Medizinisches Cannabis: Zwischen Euphorie und Skepsis |

Gut ein halbes Jahr nach der Freigabe von Cannabis auf Rezept in Deutschland hakt es noch bei der Abrechnung. Hersteller von Cannabis und Fertigarzneimitteln auf Cannabis-Basis kritisieren, die Krankenkassen würden nicht alle Kosten übernehmen. «Es gibt Anlaufschwierigkeiten», sagt Marla Luther, Deutschland-Chefin des kanadischen Cannabis-Produzenten Tilray. Die Ablehnungsquote der Kassen bei Cannabis-Therapien liege bei geschätzten 50 Prozent. Auch Michael Popp, Vorstandsvorsitzender des bayerischen Produzenten Bionorica, bemängelt eine noch «eher zurückhaltende Kostenerstattung» bei den verschriebenen Arzneien.
Die Wirksamkeit von Cannabis sei bisher nicht vollends erforscht, argumentieren die Krankenkassen. In den ersten zwei Monaten nach der Liberalisierung im März habe ihnen schon eine «mittlere vierstellige Zahl» von Anträgen für entsprechende Präparate vorgelegen, erklärte der GKV-Spitzenverband: «Deutlich über die Hälfte konnten positiv beschieden werden, da die gesetzlichen Anforderungen als erfüllt anzusehen waren.» Viele Anträge auf Erstattung seien indes nicht vollständig oder fehlerhaft, etwa weil Nachweis fehle, dass gängige Schmerztherapien ausgeschöpft seien. Die Kassen würden bei jedem zugelassenen verschreibungspflichtigen Medikament die Kosten übernehmen, betonte eine GKV-Sprecherin. Es gebe aber Fragen der Arzneimittel-Sicherheit. Anders als bei üblichen Medikamenten habe man bei Cannabis nicht vorab über Studien nachweisen müssen, dass es sicher wirke. Verlässliche Informationen zu Neben- und Wechselwirkungen mit anderen Substanzen fehlten ebenso.
In Kanada und in den USA ist die Behandlung mit Hanf längst ein Milliardenmarkt, ähnlich in Israel. In Deutschland indes ist die Zielgruppe für Cannabis-Therapien noch klein. Nur rund 1000 Patienten hatten bis zur Freigabe als Arznei im März 2017 eine Ausnahmegenehmigung zum Kauf für medizinische Zwecke. Mit der Liberalisierung wächst jedoch die Nachfrage: Im ersten Halbjahr sind mehr als 10.000 Einheiten an Blüten oder Rezepturen auf Cannabis-Basis zulasten der GKV ausgegeben worden, meldete die ABDA im September. Die Zahl der verschriebenen Behandlungen ist seit März von Monat zu Monat kräftig gestiegen. Hinzu kamen etwa 12.500 Fertigarzneimittel.
Derzeit wird laut Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) medizinisches Cannabis vor allem aus den Niederlanden und Kanada importiert. Mit der ersten Ernte von deutschen Plantagen unter staatlicher Aufsicht rechnet das BfArM 2019. Bei der Lizenzvergabe für Cannabis-Importe gibt es indes noch keinen Zuschlag für Lieferverträge. «Die Frist zur Teilnahme ist abgelaufen, das Verfahren aber noch nicht abgeschlossen», erklärte das BfArM.
Eines der Unternehmen, die hierzulande Cannabis-Wirkstoffe erforschen und verkaufen, ist Bionorica. Die Bayern verzeichnen ein anziehendes Geschäft. Es gebe ein «immens gestiegenes Interesse» von Ärzten an Informationen über Cannabis-Therapien, sagt Chef Michael Popp. Bionorica hatte sich jedoch nicht um eine Lizenz für den Anbau von medizinischem Cannabis beworben.
Tilray mit etwa 11.000 versorgten Patienten weltweit will Cannabis nach Deutschland importieren. «Wir beobachten ein großes Interesse bei Ärzten und Apothekern und wenig kulturelle Ablehnung», sagt Deutschland-Chefin Marla Luther. Tilray forsche zudem an neuen Wirkstoffen und wolle in fünf bis zehn Jahren die Zulassungen haben.
Cannabis-Firmen wie THC Pharm aus Frankfurt sehen die Entwicklung differenziert. «Die Liberalisierung bedeutet einen großen Schritt nach vorn», sagt Holger Rönitz, Direktor für Geschäftsentwicklung. «Aber es gibt auch viele neue Firmen, die das große Geschäft wittern und mit unhaltbaren Heilsversprechungen werben.» Teils kursierten zudem halbseidene Studien. «Man kann auch nicht jeden Krebs mit medizinischem Cannabis lindern, wie manche behaupten.» Und gerade bei Cannabis-Blüten komme es «zu einer Vermischung von Freizeitkonsum und medizinischem Bedarf», sagt Rönitz. Wichtig sei, dass Schwerkranke Zugang zu schmerzlinderndem Cannabis oder den pharmazeutisch geprüften Inhaltsstoffen der Pflanze bekämen.
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09.10.2017 l PZ/dpa
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