Pharmazeutische Zeitung online

Plötzlicher Kindstod: Seltene Genmutation prädisponiert

 

Der plötzliche Kindstod ist in einigen Fällen möglicherweise auf ein genetisch bedingtes Versagen der Atemmuskulatur zurückzuführen. Zu diesem Schluss kommen britische und US-amerikanische Wissenschaftler, nachdem sie Gewebeproben von verstorbenen Säuglingen genetisch analysiert haben. Ihr Bericht erschien heute im Fachjournal «The Lancet».

Vom plötzlichen Kindstod spricht man, wenn ein scheinbar gesundes Kind unerwartet verstirbt – typischerweise im Alter zwischen zwei und vier Lebensmonaten – und die Todesursache letztlich nicht geklärt werden kann. Zu den bekannten Risikofaktoren zählen unter anderem Zigarettenrauch-Exposition, das Schlafen in Bauchlage oder unter bestimmten Begebenheiten im Bett der Eltern. Männliche Neugeborene und Frühgeborene gelten als besonders gefährdet.

Die Wissenschaftler um Erstautor Dr. Roope Männikkö vom University College London haben nun untersucht, wie häufig Mutationen des SCN4A-Gens, das für ein Transmembranprotein in der Skelettmuskulatur kodiert, bei den betroffenen Kindern nachweisbar sind. Bei dem Membranprotein handelt es sich um einen spannungsgesteuerten Natriumkanal, der die Erregbarkeit der Muskelzellen reguliert. Funktioniert er nicht optimal, verlieren die Muskeln an Kraft. Im Erwachsenenalter manifestiert sich eine solche Mutation in Form neuromuskulärer Störungen, beispielsweise einer Myasthenie oder Myopathie. Da der dysfunktionale Natriumkanal auch auf der Atemmuskulatur exprimiert wird, kommt es bei den Mutationsträgern häufig auch zu respiratorischen Problemen: Lebensbedrohliche Apnoe-Attacken können auftreten.

Um zu klären, ob SCN4A-Genmutationen für den plötzlichen Kindstod prädisponieren, haben die Forscher die DNA von 278 verstorbenen Kindern kaukasischer Abstammung sequenziert. In allen Fällen war die Todesursache trotz umfangreicher forensischer Untersuchungen unklar geblieben. Das Vergleichskollektiv bildeten 729 gesunde Erwachsene gleicher Ethnie, die weder an kardialen noch an neurologischen oder respiratorischen Vorerkrankungen litten. Das Ergebnis: Bei vier der verstorbenen Kinder (1,4 Prozent) aber bei keinem der Kontrollprobanden konnte eine dysfunktionale SCN4A-Genvariante nachgewiesen werden.

«Der plötzliche Kindstod hat möglicherweise eine genetische Basis», schlussfolgern Männikkö und Kollegen. Sie vermuten, dass die bei den verstorbenen Babys überproportional häufig nachgewiesene Natriumkanal-Mutation die Vulnerabilität der Kinder für exogene respiratorische Stressoren in einer diesbezüglich kritischen Entwicklungsphase erhöht. Aufgrund einer Schwäche der Atemmuskulatur sind sie in Risikosituationen – beispielsweise bei Rauchexposition, einer ungünstigen Schlafposition, einer Verlegung der Atemwege oder einer leichten Erkrankung – nicht in der Lage, angemessen auf eine Hypoxie zu reagieren, also ihre Atmung zu beschleunigen, zu Husten oder den Atem kurzzeitig anzuhalten.

«Noch verstehen wir die Zusammenhänge zwischen der Genmutation und dem plötzlichen Kindstod nicht vollständig», sagen die Wissenschaftler in einer Pressemitteilung. Insbesondere die klinische Bedeutung des Defekts ist noch unklar. Weitere prospektive Studien an anderen ethnischen Kollektiven müssen daher folgen. Sollten sich die Ergebnisse reproduzieren lassen, muss auch über medikamentöse Behandlungsoptionen nachgedacht werden: So deutet laut den Autoren etwa ein Fallbericht darauf hin, dass der Carboanhydrasehemmer Acetazolamid, der unter anderem zur Prophylaxe der Höhenkrankheit eingesetzt wird, auch bei SCN4A-Mutation die Atmungseffektivität erhöht. Möglicherweise profitieren Geschwister eines am plötzlichen Kindstod verstorbenen Kindes von einer solchen prophylaktischen Medikation.

«Die Genmutation ist aber mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht der einzige Grund für den plötzlichen Kindstod», schließen die Wissenschaftler. Eltern sollten daher in jedem Fall für eine sichere Schlafumgebung ihrer Kinder sorgen. (jl) 

DOI: 10.1016/S0140-6736(18)30021-7

 

29.03.2018 l PZ

Foto: Fotolia/Anke Thomass

Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
 
FAQ
SENDEN
Wie kann man die CAR-T-Zelltherapie einfach erklären?
Warum gibt es keinen Impfstoff gegen HIV?
Was hat der BGH im Fall von AvP entschieden?
GESAMTER ZEITRAUM
3 JAHRE
1 JAHR
SENDEN
IHRE FRAGE WIRD BEARBEITET ...
UNSERE ANTWORT
QUELLEN
22.01.2023 – Fehlende Evidenz?
LAV Niedersachsen sieht Verbesserungsbedarf
» ... Frag die KI ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln. ... «
Ihr Feedback
War diese Antwort für Sie hilfreich?
 
 
FEEDBACK SENDEN
FAQ
Was ist »Frag die KI«?
»Frag die KI« ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums versehen, in denen mehr Informationen zu finden sind. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung verfolgt in ihren Artikeln das Ziel, kompetent, seriös, umfassend und zeitnah über berufspolitische und gesundheitspolitische Entwicklungen, relevante Entwicklungen in der pharmazeutischen Forschung sowie den aktuellen Stand der pharmazeutischen Praxis zu informieren.
Was sollte ich bei den Fragen beachten?
Damit die KI die besten und hilfreichsten Antworten geben kann, sollten verschiedene Tipps beachtet werden. Die Frage sollte möglichst präzise gestellt werden. Denn je genauer die Frage formuliert ist, desto zielgerichteter kann die KI antworten. Vollständige Sätze erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer guten Antwort.
Wie nutze ich den Zeitfilter?
Damit die KI sich bei ihrer Antwort auf aktuelle Beiträge beschränkt, kann die Suche zeitlich eingegrenzt werden. Artikel, die älter als sieben Jahre sind, werden derzeit nicht berücksichtigt.
Sind die Ergebnisse der KI-Fragen durchweg korrekt?
Die KI kann nicht auf jede Frage eine Antwort liefern. Wenn die Frage ein Thema betrifft, zu dem wir keine Artikel veröffentlicht haben, wird die KI dies in ihrer Antwort entsprechend mitteilen. Es besteht zudem eine Wahrscheinlichkeit, dass die Antwort unvollständig, veraltet oder falsch sein kann. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung übernimmt keine Verantwortung für die Richtigkeit der KI-Antworten.
Werden meine Daten gespeichert oder verarbeitet?
Wir nutzen gestellte Fragen und Feedback ausschließlich zur Generierung einer Antwort innerhalb unserer Anwendung und zur Verbesserung der Qualität zukünftiger Ergebnisse. Dabei werden keine zusätzlichen personenbezogenen Daten erfasst oder gespeichert.