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Arzneistoffkandidat BIA 10-2474: Was ging schief?

 

Was ging schief bei der Phase-I-Studie mit dem Arzneistoffkandidaten BIA 10-2474 Anfang 2016 in Frankreich, bei der ein Proband starb? Wissenschaftler sind auf der Suche nach der Ursache ein Stück weiter gekommen. Wie Forscher der Universität Leiden jetzt im Fachjournal «Science» berichten, bindet die Testsubstanz nicht nur an den Zielrezeptor FAAH, sondern in hohen Dosen auch an ähnliche Proteine.

Das portugiesische Pharmaunternehmen Bial wollte aus BIA 10-2474 ein potentes Schmerzmittel und Anxiolytikum mit neuem Wirkmechanismus entwickeln. Es soll FAAH, die Fettsäureamid-Hydrolase, hemmen, ein Schlüsselenzym im Endocannabinoid-System. FAAH baut biologisch aktive Fettsäuren wie die Endocannabinoide Anandamid und Oleamid ab. Die Gabe von FAAH-Inhibitoren soll in der Theorie Schmerzen, Ängste und Stimmungsschwankungen lindern und auch bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Parkinson und Multipler Sklerose helfen.

In einer Phase-I-Studie hatten zunächst bis zu 90 Teilnehmer die Testsubstanz einmalig bekommen und gut vertragen. Es wurden verschiedene, zunächst eher niedrige Dosen appliziert. Sechs zuvor gesunde Männer erhielten Mehrfachdosen. Alle kamen daraufhin aufgrund neurologischer Symptome ins Krankenhaus. Ein Proband starb an einem Hirnschaden.

Das internationale Forschungsteam konnte nun einige Enzyme aus dem Fettsäuremetabolismus der Nervenzellen identifizieren, die BIA 10-2474 in hohen Dosen ebenfalls dauerhaft deaktiviert. Ein genetischer Defekt bei einem dieser Lipasen, PNPLA6, sei bereits zuvor mit seltenen neurodegenerativen Erkrankungen in Verbindung gebracht worden. Vermutlich bringt BIA 10-2474 den Metabolismus von Neuronen zum Erliegen und führt so zu Nervenschäden. Bewiesen sei dies jedoch noch nicht, betonen die Forscher in einer Pressemitteilung.

Steven Kushner von der psychiatrischen Abteilung des Erasmus Medical Centers der Universität Rotterdam, einer der Hauptautoren, betont: «Die Sicherheitsprüfung von BIA 10-2474 bei Tieren konnte die Nebenwirkungen beim Menschen nicht vorhersagen.» Der Off-Target-Effekt könnte speziesabhängig sein. «Das unterstreicht die Wichtigkeit, Wirkstofftests auf neue humane Zellmodelle auszuweiten, mit denen das Sicherheitsprofil experimenteller Arzneistoffe besser abgeschätzt werden kann.» Es schwingt der Vorwurf mit, Bial habe nicht ausreichend an menschlichen Zellen getestet, bevor es in die klinische Phase ging.

Mitautor Mario van der Stelt vom Chemischen Institut der Uni Leiden ergänzt: «Wenn man neue Arzneistoffe entwickelt, die Proteine dauerhaft deaktivieren, muss ihr Wirkprofil detailliert in einer frühen Phase bestimmt werden.» Dies erlaube, die Maximaldosis für die Prüfung am Menschen besser festzulegen. Die Dosen in der Probandengruppe, bei denen es zu Nervenschäden kam, sei unnötig zu hoch gewesen, zitiert «Science» den nicht an der Studie beteiligten Neuropharmakologen Daniele Piomelli von der Universität Kalifornien in Irvine. Eine volle Inhibierung von FAAH werde bereits bei niedrigeren Dosen erzielt.

Als Folge des tragischen Zwischenfalls entwickelt die Europäische Arzneimittelagentur EMA nun strengere Regeln für erste Tests neuer Wirkstoffe an Menschen. (dh)

DOI: 10.1126/science.aaf7497

 

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Foto: Dr. G. van Westen

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