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Lysosomale Speicherkrankheiten

Neue Therapien bei Gendefekten

Bestimmte Gendefekte bei Neugeborenen waren früher gleichbedeutend mit schwerer Behinderung und frühem Tod des Kindes. Mittlerweile gibt es Therapiemöglichkeiten für einige Erbkrankheiten, bei denen nur ein Gen betroffen ist und die zu Stoffwechselfehlfunktionen im Lysosom führen – dank molekularbiologischer Diagnostik und gentechnisch erzeugter Arzneimittel.
Bettina Wick-Urban
28.03.2021  08:00 Uhr

Lysosomale Speicherkrankheiten (LSK) sind eine Gruppe von etwa 70 monogenetischen seltenen Stoffwechselerkrankungen, die durch Fehlfunktionen im Lysosom ausgelöst werden. Die Erkrankungen verlaufen chronisch progredient mit einer häufig verringerten Lebenserwartung. Die Gesamthäufigkeit aller LSK beträgt etwa 1 Kind auf 7500 bis 8000 Geburten (1, 2).

Das Lysosom wird auch »Magen der Zelle« genannt. Denn dieses Zellorganell, das in den meisten Körperzellen vorkommt, ist am Abbau von körperfremden und -eigenen Substanzen beteiligt. Proteine, Polysaccharide, Nucleinsäuren und Lipide werden mithilfe von hydrolysierenden Enzymen wie Proteasen, Nukleasen und Lipasen zerlegt. Lysosomen enthalten circa 40 bis 90 verschiedene Enzyme. Ist die Aktivität eines dieser Enzyme durch eine Mutation im kodierenden Gen deutlich herabgesetzt, kann das Enzym den Abbau eines Makromoleküls nicht mehr oder nur erheblich langsamer katalysieren. In der Folge reichern sich diese Makromoleküle zunächst in den Lysosomen an. Ab einer bestimmten Konzentration gelangen sie über die Plasmamembran unkontrolliert in die extrazelluläre Matrix und reichern sich im gesamten Organismus an (1, 2).

Die Speicherkrankheiten werden nach biochemischen Gesichtspunkten aufgrund der akkumulierten Metaboliten in drei Hauptgruppen geordnet:

  • Mukopolysaccharidosen,
  • Sphingolipidosen (Lipidosen) und
  • Mukolipidosen.

Die wichtigsten Gruppen sind die Mukopolysaccharidosen und die Sphingolipidosen.

Da die retikuloendothelialen Zellen, zum Beispiel in der Milz und Leber, reich an Lysosomen sind, sind diese Organe bei zahlreichen LSK betroffen. Im Allgemeinen erkranken die substratreichsten Gewebe am stärksten, zum Bespiel das Gehirn und das Rückenmark, die unter anderem reich an Gangliosiden und bei etwa der Hälfte dieser Speicherkrankheiten betroffen sind.

Mukopolysaccharidosen

Da Mukopolysaccharide fast überall im Körper vorkommen, zeigen sich Mukopolysaccharidosen in vielen Geweben, zum Beispiel Leber, Milz, Herz und Haut, Nervensystem, Knorpel und Knochen (1).

Den Mukopolysaccharidosen (MPS) liegt ein angeborener Mangel an Enzymen zugrunde, die am Abbau von Glykosaminoglykanen (GAG, früher auch Mukopolysaccharide) beteiligt sind. GAG sind Polysaccharide, die an der Zelloberfläche, in der extrazellulären Matrix und deren Strukturen vorkommen. Dazu gehören Hyaluronsäure, Heparansulfat, Dermatansulfat, Chondroitinsulfat und Keratansulfat. Bis auf die Hyaluronsäure sind alle GAG an Proteine gebunden und bilden so Proteoglykane (1).

Es gibt sechs Hauptformen der MPS, die jeweils durch den Defekt eines anderen Enzymsubtyps bedingt sind (Tabelle 1). Medizinisch werden sie eingeteilt in MPS I (Morbus Hurler, Morbus Scheie plus Mischform), II (Hunter), III (Sanfilippo), IV (Morquio), VI (Maroteaux-Lamy) und VII (Sly).

