1000 Gesundheitskioske für benachteiligte Stadtteile |
Daniela Hüttemann |
01.09.2022 17:00 Uhr |
Minister Karl Lauterbach lässt sich von Teamleiterin Cagla Kurtcu zeigen, wie die Patientendaten am Empfangstresen erfasst werden – und fragte prompt nach, wie es mit E-Rezepten aussieht. / Foto: PZ/Daniela Hüttemann
Im Schritttempo rollen zwei schwarze Limousinen durch die Fußgängerzone von Billstedt, einem multikulturellen, sozial eher schwachen Stadtteil im Osten Hamburgs – vorbei auch der Kräuter-Apotheke und Dr. Walters Markt-Apotheke. In unmittelbarer Nachbarschaft liegt seit 2017 der Gesundheitskiosk Billstedt – am Mittwochnachmittag das Ziel von Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach (SPD). Denn dieses Gesundheitszentrum im Miniformat zwischen Handyshop und Gemüsemarkt soll Vorbild für die gesamte Republik werden.
1000 solcher Gesundheitskioske (einer pro 80.000 Einwohner) plant die Regierung deutschlandweit in sozial benachteiligten Regionen. Dazu hat Lauterbach anlässlich seines Besuchs in Billstedt ein Eckpunktepapier für eine entsprechende Gesetzesinitiative vorgestellt. Warum noch eine neue Struktur? Aus Lauterbachs Sicht gibt es immer noch Lücken für einen niedrigschwelligen Zugang zum Gesundheitssystem, insbesondere der Präventionsangebote. Er denkt dabei an Menschen mit niedrigem Einkommen und Bildungsstand, unterversorgte Regionen, Menschen ohne Hausarzt, Krankenversicherung oder Wohnung sowie Menschen mit Migrationshintergrund und Sprachbarrieren.
»Oft erreichen wir diese Menschen erst, wenn sie ins Krankenhaus kommen und wir viel Geld für die Behandlung aufwenden müssen«, so Lauterbach, der selbst Arzt und Gesundheitsökonom ist. »Wir haben gute Präventionsangebote, aber meist dort, wo sie am wenigsten benötigt werden, nämlich dort, wo Krankenkassen mit solchen Leistungen um neue, zahlungskräftige Mitglieder werben.« Lauterbach wünscht sich keine Umverteilung, sondern zusätzliche Angebote in den Quartieren der bislang benachteiligten Menschen.
Er geht davon aus, dass die Kioske, die zu knapp 75 Prozent von den Krankenkassen und 20 Prozent durch die Kommunen finanziert werden sollen, sich bald durch die eingesparten Kosten selbst refinanzieren werden und langfristig das Gesundheitssystem sogar entlasten. Die Vergütung der Leistungen soll pauschal erfolgen.
Arbeiten sollen dort verschiedene Pflegefachkräfte mit Heilkundekompetenz (sogenannte Community Health Nurses) und Hebammen, denn insbesondere rund um Schwangerschaft und Geburt seien Präventionsangebote sinnvoll. Ärzte oder pharmazeutisches Personal sind nicht vorgesehen.
Im Gesundheitskiosk sollen die Menschen sowohl eine Beratung, zum Beispiel zu Ernährung und dem Management ihrer Erkrankung, als auch Unterstützung bei der Klärung gesundheitlicher und sozialer Angelegenheiten erhalten. Die Mitarbeiter sollen sie an umliegende Ärzte und entsprechende andere Leistungserbringer oder spezielle Hilfsangebote wie Demenzinitiativen oder Suchthilfen vermitteln.
Die Kioske sollen aber auch einfache medizinische Routineaufgaben wie Blutdruck- und Blutzuckermessungen, Verbandswechsel, Wundversorgung und subkutane Injektionen (veranlasst durch Ärzte) durchführen, heißt es im Eckpunktepapier. Gemeint sind wohl unter anderem Impfungen. Im Gesundheitskiosk Billstedt erfasst das Personal aber auch die Gesamtmedikation und will bei der Arzneimitteltherapie unterstützen.
