Experimentelles Virustatikum: Eines gegen alle |
Forscher aus den USA haben ein neues Virustatikum entwickelt, das gegen nahezu alle Viren helfen könnte. Der experimentelle Arzneistoff erkennt virusinfizierte Zellen und tötet diese gezielt ab. Erste Versuche mit Zellkulturen und Versuchsmäusen belegen die Wirksamkeit des neuen Ansatzes.
Das Breitspektrum-Virustatikum, das die Wissenschaftler in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift «PLoS ONE» vorstellen, hat einen völlig anderen Wirkmechanismus als bisher verfügbare antivirale Arzneistoffe. Es erkennt virusinfizierte Zellen an Doppelstrang-RNA-Abschnitten einer bestimmten Länge, die in gesunden Zellen nicht vorkommen. In Zellen mit viraler Doppelstrang-RNA (dsRNA) leitet der neue Wirkstoff den programmierten Zelltod Apoptose ein.
Hierfür fusionierten die Forscher zwei menschliche Proteine: nämlich das dsRNA-aufspürende Enzym Proteinkinase R (PKR) an den apoptotischen Protease-Releasing-Faktor-1 (APAF-1). Das Team um Todd H. Rider vom Massachusetts Institute of Technology nennt ihre Neuentwicklung DRACO, eine Abkürzung für Double-strained RNA Activated Caspase Oligomerizer.
DRACO macht sich die Eigenschaft der meisten Viren zunutze, während der Transkription und Replikation lange dsRNA-Abschnitte zu produzieren. Auch in virusfreien Säugetierzellen kommt dsRNA vor, allerdings sind diese Abschnitte in der Regel nicht länger als 21 bis 23 Basenpaare. Sind in einer Zelle längere dsRNA-Abschnitte vorhanden, docken zwei oder mehrere DRACOs an diese an und verbinden sich zusätzlich untereinander. Diese quervernetzten DRACOs wirken als Katalysator für die Bildung von Caspasen, einer Gruppe von intrazellulären Proteasen und Schlüsselenzyme der Apoptose.
Die Forscher testeten DRACO zunächst an isolierten Zellkulturen, die sie mit 15 verschiedenen Viren infizierten, darunter das Dengue-Virus und das H1N1-Influenzavirus. In diesen Versuchen erwies sich der Wirkstoff als für gesunde Zellen nicht toxisch, gleichzeitig aber als wirksam bei Virusbefall. Anschließend untersuchten die Wissenschaftler die Wirksamkeit in vivo, indem sie Mäusen zunächst DRACO verabreichten und sie dann mit H1N1-Influenzaviren infizierten. Im Vergleich zu Mäusen ohne vorherige DRACO-Behandlung waren sowohl die Sterblichkeit als auch die in der Lunge der Tiere gemessenen Virustiter deutlich niedriger.
Die Autoren sehen in DRACO einen vielversprechenden therapeutischen Ansatz für die Therapie und Prophylaxe vieler Viruserkrankungen. Weitere Studien seien nötig, um zu beurteilen, wie lange nach einer Infektion DRACO erfolgreich eingesetzt werden kann. Auch die Frage, ob der neue Therapieansatz sich zur Behandlung von Patienten mit chronischen oder fortgeschrittenen Virusinfektionen eignet, ist noch offen. Da DRACO alle virusinfizierten Zellen abtötet, könnte es bei diesen Patienten zu einem Verlust von katastrophal großen Zellmengen kommen. (am)
doi: 10.1371/journal.pone.0022572
17.08.2011 l PZ
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