Affenstarke Strategie zur Selbstmedikation |
Theo Dingermann |
02.05.2024 18:00 Uhr |
Einige Lianenarten sind für ihre schmerzstillende Wirkung bekannt. Auch Orang-Utans machen sich diesen Effekt zunutze. / © Nature/Armas
Wildtiere müssen sich selbst zu helfen wissen. Das gelingt ihnen erstaunlich gut – gerade dann, wenn sie sich krank fühlen. In solchen Fällen suchen sie gezielt nach Pflanzen, um diese auf bestimmte Weise für therapeutische Zwecke aufzubereiten.
Beispielsweise behandeln Schimpansen Durchfall, Infektionen und Parasiten mit Heilpflanzen. Zum Teil kauen sie die Blätter ganz anders als jene von Futterpflanzen. Sie rollen sie im Mund hin und her, um die Inhaltsstoffe so für die Aufnahme über die Mundschleimhaut verfügbar zu machen. In einem konkreten Fall wurde ein vier bis fünf Jahre altes und schwer verletztes Borneo-Orang-Utan-Weibchen dabei beobachtet, wie es Blätter und Stängel von Ingwer (Zingiber officinale) fraß. Ingwer ist als Heilpflanze mit entzündungshemmender, antibakterieller, antiviraler und antimykotischer Wirkung auch in der modernen Phytotherapie bekannt.
Über die topische Anwendung von Heilpflanzen bei Tieren gibt es allerdings nur wenige Berichte, die zumeist geringe wissenschaftliche Qualität aufweisen. Einige deuten darauf hin, dass Orang-Utans tatsächlich Hautpartien mit biologisch aktiven Pflanzenstoffen behandeln. So wurden im Sebangau-Nationalpark in Zentral-Kalimantan zwei erwachsene und ein halbwüchsiges Borneo-Orang-Utan-Weibchen dabei beobachtet, wie sie drei bis fünf Minuten lang Blätter des Drachenbaums (Dracaena cantleyi) kauten und sich anschließend den entstandenen grün-weißen Schaum bis zu 35 Minuten lang auf Armen und Beinen einrieben. Die Ureinwohner dieser Region verwenden Dracaena cantleyi als Heilpflanze für verschiedene Indikationen, darunter Muskelkater, Gelenk- und Knochenschmerzen sowie Schwellungen. Die Ergebnisse pharmakologischer Tests deuteten an, dass die Inhaltsstoffe von die TNFα-induzierte Produktion von Entzündungszytokinen zu hemmen scheinen.
Nun berichten Forschende um Dr. Isabelle B. Laumer vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Konstanz im Wissenschaftsmagazin »Nature« über die topische Selbstmedikation einer frischen Wunde durch einen männlichen Sumatra-Orang-Utan (Pongo abelii). Obwohl die Selbstmedikation mit Pflanzen oder Pflanzenteilen bei Wildtieren weit verbreitet ist, gelingt es nur selten, sie dabei zu beobachten.
Dem verletzten Orang-Utan hatte man den Namen Rakus gegeben, damit sowohl die einheimischen Helfer als auch die Forschenden immer die einzelnen Tiere identifizieren konnten. Die Verhaltensbiologen beobachten Rakus in zweiminütigen Intervallen und entdeckten dabei eine Wunde in der rechten Gesichtshälfte und im Maul.
Kurz darauf begann das Tier, Rinde und Blätter der Liane Fibraurea tinctoria zu fressen, die in der Region auch als »Akar Kuning« bekannt ist und von Orang-Utans als Nahrung genutzt wird. Allerdings wird sie nur selten gefressen.
Exakt 13 Minuten nachdem Rakus die Liane gefressen hatte, begann er, die Blätter zu kauen, schluckte sie aber nicht. Stattdessen trug er den Pflanzensaft mit den Fingern direkt auf seine Gesichtswunde auf. Das Tier wiederholte diese Behandlung mehrmals. Insgesamt dauerte sie sieben Minuten. Danach sammelten sich demnach Fliegen einer unbekannten Art auf der Wunde.
Rakus rieb dann die gesamte Wunde mit dem Pflanzenbrei ein, bis sie vollständig mit dem grünen Blattextrakt bedeckt war. Danach fraß er 34 Minuten lang an der Liane. Am nächsten Tag, aber an keinem der folgenden Beobachtungstage, fraß der Orang-Utan erneut für zwei Minuten Blätter von Fibraurea tinctoria.