Adipös trotz normalem BMI? |
Laura Rudolph |
22.06.2023 08:55 Uhr |
Mittels BMI eine Fettleibigkeit ausschließen? Keine gute Idee, meinen US-Forscher. Besser sei, zusätzliche Messinstrumente heranzuziehen, etwa den Taillen- und Hüftumfang. / Foto: Getty Images/bymuratdeniz
Der Body-Mass-Index (BMI) entspricht dem Körpergewicht geteilt durch die Körpergröße zum Quadrat. Zur sicheren Bestimmung einer Adipositas reicht der BMI alleine nicht aus. Er ist zwar ein guter Richtwert, berücksichtigt aber nicht die Zusammensetzung des Körpers aus Fett- und Muskelgewebe oder die Fettverteilung, was schon lange ein Kritikpunkt ist.
Deutlich sicherer lässt sich eine Adipositas mithilfe der Dual-Röntgen-Absorptiometrie (DXA) als Messverfahren für das Gesamtkörperfett bestimmen. Ein Vergleich von BMI- und DXA-Messungen ergab in einer US-Studie, dass nahezu die Hälfte der Probanden, die laut BMI als normal- oder übergewichtig galten, nach den Bestimmungen der DXA-Analyse tatsächlich fettleibig (adipös) waren. Die Ergebnisse stellte der Internist Dr. Aayush Visaria von der Rutgers Universität in New Brunswick, USA, am 16. Juni auf der Jahrestagung der Endocrine Society (»ENDO 2023«) in Chicago vor, wie aus einer Pressemitteilung der Fachgesellschaft hervorgeht.
»Der BMI unterschätzt die wahre Fettleibigkeit bei Weitem«, so Visaria. Sein Forschungsteam habe die DXA- und BMI-Daten von knapp 10.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern der US-Studie »NHANES« (National Health and Nutrition Examination Survey) ausgewertet und mit ihren etwaigen Adipositas-Diagnosen abgeglichen. Das Probandenkollektiv war im untersuchten Studienzeitraum von 2011 bis 2018 zwischen 20 und 59 Jahre alt.
Welche Parameter weisen auf Fettleibigkeit hin? Als adipös gelten Frauen ab einem Körperfettanteil von mindestens 30 Prozent, Männer ab einem Anteil von mindestens 25 Prozent. Die BMI-Grenze für Adipositas liegt bei allen Erwachsenen bei ≥ 30 kg/m2.
Die DXA-Messung, die derzeit das genaueste Verfahrung zur Bestimmung des Gesamtkörperfettanteils ist, zeigte bei knapp drei von vier Studienteilnehmerinnen und –teilnehmern eine Adipositas auf – und war damit diagnostisch wesentlich genauer als der BMI. Nach den BMI-Einstufungen wäre lediglich gut ein Drittel der Probandinnen und Probanden fettleibig.
Bei der Adipositas-Untererfassung zeigten sich Unterschiede zwischen Menschen verschiedener ethnischer Abstammung: Eine Fettleibigkeit trotz BMI < 30 kg/m2 lag häufig bei nicht hispanischen Weißen (44 Prozent), Hispano-Amerikanern und Asiaten (beide 49 Prozent) vor, seltener dagegen bei Afroamerikanern (27 Prozent). »Wir zeigen, dass es ethnische Unterschiede in Bezug auf Körperfett, BMI und Körperfettverteilung gibt. Dies könnte Anhaltspunkte für künftige Studien liefern, um zu ermitteln, ob diese Unterschiede möglicherweise die Ursache für die ethnischen Ungleichheiten bei kardiometabolischen Erkrankungen sind«, so Visaria.
Der Internist betonte auf der Jahrestagung der US-Endokrinologen, dass es aufgrund der diagnostischen Ungenauigkeit des BMI wichtig sei, zusätzlich routinemäßig auch den Körperfettanteil zu erfassen. Dies gelinge ohne großen Zeit- und Kostenaufwand etwa über eine Messung des Taillenumfangs oder mit der sogenannten bioelektrischen Impedanzanalyse, die den elektrischen Gesamtwiderstand des Körpers erfasst. Kritisch wird es bei Männern bei einem Taillenumfang ab 102 cm und bei Frauen bei einem Taillenumfang ab 88 cm. Eine DXA-Messung ist zwar das genaueste, aber neben der Magnetresonanztomografie (MRT) auch eines der teuersten Instrumente zur Bestimmung der Adipositas – und dürfte daher zunächst keinen Einzug in die Regelversorgung finden.
»Wir hoffen, dass diese Forschungsergebnisse die Idee einer gewichtsintegrierenden Versorgung unterstützen und es Klinikern ermöglichen, klinische Entscheidungen zu treffen, die nicht ausschließlich von einer BMI-Berechnung abhängen, sondern vielmehr von der Körperzusammensetzung und der Körperfettverteilung«, sagte Visaria abschließend.