Junge Erwachsene: Immer häufiger psychisch krank? |

Junge Menschen in Deutschland erkranken immer häufiger an Depressionen, Angststörungen und anderen psychischen Krankheiten. Darauf weist zumindest eine Auswertung der Barmer für ihren heute erschienenen Arztreport 2018 hin. Demnach ist der Anteil der 18 bis 25 Jahre alten Barmer-Versicherten, die an einer psychischen Erkrankung leiden, von 2005 bis 2016 insgesamt um 38 Prozent gestiegen, bei den Depressionen sogar um 76 Prozent. Jeder sechste Student habe heutzutage eine solche Diagnose bekommen, sagte Barmer-Chef Christoph Straub. Er macht steigenden Zeit- und Leistungsdruck sowie finanzielle Sorgen und Zukunftsängste für den Trend verantwortlich.
Auffällig auch: Je älter die Studierenden sind, desto mehr steigt laut Barmer-Zahlen die Wahrscheinlichkeit, dass sie an einer Depression erkranken. Wer mit 28 Jahren noch studiert, werde mehr als doppelt so oft depressiv als ein 18-jähriger Studienanfänger, behauptet die Kasse. Wer dagegen schon vor dem Schulabschluss psychisch erkranke, habe schlechtere Chancen, es überhaupt an die Uni zu schaffen. «Bei Jugendlichen mit einer psychischen Störung im Alter von 17 Jahren ist die Wahrscheinlichkeit für eine Studienaufnahme um ein Drittel reduziert», so der Autor des Reports Joachim Szecsenyi.
Die Barmer will dieser Entwicklung entgegentreten und setzt dabei vor allem auf Hilfsangebote im Internet. Diese erreichten die junge Zielgruppe am besten, da sie anonym und niedrigschwellig seien und sich die Betroffenen ohnehin viel im Netz aufhielten. Außerdem hätten zahlreiche Studien ergeben, dass Online-Trainings psychischen Störungen vorbeugen und leichte Formen einer solchen Krankheit sogar verschwinden lassen können. Die Krankenkasse unterstützt deshalb das Projekt StudiCare, das von der Weltgesundheitsorganisation WHO entwickelt wurde. Mithilfe der Trainings sollen Studenten Sorgen und Prüfungsängste besser bewältigen lernen, außerdem werden die erhobenen Daten ausgewertet, um Erkenntnisse darüber zu erlangen, warum die Studenten psychische Störungen entwickeln und wie man ihnen vorbeugen kann.
Unter dem Titel «Pro Mind» bietet die Barmer auch eigene Online-Trainings an. Die Versicherten können unter Titeln wie «Fit im Stress», «Diabetes und depressive Beschwerden» oder «Schlaf und Regeneration» wählen und die entsprechenden Online-Programme durchlaufen. Diese hätten «in zahlreichen Studien ihre Wirksamkeit nachgewiesen», erklärt die Barmer. Zwar könnten sie eine Psychotherapie nicht ersetzen. Sie würden aber dort helfen, wo Beschwerden nur leicht ausgeprägt und eine Psychotherapie noch gar nicht angezeigt sei. Auch könnten sie Patienten helfen, die Wartezeit auf einen Therapieplatz zu überbrücken.
Bei der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) rät man angesichts der dramatischen Barmer-Zahlen zur Zurückhaltung. Die Krankenkasse habe lediglich eigene Versichertendaten ausgewertet - bevölkerungsrepräsentativ seien diese nicht. Zwar sei es zutreffend, dass psychische Störungen junge Erwachsene am häufigsten treffen, erklärte DGPPN-Präsident Professor Arno Deister. Diese Erkrankungen würden allerdings nicht häufiger, sondern nur sichtbarer. "In den letzten Jahrzehnten suchen sich erfreulicherweise immer mehr Menschen Hilfe, es findet eine Enttabuisierung statt", so der Experte. Repräsentative Studien belegten jedoch, "dass das Auftreten von psychischen Erkrankungen in der Allgemeinbevölkerung seit 1998 kaum angestiegen ist". (ap)
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22.02.2018 l PZ
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