Erkrankung, Prävalenz bei Geburt
(geschätzt)
Beginn der Erkrankung (Lebensjahr) Defektes Enzym Therapie
Hurler-Syndrom (MPS IH), totaler Aktivitätsverlust, 1:200.000 1 α-L-Iduronidase EET: Laronidase (Aldurazyme®):
100 E/kg KG iv, hämatopoetische Stammzelltransplantation: nur bei MPS IH, Kinder <2,5 Jahre
Scheie-Syndrom (MPS IS), partieller Aktivitätsverlust, 1:500.000 >5 α-L-Iduronidase EET: Laronidase (Aldurazyme®):
100 E/kg KG iv, hämatopoetische Stammzelltransplantation: nur bei MPS IH, Kinder <2,5 Jahre
Scheie-Hurler-Syndrom (MPS I SH), partieller Aktivitätsverlust, 1:435.000 5 bis 8 α-L-Iduronidase EET: Laronidase (Aldurazyme®):
100 E/kg KG iv, hämatopoetische Stammzelltransplantation: nur bei MPS IH, Kinder <2,5 Jahre
Morbus Hunter (MPS Typ II), 1:72.000 bis 1:132.000 2 bis 4 Iduronatsulfatase EET: Idursulfase (Elaprase®):
0,5 mg/kg KG iv, Knochenmark- oder Stammzelltransplantation
Sanfilippo-Syndrom (MPS Typ III A bis D), 1:65.000 2 bis 6 A: Heparan-Sulfamidase, B: α-N-Acetylglucosaminidase, C: α-Glucosaminid-N-Acetyltransferase, D: N-Acetylglucosamin-6-sulfat-Sulfatase unterstützende Therapie
Morquio-Syndrom (MPS IV Typ A), 1:250.000 1 bis 4 N-Acetylgalactosamin-6-sulfat-Sulfatase EET: Elosulfase alfa (Vimizim®):
2 mg/kg KG iv
Maroteaux-Lamy-Syndrom (MPS VI), 1:43.000 bis 1:1.500.000 ab 1 Arylsulfatase B EET: Galsulfase (Naglazyme®):
1 mg/kg KG iv
Sly-Syndrom (MPS Typ VII), <1:1.000.000 1 bis 4 β-D-Glucuronidase EET: Vestronidase alfa (Mepsevii®):
4 mg/kg KG alle 14 Tage iv
Tabelle 1: Übersicht über Mukopolysaccharidosen (1). EET: Enzymersatztherapie; KG: Körpergewicht, iv: intravenöse Infusion, wenn nicht anders angegeben: einmal wöchentlich

Am häufigsten tritt das Sanfilippo-Syndrom auf, bei dem je nach Typ verschiedene Enzyme des Heparansulfat-Abbaus defekt sind. Hier ist etwa ein Kind bei 65.000 Geburten betroffen, gefolgt von Morbus Hunter. Am seltensten in Deutschland ist die MPS VII (Sly-Syndrom). Lediglich eines von einer Million Kinder kommt mit dieser Erkrankung zur Welt.

Die Vererbung ist mit Ausnahme von Morbus Hunter autosomal-rezessiv. Die Erkrankungen manifestieren sich bereits im frühen Kindesalter. Die Anhäufung von GAG in den Lysosomen hat Knochen-, Weichteilgewebe- und ZNS-Veränderungen zur Folge. Die klinischen Symptome variieren mit dem Typ, wobei häufig veränderte Gesichtszüge, entwicklungsneurologische Verzögerungen und Regressionen, Gelenkkontrakturen, Organomegalien, steife Haare, fortschreitende Ateminsuffizienz, kardiovaskuläre Krankheiten, Skelettveränderungen und eine Luxation der Halswirbel auftreten. Bei den schweren Formen mit einem totalen Verlust der Enzymaktivität ist die Lebenserwartung gering (1, 4–11).

Sphingolipidosen: vor allem das ZNS betroffen

Sphingolipidosen sind bis auf den X-chromosomal vererbten Morbus Fabry durch autosomal-rezessiv vererbte Gene ausgelöste LSK. Hier sind Enzyme des Sphingolipid-Metabolismus defekt. Sphingolipide sind wichtige Bestandteile der Zellmembran.

Im Gegensatz zu den Phosphoglyceriden leiten sich die Sphingolipide nicht vom Glycerin, sondern von dem ungesättigten Aminoalkohol Sphingosin ab. Es gibt drei Haupttypen: Ceramide, die daraus abgeleiteten Sphingomyeline und Glycosphingolipide (Cerebroside und Ganglioside). Sphingolipide findet man häufig in Nervengeweben, wo sie eine wichtige Rolle in der Signaltransduktion und der Interaktion einzelner Zellen spielen. Morbus Gaucher ist die häufigste Sphingolipidose mit einem betroffenen Kind bei 60.000 Geburten.

