Senioren und Arzneiformen: Kraftlos, aber nicht machtlos |
Im Alter lassen viele Fähigkeiten nach, die für eine sichere Anwendung von Arzneimitteln wichtig sind, allen voran visuelle, auditive, kognitive und feinmotorische. Letztere können bei Patienten mit Arthrose, Arthritis, Parkinson oder Schlaganfall auch schon früher eingeschränkt sein. Hier lohnt es sich nachzufragen, wie die Patienten mit der Applikation ihrer Medikamente klar kommen und es sich am besten zeigen zu lassen, so Dr. Wolfgang Kircher, Apotheker aus Peißenberg, bei der wissenschaftlichen Fortbildungstagung der Apothekerkammer Westfalen-Lippe am Sonntag in Münster. «Als Experten können wir die Lebensqualität geriatrischer Patienten deutlich verbessern», ist sich Kircher sicher. Die Apotheke sollte eine seniorengerechte Institution sein.
Oft reichen Kraft und Geschick im Alter nicht, um Inhalatoren, Augentropfen oder Insulinpens richtig anzuwenden. Darunter leiden Adhärenz und Dosiergenauigkeit. Viele Probleme lassen sich laut Kircher jedoch in der Apotheke lösen – mit Hilfsmitteln oder einem Wechsel auf ein leichter applizierbares Präparat. «Melden Sie hier ruhig pharmazeutische Bedenken an», so Kircher. Als Beispiel nannte er Formoterol-Hartkapseln zur Inhalation. Bei manchen Präparaten scheitern griffschwache Patienten schon an der Öffnung des Primärpackmittels. Anschließend muss die Kapsel in den Inhalator eingelegt werden. Vielen Patienten fehlt die Kraft, um die Kapsel beidseitig und ausreichend per Knopfdruck perforieren zu können. Hier unterscheiden sich die handelsüblichen Inhalatoren jedoch deutlich. Solche Informationen findet man nur leider nicht in den Fachinformationen. Aus einer eigenen Untersuchung weiß Kircher, dass die Formoterol-Inhalatoren der Firmen Aliud, Aristo, Sandoz und Stada vergleichsweise weniger Kraft erfordern.
Auch bei Augentropfen mit künstlichen Tränen gibt es deutliche Unterschiede: Einige Augentropfenfläschchen seien einfacher einzudrücken als andere. Schwierig sei zudem oft die Erstöffnung bei Schraubverschlüssen. Manchmal finden sich auch hier wirkstoffgleiche, leichtgängigere Alternativen. Grundsätzlich sollte man motorisch eingeschränkten Patienten anbieten, das Entfernen von Schutzfolien und die Erstöffnung, soweit es die Stabilität nicht gefährdet, in der Apotheke vorzunehmen. Hier empfiehlt sich ein entsprechender Vermerk in der Kundendatei. Schwer handzuhabende Präparate können ebenfalls in der EDV entsprechend gekennzeichnet werden.
Während in den USA seit diesem Jahr ein sogenannter Usability-Test für neu zugelassene Präparate Pflicht ist, steht die Anwenderfreundlichkeit bislang in Europa noch nicht im Fokus der Zulassungsbehörden. Laut Kircher denke man jedoch auch beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte darüber nach, Anwendungsaspekte stärker einzubeziehen. (dh)
20.11.2017 l PZ
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