ABDA warnt vor E-Rezept in Krankenkassen-Apps |
Das E-Rezept soll 2024 Pflicht werden. Die ABDA begrüßt dies. Auch sonst fielen die Reaktionen auf die Digitalstrategie des Bundesgesundheitsministers eher positiv aus. / Foto: PZ/Alois Mueller
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach will die schleppende Verbreitung digitaler Anwendungen für Patienten deutlich beschleunigen. »Deutschlands Gesundheitswesen hängt in der Digitalisierung um Jahrzehnte zurück. Das können wir nicht länger verantworten«, sagte der SPD-Politiker bei der Vorstellung der Digitalstrategie am gestrigen Donnerstag und kündigte einen »Neustart« an. Konkret sollen bis Ende 2024 für alle gesetzlich Versicherten E-Akten eingerichtet werden – es sei denn, sie lehnen das ausdrücklich ab (Opt-out-Regelung). Gespeichert werden können darin zum Beispiel Befunde, Röntgenbilder und Listen mit eingenommenen Medikamenten. Erklärtes Ziel bis 2025 ist, dass 80 Prozent der gesetzlich Versicherten E-Akten haben. Außerdem sollen E-Rezepte nach einer bisher stockenden Einführung einfacher nutzbar und Anfang 2024 zum verbindlichen Standard werden.
Um das zu erreichen, will Lauterbach in Kürze zwei Gesetzesinitiativen starten. Das Digitalgesetz soll den Versorgungsalltag mit digitalen Lösungen verbessern. Das Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) soll dazu beitragen, pseudonymisierte Gesundheitsdaten für die Forschung nutzen zu können. Dies soll Deutschland als Forschungsstandort wieder attraktiv machen.
Die Reaktionen der Apothekerschaft, der Krankenkassen und der Industrie auf den Vorstoß des Ministers fielen überwiegend positiv aus. Patientenvertreter äußerten Bedenken hinsichtlich der Opt-out-Regelung. Die Kassenärzte lehnen die Pläne hingegen ab.
Die ABDA begrüßte, dass Lauterbach die Digitalisierung im Gesundheitswesen schneller vorantreiben wolle. Die elektronische Patientenakte (EPA) könne viel Nutzen für die Patienten stiften. Noch drängender sei aber das elektronische Rezept. »Wir sind überzeugt, dass die Gesundheitskarte das Einlösen von E-Rezepten für die Patientinnen und Patienten einfacher, komfortabler und sicherer machen wird«, sagte ABDA-Vizepräsident Mathias Arnold.
Auf Kritik in der ABDA stößt allerdings Lauterbachs Vorstoß, dass das E-Rezept auch über die Krankenkassen-Apps weitergeleitet werden kann. Die Standesvertretung befürchtet, dass die Kassen so Verordnungs- und Abgabedaten sammeln und Patienten lotsen könnten. Krankenkassenspezifische EPA-Apps seien unnötig und könnten zum gläsernen Patienten führen, so Arnold. Die Versicherten dürften nicht ihr Recht auf freie Apothekenwahl verlieren. »Werden sie durch ihre Krankenkassen mit Anreizen, Drohungen oder Gadgets zu bestimmten Apotheken gelotst, führt das letztendlich zur Entmündigung der Versicherten«, warnte Arnold. Er wies darauf hin, dass die Apotheken schon seit September 2022 bundesweit bereitstünden, um E-Rezepte einzulösen.
Ein positives Echo kommt aus der Industrie. Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) bewertete als positiv, dass die forschenden Arzneimittel-Hersteller auf Antrag Zugang zu Forschungsdaten erhalten sollen. Um den Gesundheitsstandorts Deutschland weiter zu stärken, sei dabei die Verknüpfung unterschiedlicher Datenquellen wichtig. In Bezug auf das elektronische Rezept plädierte BAH-Hauptgeschäftsführer Hubertus Cranz dafür, auch für die Einführung des elektronischen grünen Rezepts – also einer elektronischen Empfehlung – konkrete Termine festzulegen.
Laut dem Branchenverband Bitkom ist die verbindliche Einführung der elektronischen Patientenakte »ein Durchbruch bei der Digitalisierung«. Mit ihr erhielten die Versicherten einen schnellen Zugriff auf ihre medizinischen Daten und Diagnosen, Ärztinnen und Ärzte könnten sich ein viel besseres Bild der Krankengeschichte ihrer Patienten machen. Wichtig sei nun vor allem, die Akzeptanz für die EPA innerhalb der Bevölkerung zu steigern.
Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, kritisierte hingegen die geplante Opt-out-Regelung und forderte Lauterbach auf, das Gesetz nachzubessern. »Dem Bürger darf nicht die Kontrolle über seine medizinischen Informationen entzogen werden. Denn Schweigen bedeutet nicht Zustimmung«, betonte Brysch. Er befürchtet zudem, dass nicht technisch versierte Menschen in ihren Rechten beschnitten werden könnten. Dazu gehören mehr als 20 Prozent der über 65-Jährigen. Zudem müsse der Gesetzgeber sicherstellen, dass Gesundheitsdaten, die der Forschung zu Verfügung stehen sollen, ungefiltert veröffentlicht werden. »Viel zu oft verschwinden unliebsame Resultate der Auftraggeber wieder in der Schublade«, warnte Brysch.