Gemeinsame Symptome der Erkrankungen sind motorische und geistige Retardierung, Vergrößerung von Leber und Niere sowie häufig ein kirschroter Makulafleck durch die Anhäufung von Metaboliten im Auge. Im Allgemeinen handelt es sich um schwere, unbehandelt in der Kindheit zum Tod führende Erkrankungen (1, 12, 13, 14, Tabelle 2).

Erkrankung, Prävalenz bei Geburt
(geschätzt)
Beginn der Erkrankung, (Lebensjahr) Defektes Enzym Therapie
Morbus Gaucher, 1:60.000, Typ 1: chronisch, nicht neurologisch (95 Prozent) Kindheit oder Adoleszenz β-Glucocerebrosidase EET: Imiglucerase (Cerezyme®, Typ 1 und 3): 60 Einheiten/kg KG alle 14 Tage iv. Velaglucerase alfa (Vpriv®, Typ 1): 60 Einheiten/kg KG alle 14 Tage iv.
SRT: Eliglustat (Cerdelga®, Typ 1): 84 mg einmal täglich oral für langsame und zweimal täglich für intermediäre und schnelle CYP2D6 Metabolisierer. Miglustat (Zavesca®, Typ 1): 100 mg dreimal täglich oral. Knochenmark- oder Stammzelltransplantation
Morbus Gaucher, 1:60.000, Typ 2: akut, neurologisch Kindheit β-Glucocerebrosidase EET: Imiglucerase (Cerezyme®, Typ 1 und 3): 60 Einheiten/kg KG alle 14 Tage iv. Velaglucerase alfa (Vpriv®, Typ 1): 60 Einheiten/kg KG alle 14 Tage iv.
SRT: Eliglustat (Cerdelga®, Typ 1): 84 mg einmal täglich oral für langsame und zweimal täglich für intermediäre und schnelle CYP2D6 Metabolisierer. Miglustat (Zavesca®, Typ 1): 100 mg dreimal täglich oral. Knochenmark- oder Stammzelltransplantation
Morbus Gaucher, 1:60.000, Typ 3: subakut, neurologisch 4 bis 8 β-Glucocerebrosidase EET: Imiglucerase (Cerezyme®, Typ 1 und 3): 60 Einheiten/kg KG alle 14 Tage iv. Velaglucerase alfa (Vpriv®, Typ 1): 60 Einheiten/kg KG alle 14 Tage iv.
SRT: Eliglustat (Cerdelga®, Typ 1): 84 mg einmal täglich oral für langsame und zweimal täglich für intermediäre und schnelle CYP2D6 Metabolisierer. Miglustat (Zavesca®, Typ 1): 100 mg dreimal täglich oral. Knochenmark- oder Stammzelltransplantation
Morbus Fabry, 1:80.000 Kindheit oder Adoleszenz α-Galactosidase EET: Agalsidase alfa (Replagal®), Agalsidase beta (Fabrazyme®): 1 mg/kg KG alle 14 Tage iv. Pharmakologisches Chaperon: Migalastat (Galafold®, bei Patienten mit einer Mutation, die auf den Arzneistoff anspricht): 123 mg einmal jeden 2. Tag oral
Metachromatische Leukodystrophie, 0,5 und 1:50.000 (60 Prozent spät-infantile Form) 1 bis 2 Arylsulfatase A unterstützende Pflege. Knochenmark- oder Stammzelltransplantation bei Patienten mit leichten Formen
Metachromatische Leukodystrophie, 0,5 und 1:50.000 (juvenile Form) 4 bis 16 Arylsulfatase A unterstützende Pflege. Knochenmark- oder Stammzelltransplantation bei Patienten mit leichten Formen
GM2-Gangliosidose: Tay-Sachs-Syndrom (Typ I), 1:320.000 5 bis 6 Monate Hexosaminidase A unterstützende Pflege
GM2-Gangliosidose: Sandhoff-Syndrom (Typ II), 1:130.000 5 bis 6 Monate Hexosaminidase A und B unterstützende Pflege
Morbus Krabbe, 1:100.000 (80 bis 90 Prozent infantile Form) 3 bis 6 Monate Cerebrosid-β-Galactosidase unterstützende Pflege, Knochenmark- und Stammzelltransplantation
Morbus Krabbe, 1:100.000, späte infantile und juvenile Formen 15 Monate bis 17 Jahre Cerebrosid-β-Galactosidase unterstützende Pflege, Knochenmark- und Stammzelltransplantation
Tabelle 2: Übersicht über Sphingolipidosen (1). EET: Enzymersatztherapie; KG: Körpergewicht, iv: intravenöse Infusion; SRT: Substratreduktionstherapie

