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Opioid-Missbrauch: Auch in Deutschland droht eine Krise

 

Eine Opioid-Krise, wie sie derzeit in den USA zu beobachten ist, könnte auch in Deutschland eintreten. Denn der Pro-Kopf-Verbrauch der starken Schmerzmittel ist hierzulande in den vergangenen Jahren stetig gestiegen und hat mittlerweile ein Niveau erreicht, das nicht mehr weit von den Verhältnissen in den USA entfernt ist. Das berichtete Professor Dr. Christoph Stein, Direktor der Klinik für Anästhesiologie am Benjamin-Franklin-Krankenhaus der Berliner Charité, am Mittwoch bei einem Symposium der Bundesapothekerkammer (BAK) in Berlin. Die Opioide würden dabei hauptsächlich Patienten mit chronischen Nicht-Tumorschmerzen verordnet – bei denen sie jedoch nicht gut wirkten, so der Anästhesist.

Stein zitierte eine Metaanalyse, die er selbst zusammen mit Kollegen der Universität Darmstadt 2014 im «British Journal of Pharmacology» veröffentlicht hat, wonach selbst starke Opioide bei chronischen Nicht-Tumorschmerzen auf einer 100-Punkte-Skala zur Schmerzintensität lediglich eine Reduktion um 12 Punkte bewirken. «Das gilt allgemein als nicht klinisch signifikanter Effekt», sagte Stein. Ein solcher sei erst ab einer Schmerzreduktion um circa 30 Punkte gegeben.

Die breite Anwendung der offensichtlich nicht gut wirksamen Medikamente in dieser Patientengruppe sei sehr kritisch zu sehen, weil es auch bei Schmerzpatienten häufig zu Opioid-Missbrauch und -Sucht komme. «Viele Jahre wurde das Märchen erzählt, dass Schmerzpatienten nicht süchtig werden. Das ist aber völlig falsch.» Eine Metaanalyse im Fachjournal «Pain» aus dem Jahr 2015 habe gezeigt, dass mindestens 17 Prozent der Patienten die Medikamente missbräuchlich anwenden und mindestens 20 Prozent süchtig werden.

Aus diesem Grund sehe die Leitlinie «Langzeitanwendung von Opioiden bei nicht tumorbedingten Schmerzen» (LONTS) die Anwendung der Schmerzmittel ausschließlich in Kombination mit nicht medikamentösen Maßnahmen vor. Hier seien vor allem Physiotherapie und psychologische Verfahren zu nennen. Die Anwendung von Opioiden sei auf maximal drei Monate beschränkt, da es keine randomisierten, kontrollierten Studien gebe, in denen Patienten über einen längeren Zeitraum beobachtet wurden. Die Leitlinie sei aufgrund ihrer sehr zurückhaltenden Empfehlungen massiv kritisiert worden – und zwar hauptsächlich von Gruppen, hinter denen kommerzielle Interessen von Pharmafirmen stehen, so der Experte.

Opioide als starke Schmerzmittel und Betäubungsmittel sind sicher ein Extrembeispiel, aber auch bei vermeintlich schwächer wirkenden Arzneimitteln steigt die Tendenz zum Missbrauch. Das berichtete BAK-Präsident Dr. Andreas Kiefer (Foto). An der Einstellung zum Arzneimittel habe sich etwas geändert in der Gesellschaft: «Die kritische Sicht auf die Beeinflussung von Körperfunktionen durch Arzneistoffe ist einer Alles-ist-möglich-Mentalität gewichen.» Immer häufiger sähen sich Apotheker in öffentlichen Apotheken mit Nachfragen nach leistungssteigernden Arzneimitteln und solchen, die die Lebenssituation verbessern, konfrontiert. Die BAK hat vor diesem Hintergrund ihren Leitfaden zum Thema Arzneimittelmissbrauch aktualisiert.

Die beobachtete Entwicklung sei aus mehreren Gründen sehr bedenklich, so Kiefer. Erstens sei zu hinterfragen, ob es einen Zwang zur Selbstoptimierung überhaupt geben soll – zumal auch die soziale Gerechtigkeit auf der Strecke bleibe, da sich das nicht jeder leisten könne. Zweitens führe die Entwicklung zu einer Trivialisierung von Arzneimitteln. Diese sei gefährlich, denn es gebe keine Wirkung ohne Nebenwirkung. Last but not least müsse der moderne Mensch akzeptieren, dass sich auch mit Medikamenten die eigene Biologie nicht grundlegend verändern lasse. «Durch Neuroenhancement wird niemand intelligenter», sagte Kiefer. Das sogenannte Gehirndoping erspare nicht, zu lernen und zu denken. «Auch wenn jeder das Recht hat, über seinen Körper und Geist selbst zu entscheiden, kommen wir an dieser Tatsache nicht vorbei.» (am)

DOI: 10.1111/bph.12634 (Studie im «British Journal of Pharmacology»)
DOI: 10.1097/01.j.pain.0000460357.01998.f1 (Studie in «Pain»)

Aktualisierter Leitfaden der BAK

Lesen Sie dazu auch:

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08.03.2018 l PZ

Foto: ABDA/Wagenzik

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