Mutiertes Polio-Virus: Krank trotz Impfung |
Den Grund für einen besonders schweren Polio-Ausbruch im Jahr 2010 im Kongo haben deutsche Forscher nun entdeckt: Das Polio-Virus trug eine Mutation, durch die es dem Impfschutz entging. Das berichten Wissenschaftler um Dr. Jan Felix Drexler von der Universitätsklinik Bonn im Fachjournal «PNAS». Auch geimpfte Deutsche hätten theoretisch an dem Erreger erkranken können.
Die Polio-Epidemie im Kongo hatte durch eine hohe Sterblichkeitsrate überrascht: Von den 445 nachweislich Infizierten, meist junge Erwachsene, starben 209. Das entspricht einer Mortalität von 47 Prozent. Normalerweise sind Todesfälle durch Poliomyelitis selten. Hinzu kommt, dass viele der Erkrankten offensichtlich geimpft waren: Bei Befragungen erinnerte sich knapp die Hälfte der Patienten, die vorgeschriebenen drei Impfdosen erhalten zu haben. Bislang galt die Impfung als hochwirksamer Schutz.
«Wir haben Polio-Viren aus Verstorbenen isoliert und genauer untersucht», erklärt Drexler, der inzwischen in den Niederlanden arbeitet, in einer Pressemitteilung der Universität. «Der Erreger trägt eine Mutation, die seine Gestalt an einer entscheidenden Stelle verändert.» Somit können die durch die Impfung induzierten Antikörper das mutierte Virus kaum noch erkennen. Die Forscher untersuchten, wie erfolgreich der neue Erreger dem Immunsystem entgeht. Dazu testeten sie unter anderem Blutproben von 34 Medizinstudenten der Uni Bonn, die alle in ihrer Kindheit mit den üblichen Methoden gegen Polio geimpft worden waren. Mit Wildtyp-Polio-Viren wurden die Antikörper im Blut der Probanden problemlos fertig. Anders sah es beim mutierten Virus aus: Hier war die Immunreaktion deutlich schwächer. «Wir schätzen, dass jeder Fünfte unserer Bonner Testpersonen von dem neuen Polio-Virus hätte infiziert werden können, vielleicht sogar jeder Dritte», sagt Seniorautor Professor Dr. Christian Drosten.
Diese Ergebnisse sind schlechte Nachrichten für die Polio-Eradikationspläne der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Sie hat sich vorgenommen, das Virus in den nächsten Jahren weltweit auszurotten. Wenn ein mutierter Erreger, der den Impfschutz unterlaufen kann, auf eine nicht konsequent geimpfte Bevölkerung treffe, könne dies gefährlich werden, warnen die Forscher. Die Polio-Epidemie im Kongo konnte durch ein massives Impfprogramm und Hygienemaßnahmen gestoppt werden. Die aktuellen Impfstoffe scheinen also gut genug zu wirken, wenn sie zeitnah und konsequent verabreicht werden. Dies zeige, dass die Impfquote weiterhin hoch gehalten werden muss und neue, potentere Impfstoffe entwickelt werden sollten, folgern die Forscher. (ch)
doi: 10.1073/pnas.1323502111
20.08.2014 l PZ
Foto: WHO