Mukolipidosen: defekte Membranproteine

Als Mukolipidosen (ML) bezeichnet man eine Gruppe von derzeit vier autosomal-rezessiv vererbten lysosomalen Speicherkrankheiten. Mukolipidosen ähneln klinisch den Mukopolysaccharidosen, sind jedoch noch seltener. Die vier derzeit bekannten ML sind: Sialidose Typ II (ML Typ I), I-Zellkrankheit (ML Typ II α/β), Pseudo-Hurler-Polydystrophie (ML Typ III α/β) und Sialolipidose (ML Typ IV) (1, 15–18, Tabelle 3).

Ursache dieser Speicherkrankheiten sind Mutationen in Genen, die für Membranproteine kodieren. So ist zum Beispiel bei den ML Typ II und III ein Gen defekt, das für das Enzym N-Acetylglucosaminyl-1-phosphotransferase kodiert; in der Folge kann ein großer Teil lysosomaler Enzyme nicht in das Innere der Lysosomen gelangen. Die Markierung mit Mannose-6-phosphat findet nicht statt und unmarkierte Enzyme werden nicht über den entsprechenden Rezeptor in die Lysosomen aufgenommen. Dies führt zu Fehlfunktionen im Stoffwechsel von Polysacchariden, Lipiden und Glykoproteinen.

Erkrankung, Prävalenz bei Geburt
(geschätzt)
Beginn der Erkrankung (Lebensjahre) Defektes Enzym Therapie
Sialidose Typ II (ML Typ I), 1:4.200.000 N-Acetyl-α-Neuraminidase unterstützende symptomatische Therapie
I-Zellkrankheit (ML Typ II α/β), 1:64.000 bis 1:1.625.000 1 N-Acetylglucosaminyl-1-phosphotransferase unterstützende symptomatische Therapie
Pseudo-Hurler-Polydystrophie (ML Typ III α/β), 1:1.000.000 2 bis 4 N-Acetylglucosaminyl-1-phosphotransferase unterstützende symptomatische Therapie
Sialolipidose (ML Typ IV), 1:1.000.000 Kleinkindalter Mucolipin-1 Membranprotein unterstützende symptomatische Therapie
Tabelle 3: Übersicht über Mukolipidosen (1)

Mit Ausnahme der Pseudo-Hurler-Polydystrophie führen alle ML zu einer schweren psychomotorischen Retardierung der Betroffenen. Weiterhin können Fehlbildungen im Skelettaufbau und Erkrankungen der Netzhaut auftreten. Bislang gibt es keine kausale Behandlung (1, 15–18).

Daneben gibt es weitere lysosomale Speicherkrankheiten wie die zu den Lipidosen zählende Wolman-Krankheit, bei der ein Mangel des Enzyms lysosomale saure Lipase (LAL) die Ursache ist (Tabelle 4). Cholesterolester und Triglyceride häufen sich hier in den Lysosomen an, was zu Wachstumsstörungen und schweren Leberschäden führt. Erkrankte Säuglinge sterben oft innerhalb der ersten sechs Lebensmonate. Zu den Oligosaccharidosen gehört die Alpha-Mannosidose. Der Enzymmangel hat eine Immunschwäche, faziale Anomalien, Skelettveränderungen, Schwerhörigkeit und intellektuelle Defizite zur Folge. Die Prävalenz unter Lebendgeborenen beträgt etwa 1:500.000.

Auch ein Enzymdefekt für das Glykogen-abbauende Enzym α-1,4-Glucosidase ist bekannt. Die infantile Form (Pompesche Erkrankung) beginnt im Alter von drei Monaten mit schwerer Muskelhypotonie, Saug- und Schluckschwäche, hypertropher Kardiomyopathie und zunehmender Lebervergrößerung. Sie führt unbehandelt innerhalb von zwei Jahren zum Tod (1, 19–21, Tabelle 4).

