Epilepsie: Gute Aussichten für therapieresistente Patienten |
Cannabinoide und Neurosteroide könnten in Zukunft Patienten mit therapieresistenten Epilepsieformen helfen. Auch neue operative Verfahren und Radiotherapien könnten die Behandlung der Epilepsie stark verbessern. Entsprechende Ansätze wurden am Wochenende beim Kongress der European Academy of Neurology in Amsterdam vorgestellt. Neue Therapiemöglichkeiten werden dringend benötigt: Etwa 10 Prozent aller Menschen erleiden in ihrem Leben einen einzelnen, isoliert auftretenden epileptischen Anfall, heißt es in einer Pressemitteilung zum Kongress. Akut erkrankt sind den Angaben zufolge 0,6 bis 0,8 Prozent der Bevölkerung. Dazu komme eine vermutlich beachtliche Dunkelziffer.
In den vergangenen 20 Jahren seien zwar etwa 20 neue Wirkstoffe auf den Markt gekommen, die für viele Epilepsie-Patienten deutliche Fortschritte gebracht haben. Mit den heute zur Verfügung stehenden Antikonvulsiva könne bei mehr als zwei Drittel der Betroffenen das Therapieziel einer anhaltenden Anfallsfreiheit erzielt werden, bei einem Teil könne die Medikation nach einiger Zeit sogar wieder abgesetzt werden. Bis zu einem Drittel der Patienten sprechen allerdings nicht oder nicht ausreichend auf die verfügbaren Therapien an – angesichts der Anzahl der Betroffenen eine enorme Zahl, nämlich um die 200.000 Menschen allein in Deutschland.
So besteht noch ein großer Bedarf für neuartige Antiepileptika. «Viele der heute verfügbaren Medikamente haben ein neues Wirkprofil und haben in Studien auch mit schweren und seltenen Epilepsieformen viel versprechende Resultate geliefert», sagte Meir Bialer, Professor für Pharmazie an der medizinischen Fakultät der Hebrew University in Jerusalem. «Allerdings müssen sich die Medikamente, die in den vergangenen ein oder zwei Jahren zugelassen wurden, auch noch im klinischen Alltag bewähren, der sich oft erheblich von den Studienbedingungen unterscheidet.»
Natürlich sei es eine enorme Verbesserung, wenn es gelingt, die Anfallshäufigkeit zu reduzieren, so Bialer. «Aber selbst wenn jemand nur einen Anfall pro Jahr hat, darf er kein Auto lenken, und da gibt es noch viele andere persönliche und soziale Einschränkungen.» Pharmakoresistente Epilepsien führten zu erheblichen medizinischen Problemen. Verletzungen, Unfälle, aber auch Komorbiditäten wie Depression, Angst und Suizidalität tragen laut Bialer dazu bei, dass Menschen mit Epilepsie im Vergleich zur Gesamtbevölkerung eine dreimal so hohe Sterblichkeit aufweisen.
Hinzu kommen, gerade in schweren Fällen mit hochdosierter Langzeitmedikation, teils erhebliche Nebenwirkungen der Medikamente, die von Veränderungen im Blutbild über Leberschäden bis zu psychischen Störungen reichen können, warnte der Pharmazieprofessor. Bei Kindern beeinflusse die Erkrankung zudem die gesamte weitere Entwicklung ungünstig. «Daher muss es unser erklärtes Ziel und eine wichtige Priorität bleiben, Medikamente zu entwickeln, die allen Patienten eine wirkliche Anfallsfreiheit garantieren», forderte Bialer. Außerdem sei es wichtig, dass die Medikamente minimale Nebenwirkungen und Interaktionen aufweisen. «Schließlich sind die meisten Epilepsiepatienten ein Leben lang auf ihre Medikamente angewiesen.»
Derzeit befänden sich knapp 20 potenzielle Wirkstoffe zur Behandlung bisher therapieresistenter Epilepsien in der präklinischen und klinischen Entwicklung, erläuterte Bialer. Vor allem Neurosteroide wie Allopregnanolon und Cannabinoide wie der natürliche Cannabis-Inhaltsstoff Cannabidiol (CBD) hätten gute Erfolgsaussichten auf eine Zulassung. Einige Untersuchungen mit CBD hätten insbesondere bei Kindern mit pharmakoresistenten und seltenen Epilepsieformen wie dem Dravet-Syndrom oder dem Lennox-Gastaut-Syndrom vielversprechende Ergebnisse geliefert. «Diese Substanzen sind nicht für den breiten Einsatz bei allen Epilepsieformen gedacht», schränkte Bialer ein. «Sie scheinen aber gerade für diese schweren Fälle bei Kindern und Jugendlichen bis etwa 20 Jahre mögliche therapeutische Optionen zu sein.» Cannabidiol könnte noch in diesem Jahr für diese Indikation durch die US-Arzneimittelbehörde FDA zugelassen werden.
Etwas kritischer betrachtet der Neurologe Professor Dr. Christian E. Elger von der Klinik für Epileptologie in Bonn die bisherigen Erfolge der medikamentösen Therapie: «Zwar leben die Patienten, die darauf ansprechen, heute nebenwirkungsfreier und sicherer.» Die Wirksamkeit wie auch die Rate an Pharmakoresistenzen hätten sich dadurch aber leider nicht verbessert. Tatsächlich heilbar seien Epilepsien nur durch chirurgische Eingriffe.
«Heute können wir 10 bis 20 Prozent der Patienten, die nicht auf Medikamente ansprechen, mit der Entfernung der anfallverursachenden Gehirnläsionen vollständig heilen», so Elger. «Leider wird von dieser Maßnahme noch viel zu wenig Gebrauch gemacht. Bei Patienten, die fünf Jahre erfolglose Therapieversuche hinter sich haben, sollte ein solcher Eingriff immer erwogen werden. Bei Kindern sogar früher.»
Möglich sei das aber nur, wenn die sogenannte Anfallsursprungszone in keinem der besonders sensiblen Gehirnteile liegen und diese winzigen Läsionen mithilfe einer Kernspintomographie entdeckt werden. «Diese Diagnostik sollte unbedingt in einem spezialisierten Zentrum erfolgen», rät Elger. «Wir entdecken bei der Nachuntersuchung von angeblich unauffälligen MRTs in zwei Drittel der Fälle doch eine Läsion.»
Eine relativ neue operative Option ist die stereotaktische Laser-Thermokoagulation, bei der durch hochfrequente elektrische Ströme ein lokal eng begrenzter Hitzebereich erzeugt wird. «Dadurch kann pathologisches Gewebe auf sanfte Weise zerstört werden», erklärt der Experte. «Anders als bei den Standardverfahren ist dafür keine große Schädelöffnung nötig und auch bei tiefsitzenden Läsionen können Schäden am Kortex vermieden werden.» Dadurch sei ein Einsatz auch in der Nähe von eloquenten Hirnarealen möglich. Bislang nur an wenigen Patienten erprobt wurde die Neuromodulation mit niedrigdosierter Hochpräzisionsbestrahlung, die in ähnlicher Form auch zur Behandlung von Tumoren angewandt wird. Mit ihr könnten gravierende Verletzungen vermieden werden, so die Hoffnung. (dh)
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26.06.2017 l PZ
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