47 Milliarden Euro Einsparpotenzial durch Innovationen |
| Melanie Höhn |
| 05.11.2025 16:00 Uhr |
Die Studie hat untersucht, welchen Einfluss Innovationen aus der industriellen Gesundheitswirtschaft (iGW) auf eine langfristig tragfähige Finanzierung des Gesundheitssystems haben können. / © Adobe Stock/Nuttapon/Generiert mit KI
Das deutsche Gesundheitssystem steht vor großen finanziellen Herausforderungen, insbesondere im Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Diese gerät durch den demografischen Wandel und steigende Kosten immer weiter unter Druck. Die Bundesregierung will mit einem umfangreichen Sparpaket im kommenden Jahr in diesem Bereich rund zwei Milliarden Euro einsparen. Jüngst drängte die AOK auf höhere Sparbeiträge von Apotheken.
Eine Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts Prognos im Auftrag des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) hat nun herausgefunden, dass medizinische, technologische und digitale Lösungen die Kosten im Gesundheitssystem reduzieren und damit zur finanziellen Stabilisierung der GKV beitragen können.
Die Analyse hat konkret untersucht, welchen Einfluss Innovationen aus der industriellen Gesundheitswirtschaft (iGW) auf eine langfristig tragfähige Finanzierung des Gesundheitssystems haben können. Ein Ergebnis: Damit könnten jährlich Effizienzgewinne von 20,8 Milliarden Euro erzielt werden. Die betrachteten Einsparpotenziale, die sich direkt auf die GKV-Leistungsausgaben beziehen, steigen laut der Studie auf 47 Milliarden Euro im Jahr 2045.
Die Sparpotenziale verteilen sich auf die Bereiche Medizintechnik, digitale Gesundheitslösungen (E-Health), Biotechnologie und Humanarzneimittel. Besonders hoch sind laut der Studie die Effizienzgewinne in der Medizintechnik sowie durch eine stärkere Verlagerung von Leistungen in den ambulanten Sektor. Auch digitale Anwendungen wie Telemedizin, Registersysteme oder KI-gestützte Diagnostik würden erheblich zur Kostenreduktion beitragen.
Im Segment Arzneimittel und Biotechnologie würden moderne Therapien, Biosimilars und individualisierte Medizin die Ausgaben nachhaltig senken. Im Hinblick auf Humanarzneimittel würden sich innovative Entwicklungen auf pharmazeutische und biotechnologische Fortschritte konzentrieren, die gegenwärtig und zukünftig in der Gesundheitswirtschaft eine Rolle spielen können. Dazu zähle insbesondere die Erforschung neuer Wirkstoffe und Medikamentenformulierungen zur Vorbeugung, Diagnose und Behandlung von Krankheiten, sowie die Entwicklung von Biopharmazeutika und personalisierten Therapieansätzen, einschließlich moderner Gen- und Zelltherapien. Die Anwendung von Technologien wie gezielter Medikamentenfreisetzung und neuartigen Verabreichungssystemen sei ebenfalls von zentraler Bedeutung.
Im Bereich der Biotechnologie würden Innovationspotenziale in der Anwendung biologischer Systeme und Organismen zur Entwicklung fortschrittlicher Therapiemöglichkeiten liegen. Dazu zählen laut der Autoren insbesondere die Schaffung biopharmazeutischer Wirkstoffe, Gen- und Zelltherapien, genetisch modifizierter Organismen und neuer Impfstoffe. Fortschritte in der Gentechnologie und Genom-Editierung seien entscheidend für die Umsetzung personalisierter Medizin und gezielter Therapien, die herkömmliche Therapieansätze zunehmend ablösen könnten. Der gezielte Einsatz von Technologien wie CRISPR zur Genombearbeitung und bioinformatischen Werkzeugen für die Datenanalyse spiele hierbei eine wesentliche Rolle.
Für die Studie analysierten die Forscherinnen und Forscher quantifizierbare Effizienzpotenziale im Wirkungsbereich der iGW: Hierzu wurden rund 80 Beispiele aus Forschung, Praxis und Literatur systematisch erfasst und bewertet. Davon wurden 21 Beispiele als hinreichend quantifizierbar eingestuft und als Basis für die Szenariorechnung zu den Effekten auf die GKV-Finanzierung verwendet.
Dabei wurden die Einsparpotenziale in zwei Szenarien modelliert. Im Referenzszenario, das von einer Fortschreibung der aktuellen Rahmenbedingungen ausgeht, steigen die GKV-Leistungsausgaben bis 2045 auf 663 Milliarden Euro. Dies hätte eine Erhöhung des Beitragssatzes von derzeit 17,1 Prozent auf 20,1 Prozent zur Folge. Im zweiten Szenario »Vorfahrt für Innovation und Digitalisierung«, das die schrittweise Realisierung
der identifizierten Effizienzpotenziale ab 2026 unterstellt, würden die Ausgaben nur auf 616 Milliarden Euro steigen. Dies entspreche einer Einsparung von 47 Milliarden Euro gegenüber dem Referenzszenario und ermögliche eine Begrenzung des Beitragssatzes auf 18,7 Prozent im Jahr 2045. Die Beitragssatzreduktion um 1,4 Prozentpunkte würde Versicherte und Unternehmen spürbar entlasten, heißt es in der Studie.
Laut der Studie kann die iGW nicht nur zur finanziellen Stabilisierung der GKV beitragen, sondern auch die
Versorgungsqualität verbessern. Zudem würden »weitere Effizienzreserven außerhalb des direkten Wirkungsbereichs der iGW« existieren, etwa durch eine optimierte Patientensteuerung, eine konsequente Digitalisierung der GKV-Administration oder durch präventive Maßnahmen.
Investitionen in das Gesundheitswesen, verbesserte Therapien und präventive Ansätze würden zudem »vielfältige gesellschaftliche und wirtschaftliche Vorteile« mit sich bringen, zum Beispiel auch die Verbesserung der Lebensqualität der Bevölkerung sowie die Steigerung von Wertschöpfung und Beschäftigung, dabei geht es um Produktivitätssteigerung durch vermiedene Arbeitsunfähigkeit, Verlängerung der Erwerbsbiografie, Vermeidung von Folgeerkrankungen und Entlastungen bei der informellen Pflege und der Hausarbeit.
Diese Zahlen verdeutlichen laut der Studienautoren, dass Investitionen in Gesundheitsinnovationen nicht nur medizinisch, sondern auch ökonomisch sinnvoll sind und einen wichtigen Beitrag zur Zukunftsfähigkeit des Gesundheitssystems leisten können.