Erkrankung, Prävalenz bei Geburt
(geschätzt)
Beginn der Erkrankung (Lebensjahre) Defektes Enzym Therapie
Glykogenose Typ 2 (Morbus Pompe), 1:138.000 infantile Form ab 3 Monaten Saure α-1,4-Glucosidase EET: Alglucosidase alfa (Myozyme®), 20 mg/kg KG alle 14 Tage iv
Lysosomale saure Lipase-Mangel (Wolmansche Krankheit), 1:177.000 Kindheit Lysosomale saure Lipase (LAL) EET: Sebelipase alfa (Kanuma®), 1 mg/kg KG alle 14 Tage iv
Alpha-Mannosidose, 1:500.000, Typ 1 (schwer) 3 bis 12 Monate α-Mannosidase EET: Velmanase alfa (Lamzede®): leichte bis mittelschwere, nicht neurologische Erkrankung. 1 mg/kg KG einmal wöchentlich iv. Knochenmark- und Stammzelltransplantation
Alpha-Mannosidose, 1:500.000, Typ 2 (leicht) 1 bis 4 α-Mannosidase EET: Velmanase alfa (Lamzede®): leichte bis mittelschwere, nicht neurologische Erkrankung. 1 mg/kg KG einmal wöchentlich iv. Knochenmark- und Stammzelltransplantation
Neuronale Ceroid-Lipofuszinose Typ 2 (CLN2) 2 bis 4 Tripeptidyl-Peptidase-1 (TPP1) EET: Cerliponase alfa (Brineura®), 300 mg jede 2. Woche als intrazerebroventrikuläre Infusion
Niemann-Pick-Syndrom Typ C, 1:130.000 sehr unterschiedlich, ab Kindheit bis ins Erwachsenenalter NPC-1/2-Lipid-Transportproteine SRT: Miglustat (Zavesca®): 200 mg dreimal täglich oral, hämatopoetische Stammzelltransplantation bei jungen Patienten mit NPC-2-Defekt
Tabelle 4: Andere lysosomale Speicherkrankheiten (1). EET: Enzymersatztherapie; KG: Körpergewicht, iv: intravenöse Infusion; SRT: Substratreduktionstherapie

Frühzeitige Diagnose und Therapiebeginn

Die klinische Diagnose wird aufgrund von Anamnese, klinischer Untersuchung sowie erhöhten Metaboliten im Urin oder zum Teil im Plasma gestellt. Sie wird mittels DNA-Analyse beziehungsweise Enzymanalyse von kultivierten pränatalen Fibroblasten oder postnatalen Leukozyten bestätigt (1, 18, 22).

Bis vor wenigen Jahren waren nur eine symptomatische Behandlung beziehungsweise unterstützende Pflege möglich. Bei schweren Fällen wurde eine Stammzell- oder Knochenmarktransplantation als letzte Therapiemöglichkeit in Betracht gezogen. Mittlerweile gibt es für einige lysosomale Speicherkrankheiten eine kausale Behandlung. Wichtig sind eine möglichst frühzeitige Diagnose sowie ein rascher Therapiebeginn, bevor sich Behinderungen manifestieren. Derzeit gibt es fünf Therapieansätze:

  • Enzymersatztherapie (EET),
  • Substratreduktionstherapie (SRT),
  • pharmakologische Chaperon-Therapie,
  • Gentherapie,
  • Stammzell- und Knochenmarktransplantation.

Am besten etabliert ist die Enzymersatztherapie. Die Patienten erhalten lebenslang das fehlende Enzym als Infusion alle sieben oder 14 Tage. Eingesetzt werden rekombinant hergestellte Enzyme, die meist in chinesischen Hamsterzellen oder humanen Fibroblasten produziert werden. Nachteil bei allen EET: Aufgrund der Molekülgröße können die Enzyme die Blut-Hirn-Schranke nicht passieren und somit neurologische Beeinträchtigungen oder eine geistige Retardierung nicht beeinflussen.

Die Behandlung wird in der Regel gut vertragen. Häufige Nebenwirkungen sind Reaktionen an der Injektionsstelle wie Hautausschlag oder Juckreiz. Bei einigen EET wurden auch Überempfindlichkeitsreaktionen bis hin zur Anaphylaxie beobachtet; dann wird eine Vorbehandlung mit Antihistaminika und gegebenenfalls Antipyretika 30 bis 60 Minuten vor der Infusion empfohlen. Ein Großteil der Patienten entwickelt IgG-Antikörper gegen das Protein, die jedoch offensichtlich keinen Einfluss auf die Wirksamkeit beziehungsweise die Häufigkeit von Nebenwirkungen haben (1, 18, 23).

