374.000 mal Apps auf Rezept verschrieben |
Daniela Hüttemann |
08.01.2024 14:00 Uhr |
Auch aus Sicht der GKV liefern DiGA wichtige Messdaten und können die Versorgung verbessern. Das muss allerdings für jede einzelne App nachgewiesen werden. / Foto: Getty Images/DragonImages
Zwischen dem 1. Oktober 2022 und dem 30. September 2023 gab es rund 209.000 Verordnungen und Genehmigungen für digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) für gesetzlich Krankenversicherte – das waren 68 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum (12.400). Die Krankenkassen gaben dafür 67,5 Millionen Euro innerhalb eines Jahres aus, wie der GKV-Spitzenverband heute bei der Vorstellung seines Jahresberichts bekannt gab.
Seit Einführung der DiGA im Oktober 2020 waren es insgesamt 374.000 Inanspruchnahmen, die insgesamt 113 Millionen Euro gekostet haben, also eine noch überschaubare Summe im Vergleich zu anderen Versorgungsformen wie dem Arzneimittelbereich. Zuletzt waren es rund 20.000 eingelöste Freischalt-Codes pro Monat. Die Zahl steigt laut Spitzenverband kontinuierlich.
Der GKV-Spitzenverband zeigte sich erfreut, dass das Interesse offenbar zunehme, da er die »Apps auf Rezept« grundsätzlich für eine gute Ergänzung der anderen Versorgungsangebote hält. Allerdings kritisierte der Verband gleichzeitig die Preispolitik der Anbieter und den fehlenden Nutzennachweis bei der ersten Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis. Bei der Mehrzahl der DiGA gelinge es nach wie vor nicht, einen positiven Effekt auf die Versorgung der Patienten nachzuweisen.
Der Verband fordert einen Nutzennachweis bereits vor der Aufnahme. Bislang ist es so, dass das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) einen Hersteller-Antrag in einem dreimonatigen Fast-Track-Verfahren prüft. Neben Datenschutz und Risikoklasse wird nur überprüft, ob eine Aussicht auf einen Nutzen besteht.
Zudem muss der Hersteller eine Studie zum Nutzennachweis begonnen haben. Er hat dann normalerweise zwölf Monate Zeit (Verlängerung möglich), um die nötigen Studiendaten zu erbringen. In dieser Zeit kann der Hersteller den Preis frei festlegen. Ab dem 13. Monat wird verhandelt. Einigen sich Hersteller und GKV-Spitzenverband nicht, legt eine Schiedsstelle den Preis fest.
»Wir brauchen ein gesetzliches Update«, fordert Vorständin Stefanie Stoff-Ahnis. »Wir brauchen einen nachgewiesenen positiven Versorgungseffekt und die Geltung verhandelter Preise ab Tag 1 der Aufnahme ins Verzeichnis. Wir zahlen als GKV ja auch nicht für Arzneimittel, die keinen Nutzen haben.« Sie kritisierte die »Mondpreise«, die einige Hersteller am Anfang aufriefen. Es herrsche immer noch »Goldgräberstimmung« in der teils fachfremden Branche.
Denn die bei Erstaufnahme erhobenen Preise sind in den vergangen Jahren beständig gestiegen. Während der durchschnittliche Herstellerpreis im Berichtsjahr bei 593 Euro pro Quartal lag, riss zuletzt vor allem die DiGA Levidex von Anbieter Gaia mit einem Preis von 2077 Euro aus – das Zehnfache des Durchschnitts der verhandelten Preise.
Dieses Programm für MS-Patienten bietet eine Verhaltenstherapie speziell für diese Patientengruppe, allerdings ist der Umfang vergleichbar mit anderen verhaltenstherapeutischen DiGA. Eine »Überbezahlung« im ersten Jahr kritisiert der GKV-Spitzenverband als Wirtschaftsförderung auf Kosten der Solidargemeinschaft.
Wenn sich dann herausstelle, dass eine App nichts bringe, habe man zudem lange Zeit auf eine falsche Therapieform gesetzt, so Stoff-Ahnis. Dies gefährde die Akzeptanz und das Vertrauen in diese Versorgungsform allgemein, die jedoch durchaus das Potenzial habe, die Versorgung zu verbessern, gerade an den Schnittstellen im Gesundheitswesen.
Laut GKV werden sich Krankenkassen und Anbieter in zwei Drittel der Fälle einig beim Preis; das letzte Drittel wird über die Schiedsstelle entschieden. Der verhandelte beziehungsweise festgelegte Erstattungspreis lag zuletzt im Schnitt bei 221 Euro pro Quartal. »Abschläge von bis zu 67 Prozent zeigen, dass die beim Eintritt in die Regelversorgung von den Herstellenden aufgerufenen Preise nicht angemessen sind«, so der GKV-Spitzenverband.
Stand 1. Oktober 2022 waren erst 33 Anwendungen im DiGA-Verzeichnis aufgelistet und damit verordnungsfähig. Zum Abschlusszeitpunkt des GKV-Berichts, dem 30. September 2023, waren es bereits 49 DiGA. Aktuell sind es 52, davon 29 dauerhaft aufgenommene und 23 vorläufig aufgenommene. Nur bei den dauerhaft aufgenommenen DiGA gilt der Nutzen als erwiesen. Insgesamt sechs Anwendungen wurden bereits wieder gestrichen. Zudem gab es Teilstreichungen bei den Indikationen.
Mit Abstand am häufigsten werden DiGA bei psychischen Erkrankungen verordnet – hierunter fällt auch ein Großteil der verfügbaren DiGA, zum Beispiel bei Depressionen, Angsterkrankungen oder Schlafstörungen. Danach folgen DiGA bei Stoffwechselerkrankungen (vor allem Adipositas) und Knie- und Rückenschmerzen. Sie werden zu 40 Prozent von Hausärzten verordnet.
Derzeit nehmen mehr Frauen als Männer DiGA in Anspruch (71 Prozent). Die meisten Nutzer sind zwischen 50 und 60 Jahren alt, doch seien DiGA erfreulicherweise in allen Altersgruppen angekommen. Sogar 25 Über-90-jährige Nutzerinnen und Nutzer seien dabei.