Digitale Medizin: Wie weit wollen wir gehen? |
Die Digitalisierung der Medizinwelt ist in vielen Arztpraxen, Kliniken oder auf dem Handy des Patienten schon Realität. Die technischen Fortschritte in der Medizinbranche sind diese Woche auf der Medizinmesse Medica in Düsseldorf zu sehen. So beispielsweise «intelligente Pflaster» die die Wundheilung überwachen und Unregelmäßigkeiten per App dem Arzt oder Patienten melden. Oder eine 3D-Brille, die Chirurgen bei einer Tumoroperation die exakte Position eines Lymphknotens übermitteln soll.
Ein Allheilmittel ist die Digitalisierung nach Einschätzung von Experten aber nicht: «Nicht alles, was digital ist, ist automatisch gut, und nicht alles, was man selber messen kann, ist immer hilfreich», sagt Corinna Schaefer vom Ärztlichen Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ). So könnten ständige Messungen und kleine Abweichungen, die man sonst gar nicht bemerkt hätte, auch für Beunruhigung beim Patienten sorgen. «Bei den wenigen unterstützenden Apps, zu denen man Studien gemacht hat, ist der Nutzen meist nicht nachweisbar oder marginal.»
Auch das Thema Datensicherheit sorgt in diesem Zusammenhang für Diskussionen. Bei dem Sensor-Handschuh zur Epilepsie-Diagnostik beispielsweise liefen noch Studien zur klinischen Bewertung, auch belastbare Aussagen zur Datensicherheit könnten erst später getroffen werden, sagt Urs-Vito Albrecht von der Medizinischen Hochschule Hannover. Albrecht forscht unter anderem über Chancen und Risiken von Gesundheits-Apps. Die «üblichen Datensicherheitsrisiken» für Cloud-Dienste, wie etwa die unerwünschte Auswertung durch Anbieter von Online-Speichern, bestünden auch hier, sagt er.
Zunehmend widmeten sich inzwischen auch fachfremde Akteure kommerziell dem Thema digitale Gesundheit, sagt Albrecht. So könnten persönliche Gesundheitsfragen wie beispielsweise nach der Schlafdauer oder dem Blutdruck künftig möglicherweise von dem cloud-basierten Sprachdienst «Alexa» von Amazon beantwortet werden. «Grundsätzlich wäre gesellschaftlich zu diskutieren, wo denn hier die Grenzen gezogen werden sollen.» Bei Fragen der Diagnostik und Therapie gelten laut Albrecht andere Maßstäbe als für Fitness- und Wellness-Apps.
Für Franz Joseph Bartmann von der Bundesärztekammer haben manche sensorischen Messsysteme derzeit eher noch experimentellen Charakter, aber «für die Versorgung noch keine unmittelbare Relevanz». Gesundheits-Apps aber werden «erhebliche Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen Arzt und Patient» haben, sagt Bartmann. Der Patient sei künftig «Herr der Daten», die er dem Arzt zur Verfügung stelle. Es gebe schon erste Vorhersagen, dass der klassische Hausarzt «der erste sein könnte, der angesichts dieser Entwicklungen seine Bedeutung verlieren wird». Für die ältere Generation mit großer Krankheitslast mag der Gang zum Arzt noch eine emotionale Komponente haben. «Die jungen Leute, die mit digitalen Techniken groß geworden sind, entwickeln, bis es für sie soweit ist, mit Sicherheit eine ganz andere Einstellung», glaubt Bartmann.
Das gilt im Übrigen wohl auch für die Datensicherheit. Corinna Schaefer sagt: «Ich glaube, dass die meisten Menschen schon jedes Gefühl für die Privatheit von Daten verloren haben.» Für Schaefer ist wichtig: «Bei medizinischen Interventionen sollte der Arzt den Patienten auch gesehen haben und nicht nur den Computer, der Algorithmen rechnet.»
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13.11.2017 l PZ/dpa
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