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Cannabis auf Rezept: Keine Anzeichen für Missbrauch

 

Bundesweit sind nach einem Report der Techniker Krankenkasse (TK) seit Freigabe von Cannabis für medizinische Zwecke schon mehr als 16.000 Anträge bei den Krankenkassen eingegangen. Die Zahlen schwanken von Kasse zu Kasse, aber im Schnitt fällt rund die Hälfte der Anträge beim Medizinischen Dienst durch.

«In der Anfangsphase war deutlich erkennbar, dass es eine Gruppe von Patienten gab, die bereits süchtig war», sagt Markus Heckmann, Sprecher der Barmer für Berlin und Brandenburg. «Und die dann den Versuch unternommen hat, ihre Abhängigkeit auf Kassenrezept zu finanzieren.» Auch heute kämen solche Einzelfälle noch vor. Mehrheitlich stellten die Ärzte aber Anträge für Patienten, die aufgrund ihrer Erkrankung Cannabis als Behandlungschance sähen. Auch die TK hat bislang nicht den Eindruck, dass Patienten das System für einen Rausch auf Rezept ausnutzen.

Die Barmer verzeichnete in der Anfangsphase eine hohe Anzahl von Anträgen für Cannabis-Blüten. «Dies haben wir zum Teil mit Sorge betrachtet», sagt Sprecher Heckmann. Die Wirkung von Blüten lasse sich deutlich schwerer einschätzen als in Arzneimitteln mit klar definierten Konzentrationen. «Entsprechend hoch ist bei Cannabisblüten das Sucht- und Nebenwirkungspotenzial.» In der letzten Zeit habe sich jedoch gezeigt, dass sich Ärzte bei den Verordnungen umorientierten: weg von den Blüten.

Manche Ärzte und Apotheker, die Anträge auf Cannabis prüfen, möchten ihren Namen nicht in der Zeitung lesen. Sie fürchten Schikanen. «Wir werden als Feind gesehen, wenn wir Anträge ablehnen», sagt einer. Er führe Telefonate mit verzweifelten Ärzten. «Sie werden von ihren Patienten bedroht, wenn sie ihnen kein Cannabis verschreiben.» Er vermutet auch, dass Praxen mit Cannabis-Therapien Werbung machen und so «Kunden» anlockten. Der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin sei so etwas nicht bekannt, sagt Sprecherin Ronja Witt. Die Top Ten der Abrechner falle in die Arztgruppen Schmerztherapie, Innere Medizin mit Schwerpunkt Krebs und Anästhesie. Oft seien es Medizinische Versorgungszentren, angegliedert an Kliniken.
 
Es gibt auch viele unstrittige Anträge. Zum Beispiel bei der medizinischen Versorgung in der letzten Lebensphase. «Das muss innerhalb von drei Tagen beschieden werden», sagt Susanne Dolfen, Bereichsleiterin Arzneimittelversorgung bei der AOK Nordost. «Ärzte begründen diese Anträge in der Regel sehr fundiert.» Damit könnten sie auch sofort genehmigt werden. Oft ließe die Qualität anderer Anträge aber zu wünschen übrig. «Dann liegen keine Erkrankungen im Sinne des Gesetzes vor oder die Standardtherapien wurden vorher nicht ausgeschöpft.» Bei Zweifeln reicht die Kasse einen solchen Antrag an den MDK weiter für ein Gutachten.

Die TK hat in ihrem Cannabis-Report aufgelistet, wann Präparate verordnet wurden: bei Tumorschmerz- und Tumorleiden, in der letzten Lebensphase, bei Lungen- und Darmerkrankungen, Nervenerkrankungen, Epilepsie, bei Schmerzen, Tourette-Syndrom und bei Appetitlosigkeit.

Hellhörig werden Gutachter bei Anträgen auf Cannabis, wenn ein Patient vorher kaum Diagnosen und Verschreibungen erhielt und niemals im Krankenhaus war. «Misstrauisch werden wir auch, wenn ein Gynäkologe einem Patienten wegen ADHS Cannabis verordnet», scherzt ein Prüfer. «Das jetzt aber nur als Hypothese.» Und besonders sensibilisiert sind Gutachter, wenn Patienten Cannabis-Blüten in sehr hoher Dosierung bekommen sollen. Denn das lasse vermuten, dass sie den Stoff vorher schon regelmäßig illegal konsumierten und an hohe Dosen gewöhnt sind.

«Es gibt nichts, was es nicht gibt», sagt ein Cannabis-Gutachter zu den Diagnosen, die er jeden Tag auf den Tisch bekommt. Gerade diese Beliebigkeit stört ihn. GKV-Sprecherin Ann Marini kann den Unmut verstehen. «Anders als bei anderen Medikamenten musste Cannabis nicht vorab anhand von Studien nachweisen, dass es verlässlich und sicher wirkt», sagt sie.

Jeder Arzt, der Cannabis verordnet, ist nun verpflichtet, die Behandlungsergebnisse zu dokumentieren und das Ergebnis an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zu geben. Damit soll sich später zeigen, ob oder wie Cannabis bei welchen Patienten wirkt oder eben nicht. «Wir werden also, wenn überhaupt, frühestens in einigen Jahren hoffentlich jene Kenntnisse zu Cannabis haben, die andere Medikamente bei der Zulassung vorlegen müssen», sagt Marini. Kritiker nennen das eine Feldforschung, wie es sie seit dem Contergan-Skandal nicht mehr gegeben habe.

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24.08.2018 l PZ/dpa

Foto: Fotolia/Tinnakorn

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