noch sicherstellen können. Die Alternative ist unter Umständen: gar nicht.« Es sei dann wichtig, dass PTA entsprechende Weiterbildungen erhalten, damit sie eine Apotheke angemessen leiten können. In vielen Ländern gebe es beispielsweise auch hochqualifizierte Pflegefachkräfte, die einige ärztliche Aufgaben übernehmen.
Deutlicher Widerspruch kam von Rostamzadeh. Es sei nicht sinnvoll, PTA aufwendig weiterzubilden, damit sie die Aufgaben von Apothekern übernehmen können. »Die Zahl der Pharmaziestudenten hier in Berlin ist nicht gesunken. Aber der Job des Apothekers ist für sie nicht mehr interessant – die jungen Kolleginnen und Kollegen können sich keine Zukunft in der Apotheke vor Ort vorstellen«, erklärte die Approbierte. Es gebe also eigentlich genug geeignete junge Apotheker, um auch ländliche Regionen zu versorgen. Aber es müssten die richtigen Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit der Nachwuchs den Schritt in die Selbstständigkeit auch wage.