Niedersachsen: 180 Stationsapotheker gesucht |
In Niedersachsen ist geplant, alle Krankenhäuser zur Beschäftigung von Stationsapothekern zu verpflichten – eine Konsequenz aus den sogenannten Pflegemorden in zwei Kliniken des Bundeslands. Die Niedersächsische Krankenhausgesellschaft (NKG) bezweifelt jedoch heute in einer öffentlichen Aktion in Hannover, ob überhaupt genügend qualifizierte Pharmazeuten zur Verfügung stehen. Ihren Angaben zufolge würden 180 Stationsapotheker gebraucht, sollte die geplante Novellierung des Landes-Krankenhausgesetzes umgesetzt werden.
Pro 300 Krankenhausbetten soll demnach ein Apotheker für eine höhere Arzneimitteltherapiesicherheit sorgen. Die Krankenhäuser bestreiten zwar nicht, dass der Einsatz eines Apothekers auf Station mit Blick auf die Patientensicherheit und Versorgungsqualität von Vorteil ist. Streitpunkt ist jedoch, wie die zusätzlichen Stellen finanziert werden sollen und ob genügend Apotheker mit entsprechender Qualifikation zur Verfügung stehen. Sollten die Krankenhäuser die Vorgabe innerhalb von 36 Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes nicht erfüllen können, drohen Strafen.
«Die Krankenhäuser werden in spätestens drei Jahren gegen das Gesetz verstoßen müssen», teilte die NKG jetzt mit. In einer Protestaktion stellt der Verband heute 180 lebensgroße Pappfiguren und eine symbolische Stellenanzeige vor dem niedersächsischen Landtag auf. Es seien nicht genügend Stationsapotheker auf dem Arbeitsmarkt verfügbar, bemängelt die NKG.
Die Apothekerkammer Niedersachsen sieht dagegen aus gleich mehreren Gründen kein Personalproblem. «Diese Vorgabe geht mit einer komfortablen, mehrjährigen Übergangsfrist von momentan 48 bis 72 Monaten nach einem Inkrafttreten einher. Ferner stellt der immer wieder angeführte Schlüssel von 1:300 einen Orientierungswert dar, der sich nach dem Leistungsspektrum und den Gegebenheiten des jeweiligen Krankenhauses richtet», so Dr. Frank Dombeck, pharmazeutischer Geschäftsführer der Kammer gegenüber der Pharmazeutischen Zeitung. Die in der Begründung zum Gesetzentwurf kalkulierten 134,5 Stellen mal eben auf 180 aufzublähen, gleiche einer Basar-Mentalität, die dem tragischen Anliegen der Patientenmorde in keiner Weise gerecht werde, führt Dombeck aus.
«Gerade aus Gründen des Respekts vor den Hinterbliebenen der Ermordeten sowie der Schwächsten im Krankenhaus – den Patienten – sollte man dem zusehends bürokratisierten Krankenhauswesen mit Fakten statt mit Fake News entgegentreten», sagt der langjährige Krankenhausapotheker. So belegten die Zahlen der ABDA seit Jahren das ungebrochene Interesse des Berufsnachwuchses an einer patientenorientierten Pharmazie – sei es in einer Krankenhausapotheke oder in einer krankenhausversorgenden öffentlichen Apotheke.
«Und das sogar entgegen dem seit Langem andauernden Trend der Schließungen von Krankenhausapotheken aus in aller Regel rein wirtschaftlichen Motiven», kommentiert Dombeck. In den vergangenen zwanzig Jahren hat sich die Anzahl an Krankenhausapotheken in Niedersachsen nahezu halbiert. «Um jede Apothekerstelle im Krankenhaus muss hart mit der Verwaltung gerungen werden, da bislang erst wenige Krankenhausleitungen den Mehrwert über die bloße Arzneimittelogistik hinaus zu erkennen scheinen», so Dombeck. Nicht umsonst kämen laut dem niedersächsischen Landesamt für Statistik zum 31.12.2015 auf 14.490 hauptberufliche Ärzte nur 143 Apotheker in niedersächsischen Krankenhäusern.
«Der Stationsapotheker ist aber ein wesentlicher Qualitätsfaktor in der Patientenversorgung», betont der pharmazeutische Geschäftsführer der Apothekerkammer. «Dies machen uns zahlreiche Gesundheitssysteme bereits seit Jahren und Jahrzehnten vor.» Darunter seien – wie zum Teil auch in Deutschland – zahlreiche private Krankenhausträger, denen man bestimmt ein ausgeprägtes Kostenbewusstsein unterstellen könne.
Aus Umfragen wisse man, dass immer mehr Pharmaziestudenten eine Tätigkeit im Krankenhaus, insbesondere auf Station, anstreben würden. Für die wichtigsten Maßnahmen zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit wie Dosisanpassungen und Interaktionschecks seien grundsätzlich alle Apotheker qualifiziert. Darüber hinaus liege die Weiterbildungsquote zum Fachapotheker für klinische Pharmazie bei den Krankenhausapothekern fast bei 100 Prozent – ein Zeichen für das Fortbildungsinteresse und eine Spezialisierung. «Zudem würden vermutlich auch aus anderen Bundesländern qualifizierte Bewerber kommen», mutmaßt Dombeck. Denn die landesweite Etablierung von Stationsapothekern gilt als Leuchtturmprojekt.
Ob und wann die Gesetzesänderung Realität wird, ist durch den Verlust der Regierungsmehrheit der rot-grünen Koalition im niedersächsischen Landtag jedoch derzeit ungewiss. Die Neuwahl ist für den 15. Oktober angesetzt. Bis dahin nicht abgeschlossene Gesetzgebungsverfahren verfallen gemäß des Diskontinuitätsprinzips. «Das ist sehr schade, denn im fraktionsübergreifenden Sonderausschuss waren sich noch alle einig und wir waren bereits sehr weit», kommentiert Dombeck. Es wäre schlimm, wenn die flächendeckende Implementierung von Stationsapothekern zum Kollateralschaden des Wechsels einer einzigen Abgeordneten von den Grünen zur oppositionellen CDU würde. Die Apothekerkammer Niedersachsen hofft daher, dass das Vorhaben auch für die künftige Landesregierung ein Thema bleibt.
Mit der Novellierung des Niedersächsischen Krankenhausgesetzes soll insgesamt die Versorgungsqualität und Sicherheit der Patienten im Krankenhaus gestärkt werden. Hintergrund ist die Mordserie in Delmenhorst und Oldenburg, wo der Krankenpfleger Niels K. durch die vorsätzliche intravenöse Gabe eines Antiarrhythmikums hunderte von Patienten in Lebensgefahr gebracht hatte, um sie zu reanimieren und als Held dazustehen. Viele starben jedoch. Nun sollen Stationsapotheker den Medikamentenverbrauch genauer kontrollieren. Unter anderem soll auch eine klinikinterne Arzneimittelkommission zur Pflicht werden und die Belastung des Personals reduziert werden. (dh)
10.08.2017 l PZ
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