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hält die Pläne für unausgereift und die Terminsetzung für überhastet. Die Versorgungsrealität in den Praxen sei nicht ausreichend berücksichtigt. »Mit Blick auf die noch fehlenden konkreten inhaltlichen Vorgaben, die daraus abgeleiteten technischen Festlegungen und ihre datenschutzkonformen Implementierungen in den IT-Systemen ist das erklärte Ziel einer verpflichtenden Einführung ab 1. Juli 2024 für jeden erkennbar unrealistisch«, konstatierten die KBV-Vorstände. Werde die EPA als Folge unrealistischer Termine unausgereift durchgesetzt, könne dies die Akzeptanz bei Ärztinnen und Ärzten sowie Patientinnen und Patienten nachhaltig beschädigen. Die Opt-out-EPA müsse für Patienten leicht nutzbar sein und die Arbeit in den Praxen erleichtern. Aus diesem Grund habe die KBV den Beschlussvorschlag der Gematik bei der Gesellschafterversammlung am 7. März abgelehnt. Zugleich seien die Kassenärzte bereit, konstruktiv mitzuarbeiten, um für Patienten und Praxen gleichermaßen gut funktionierende EPA-Lösungen zu entwickeln, so die KBV-Vorstände.
Lob für die Strategie kommt hingegen von den Kassen. Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Spitzenverband) begrüßte den »Rückenwind für die Digitalisierung«. Die EPA habe das Potenzial, zum »Herzstück eines digital modernisierten Gesundheitswesens zu werden«. Wichtig sei die verpflichtende Befüllung der elektronischen Patientenakte durch Ärztinnen und Ärzte, denn nur so könne die EPA die medizinische Versorgung unterstützen, betonte die Vorstandsvorsitzende Doris Pfeiffer. AOK-Bundesverbandschefin Carola Reimann nannte »Opt-Out« den »Zentralschalter« zur Beschleunigung. Die AOK unterstütze die Digitalstrategie und das Ziel, den Datenschutz effizienter zu gestalten.
Ähnlich äußerte sich der Verband der Ersatzkassen (vdek). Aus Sicht des vdek ist es richtig, dass das E-Rezept zum 1. Januar 2024 verbindlicher Standard sein soll und dass dafür Hürden bei der Nutzung abgebaut werden sollen. Zwingende Voraussetzung dafür sei, dass das E-Rezept mit der elektronischen Gesundheitskarte ohne Eingabe einer PIN eingelöst werden könne und nicht wie bisher nur über die Gematik-App. Deutliche Kritik übte der vdek an den Plänen zum Umbau der Gematik in eine Digitalagentur, die zu 100 Prozent Eigentum des Bundes sein soll. Dazu Jörg Meyers-Middendorf als Vertreter der Vorstandsvorsitzenden: »Diese Verstaatlichung der Gematik lehnen wir ab. Der Staat bestimmt und die GKV soll zahlen – so geht das nicht«
Die Techniker Krankenkasse (TK) hält die Digitalstrategie für einen »wichtigen Push« für die EPA und das E-Rezept. Entscheidend sei, dass die Änderungen zügig Einzug in den Praxisalltag fänden, sagte Vorstandschef Jens Baas. Er forderte, die Ärzte zu verpflichten, Behandlungsdaten in die Akte einfließen zu lassen. Damit mehr Patienten die E-Akte nutzten, müsse zudem der Anmeldeprozess einfacher gestaltet werden, schlug Baas vor. IKK-Geschäftsführer Jürgen Hohnl begrüßte ebenfalls, dass Lauterbach die Digitalisierung vorantreiben wolle. Unklar sei hingegen, wer für die Finanzierung zuständig sei. Kritisch sieht Hohnl die Pläne, die Gematik zu einer Digitalagentur in 100-prozentiger Trägerschaft des Bundes weiterentwickeln zu wollen. Die Private Krankenversicherung kündigte an, Lauterbach bei der Umsetzung der Digitalisierungsstrategie zu unterstützen.
Beifall spendeten auch Vertreter der Ampelkoalition. Nach Ansicht von Dagmar Schmidt, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, stellt Lauterbach mit seinen Plänen »die Weichen für ein modernes Gesundheitssystem, das für die Patienten eine bessere Qualität sicherstellt«. Das Digitalgesetz stehe für »weniger Papierkram, bessere Medikamentenversorgung und bestmögliche Versorgungsabläufe«. Der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen sagte der Deutschen Presse-Agentur: »Die digitale Patientenakte kann Leben retten, weil sie Ärzten sofort alle wichtigen Informationen über einen Patienten zur Verfügung stellt.« Sie müsse daher zum Standard werden. Die Widerspruchslösung sei »ein verhältnismäßiger Weg«. Dabei solle man Datenschutz und Gesundheitsschutz nicht gegeneinander ausspielen.
Christine Aschenberg-Dugnus, parlamentarische Geschäftsführerin der FDP-Fraktion, hält es für wichtig und richtig, dass mit der Digitalisierungsstrategie des Bundesgesundheitsministeriums eine Limitierung von telemedizinischen Leistungen aufgehoben werde. Die Digitalisierung im Gesundheitswesen sei essenziell für eine moderne und effiziente Versorgung. Darauf dränge die FDP-Fraktion seit Jahren. »Mit der elektronischen Patientenakte wird den Gesundheitsakteuren die Möglichkeit gegeben, sich schnell ein umfassendes Bild vom Gesundheitszustand des Patienten zu verschaffen«, so Aschenberg-Dugnus.
Das Papier-Rezept ist ein Auslaufmodell. Mit dem E-Rezept sollen alle Arzneimittel-Verordnungen über die Telematikinfrastruktur abgewickelt werden. Wir berichten über alle Entwicklungen bei der Einführung des E-Rezeptes. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite E-Rezept.