Alemtuzumab: Vom Leukämiemittel zum MS-Präparat |
Genzyme, ein Unternehmen der Sanofi-Gruppe, hat die Vermarktung des Alemtuzumab-haltigen Leukämiemittels MabCampath® beendet. Später soll der Antikörper als MS-Medikament sein Comeback feiern. Viel Begeisterung hat diese Meldung nicht hervorgerufen. Kritiker werfen Genzyme vor, allein aus wirtschaftlichem Interesse zu handeln.
In einem Schreiben teilt Genzyme mit, dass das Unternehmen die europäische Arzneimittelagentur EMA und die Europäische Kommission bereits im Mai 2012 davon in Kenntnis gesetzt hat, dass man die Vermarktung des monoklonalen Antikörpers beenden wird. Die Europäische Kommission hat die Rücknahme der Zulassung formell akzeptiert. Das bedeutet, dass MabCampath in Deutschland ab sofort kommerziell nicht mehr zur Verfügung steht. Das Unternehmen will jedoch die Versorgung von Leukämiepatienten, für die eine Behandlung mit MabCampath zwingend notwendig ist, über ein besonderes Patientenprogramm weiter sicherstellen. So können Ärzte das Mittel ab sofort über die Firma Clinigen bestellen. Wie es in einem Infoschreiben zum sogenannten Campath Access Program heißt, tragen Ärzte fortan aber die alleinige Verantwortung für den Einsatz von MabCampath.
Laut Genzyme wurde die Entscheidung zur Marktrücknahme «in keiner Weise aufgrund von Bedenken bezüglich der Sicherheit, Wirksamkeit oder Lieferbarkeit des Arzneimittels getroffen». Man habe sich zu diesem Handeln entschlossen, weil sich das Unternehmen auf die Entwicklung von Alemtuzumab in der Behandlung der Multiplen Sklerose (MS) fokussieren werde. Die Marktrücknahme von MabCampath solle sicherstellen, dass die Anwendung von Alemtuzumab bei Patienten mit MS ausschließlich innerhalb laufender klinischer Studien erfolgt.
Der Zulassungsantrag für die Indikation schubförmige MS wurde im Juni 2012 bei der EMA eingereicht. Lemtrada® soll das neue Mittel heißen. Die Nachrichtenagentur Reuters schreibt, dass die Marktrücknahme von MabCampath es ermöglichen wird, den Preis von Lemtrada dem anderer MS-Medikamente anzupassen. Damit wird Alemtuzumab wohl teurer werden, obwohl es bei MS in niedrigerer Dosierung zum Einsatz kommen würde als bei Leukämie.
Für die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO) ist das Vorgehen von Genzyme absolut inakzeptabel. In einer Pressemitteilung weist die DGHO darauf hin, dass Alemtuzumab zum aktuellen Therapiestandard bei chronisch-lympathischer Leukämie (CLL) gehört, und der Wirkstoff essenziell ist für Patienten mit einer besonders aggressiven Verlaufsform dieser Erkrankung.
«Die betroffenen Patienten mit CLL verlieren den direkten, von den Krankenkassen finanzierten Zugang zu einem wirksamen und etablierten Medikament. Das Medikament muss nun aus dem Ausland importiert werden, was mit großen bürokratischen Hürden verbunden ist. Der Import macht die deutschen Patienten abhängig von der Verfügbarkeit des Medikaments in Großbritannien oder den USA», so die DGHO. Die Fachgesellschaft fordert den Hersteller und die politisch Verantwortlichen daher auf, die Alemtuzumab-Versorgung der CLL-Patienten mit einem in Deutschland dafür zugelassenen Medikament sicherzustellen.
Wenig begeistert äußerte sich auch der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, Professor Dr. Wolf-Dieter Ludwig, gegenüber der «Süddeutschen Zeitung». «Das Mittel jetzt einfach vom Markt zu nehmen, um ein neues Patent für die Behandlung der MS anzumelden und dann den Preis hochzutreiben, ist schon ein starkes Stück. So eindeutig habe ich das noch nicht erlebt», zitiert die Zeitung den Onkologen. Ludwig schätzt, dass weltweit mit einem Alemtuzumab-haltigen MS-Mittel Milliarden zu machen sind. Das wäre natürlich deutlich mehr als bisher. (ss)
Lesen Sie dazu auch
Wirkstoffprofil Alemtuzumab (MabCampath® / 2001) in unserer Datenbank Neue Arzneistoffe
Mehr zum Thema Krebs und Zytostatika
21.08.2012 l PZ
Foto: Shutterstock/Firma V