Auf Nachfrage der Pharmazeutischen Zeitung, wie sich Lauterbach die Arzneimittelversorgung in den Gesundheitskiosken vorstellt, ging er nur auf die Ärzte ein. Er betonte, dass die Gesundheitskioske nicht als Konkurrenz zu den Arztpraxen gedacht seien. Vielmehr sollen diese entlastet werden, schließlich sei genug Arbeit da. Arzneimittel verordnen können weiterhin nur die kooperierenden Ärzte, am liebsten per E-Rezept. Lauterbach kann sich auch einen telemedizinischen Anschluss vorstellen.
Die PZ hakte auch beim Geschäftsführer des Gesundheitskiosks, Alexander Fischer, nach, wie es mit der Vernetzung umliegender Apotheken und der Einbindung pharmazeutischer Kompetenz aussieht. Falls die Patienten Arztrezepte hätten, würden diese sie ganz normal in einer Apotheke ihrer Wahl einlösen. Direkt im Kiosk arbeitet kein pharmazeutisches Personal mit und es gibt bislang auch keine direkten Kooperationen. »Wir überlegen aber derzeit, wie wir die Apotheken mit den neuen pharmazeutischen Dienstleistungen integrieren können.«
Die Apothekerkammer Hamburg äußerte sich auf Nachfrage der PZ zu den Gesundheitskiosken (in Hamburg gibt es mehrere) enttäuscht: »Wir Apotheken sind bei der Planung außen vor geblieben«, so die Erste Vizepräsidentin Petra Kolle. Sie kritisierte, dass dort Pflegepersonal die Arzneimittelerfassung und -betreuung übernimmt. »Medikationsmanagement und pharmazeutische Betreuung ist mehr als das und geht nicht ohne entsprechende Qualifikation. Wir halten es für zwingend erforderlich, dass auch Apotheken dabei sind, die vor allem auch Medikationsanalysen und Arzneimittelberatung durchführen.«
Links die Kräuter-Apotheke, hinten rechts Dr. Walters Markt-Apotheke, dazwischen der Minister mit Sicherheitspersonal und Limousine auf der Möllner Landstraße in Hamburg-Billstedt. / Foto: PZ/Daniela Hüttemann
Wenn man in der direkt gegenüber liegenden Kräuter-Apotheke nachfragt, ist von Kooperation und Vernetzung kaum etwas zu spüren. »Es kommt eher selten ein Patient direkt von gegenüber«, berichtet Inhaber Torsten Schütz. Es sei eher umgekehrt: Habe einer seiner Patienten zum Beispiel Probleme mit seiner Krankenkasse, verweise die Apotheke ihn an den Kiosk. »Wir sind aber offen für eine engere Zusammenarbeit«, versichert Schütz.
Ein paar Häuser weiter liegt Dr. Walters Markt-Apotheke. Auch dort würde man gern enger eingebunden werden. »Ich halte den Gesundheitskiosk für eine sehr sinnvolle Einrichtung im Stadtteil, der ein gutes Zusatzangebot macht«, so Inhaber Dr. Jochen Walter. Er habe von Anfang an und mehrfach Vorschläge für eine Zusammenarbeit unterbreitet, zum Beispiel für Medikationsanalysen und -beratungen. Stattdessen sei er gefragt worden, ob er das Personal des Gesundheitskiosks entsprechend schulen könnte, lehnte dies jedoch aus fachlichen Gründen ab.
»Es ist schon bitter, dass unsere pharmazeutische Kompetenz bis jetzt nicht gesehen wurde, dabei haben wir in einem gemeinsamen Gespräch schon vor Jahren klar gemacht, was Apotheken hier leisten können – und andere Fachkräfte eben nicht.« Er bleibe aber mit den Ärzten und dem Kiosk im Gespräch, inwieweit man nun über die pharmazeutischen Dienstleistungen kooperieren kann. Vom Besuch des Ministers hat man in beiden Apotheken jedenfalls nichts mitbekommen, was Apotheker Walter als bezeichnend beschreibt.