Schlafstörungen: Volkskrankheit der Informationsgesellschaft |
Der moderne Mensch hat immer weniger Zeit zum Schlafen. Die Gesellschaft ist im Dauer-Jetlag. Doch wenig Schlaf, vor allem über Tage hinweg, kann die Leistungsfähigkeit des Gehirns senken. Langfristig könne Schlafentzug sogar die Entstehung von Demenz fördern, warnen Neurologen. «In unserer Informationsgesellschaft schlafen wir ein bis eineinhalb Stunden kürzer als noch in den 1960er Jahren», sagt Geert Mayer, Neurologe und Chefarzt der Hephata-Klinik in Schwalmstadt. «Wir haben relativen Schlafentzug - alle.» Die Vorgänge im Gehirn während des Schlafes sind ein Thema beim Neurologen-Kongress vom 15. bis 19. September in München. Rund 7000 Fachleute aus Neurologie, Neuropädiatrie, -pathologie, -chirurgie und -radiologie befassen sich mit Schlaganfall, Demenz, Multipler Sklerose, Epilepsie, Lähmungen, Schmerz- und Schwindelsyndromen und 200 weiteren Krankheiten.
Bei der Entstehung vieler Erkrankungen spiele Schlaf eine weit größere Rolle als angenommen, sagt Kongresspräsident Wolfgang Oertel. Die Bedeutung werde unterschätzt. Rund zehn Prozent der Bevölkerung können demnach chronisch nicht ein- oder durchschlafen. «Schlafstörungen sind eine Volkskrankheit, werden aber lediglich als Befindlichkeitsstörung behandelt», sagt Mayer. «Schlaf ist ein essenzieller Bestandteil des Lebens.» Neue Studien an Tieren stützen den Verdacht, dass zu wenig Schlaf über Jahre die Entstehung von Demenz begünstigt. Bestimmte Abbauprodukte im Gehirn würden im Schlaf abtransportiert und häuften sich bei Mangel an, sagt Mayer. «Das kann zu einer Frühschädigung des Gehirns führen, die wir noch gar nicht merken.»
Kurzfristig richtet Schlafentzug keine Schäden an, beeinträchtigt aber Funktionen im Gehirn. Konzentration, Denk- und Merkleistung lassen nach. Im Schnitt braucht der Mensch sieben Stunden Schlaf. «Es gibt aber genetisch bedingt Kurz- und Langschläfer. Manche Leute kommen mit fünf Stunden aus, andere brauchen neun Stunden», sagt Mayer. Das Problem: «Heute wissen viele Leute gar nicht mehr, wie viel Schlaf sie brauchen. Das ist ähnlich wie beim Essen: Die Selbstwahrnehmung fehlt.» Dazu trage die ständige Verfügbarkeit medialer Unterhaltung bei. «Man kann die ganze Nacht hindurch Fernsehen. Früher kam um zwölf das Testbild.» Es mangele zudem an einem Bewusstsein für die Bedeutung des Schlafes. «Bei jedem Kind sagt man: Es braucht den Schlaf. Bei den Erwachsenen scheint alles weggewischt.»
15.09.2014 l PZ/dpa
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