Kausale Therapie durch Enzymersatz

EET existieren für die meisten Mukopolysaccharidosen mit Ausnahme von MPS Typ III (Tabelle 1). Hierfür ist derzeit eine Therapie in der klinischen Erprobung. In klinischen Studien konnte die frühzeitige Gabe das Auftreten von klinischen Symptomen verzögern. Neben der Reduktion der Glucosaminoglykane im Urin wurde ein positiver Einfluss auf Parameter wie Gehfähigkeit, Lungenfunktion, Schulterbeweglichkeit, Sehschärfe, motorische Fähigkeit oder Fatigue festgestellt. Die Größe von Leber, Milz oder Herz nahm ab (24–28).

Auch einige Sphingolipidosen können mit Enzymersatz behandelt werden (Tabelle 2). Morbus Gaucher wird hervorgerufen durch einen Mangel des Enzyms β-Glucocerebrosidase, der zu einer Anreicherung von Glykosphingolipid I führt. Dieses ist ein Hauptbestandteil der Plasmamembranen zirkulierender Blutzellen, hauptsächlich der Makrophagen und Monozyten. Diese sogenannten Gaucher-Zellen reichern sich in den Organen des retikuloendothelialen Systems, primär in Milz, Leber und Knochenmark und sekundär auch in der Lunge an. Für die Substitution des fehlenden Enzyms stehen zwei Präparate zur Verfügung: Imiglucerase (Cerezyme®) bei Patienten mit Gaucher Typ 1 oder Typ 3 und Velaglucerase alfa (Vpriv®) für die Behandlung von Typ 1. Alglucerase (Ceredase®), ein aus Plazentagewebe gewonnenes Enzym, wurde aus dem Handel genommen, nachdem die rekombinanten Enzyme verfügbar waren (29, 30).

Die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Imiglucerase bei Patienten mit Typ-1-Gaucher-Krankheit wurde in der klinischen Erprobung mit Alglucerase verglichen. Hier zeigten beide Präparate eine vergleichbare Wirksamkeit: Sie erhöhten die Hämoglobinwerte und die Thrombozytenzahl und verringerten die Leber- und Milzgröße. Auch die Wirksamkeit von Velaglucerase und Imiglucerase ist vergleichbar. Die Nebenwirkungen, hauptsächlich infusionsbezogene Reaktionen, waren vergleichbar in Art und Häufigkeit (29, 30).

Möchte eine Gaucher-Patientin schwanger werden, ist Imiglucerase die Therapie der Wahl. Während es für Velaglucerase noch keine Erfahrungen zur Anwendung in der Schwangerschaft gibt, liegen diese für Imiglucerase bereits aus circa 150 Schwangerschaften vor. Sie legen den Schluss nahe, dass die Behandlung mit Imiglucerase auch während der Schwangerschaft erfolgreich möglich ist. Hinweise auf ein Missbildungsrisiko haben sich bisher nicht ergeben. Ob Imiglucerase in die Muttermilch übergeht, ist nicht bekannt. Es ist jedoch davon auszugehen, dass das Enzym im Magen-Darm-Trakt des Säuglings verdaut wird (29).

Bei Morbus Fabry liegt ein Mangel an α-Galactosidase A vor, der zu einer Zunahme der Konzentration von Glykosphingolipid 3 (GL-3) und dessen löslicher Form Lyso-GL-3 im Plasma sowie zur Akkumulation in den Lysosomen vieler Zelltypen, einschließlich Endothel- und Parenchymzellen vor allem in Niere, Herz und Nervensystem führt. Ohne Therapie sterben viele Patienten im Alter von 40 bis 50 Jahren an Herzinfarkt, Schlaganfall oder Nierenversagen. Zwei EET stehen zur Verfügung: Agalsidase alfa (Replagal®) und Agalsidase beta (Fabrazyme®) (Tabelle 2).

In der klinischen Erprobung nahmen die neuropathischen Schmerzen unter der Therapie ab, die Nierenfunktion stabilisierte sich und die myokardiale Kontraktilität verbesserte sich. Die Glykosphingolipid-Spiegel im Plasma sanken und die Glykosphingolipid-Ablagerungen in den Organen bildeten sich deutlich zurück. Für Agalsidase beta wurde gezeigt, dass die Rate renaler, kardialer oder zerebrovaskulärer Ereignisse abnahm. Es traten vorwiegend Nebenwirkungen im Zusammenhang mit der Infusion auf wie Fieber, Schüttelfrost, Muskel- und Kopfschmerzen oder Rigor (31, 32).

Auch für einige andere LSK gibt es mittlerweile EET (44–47).

Neuer Ansatz: Substratreduktion

Nachteilig bei allen Enzymersatztherapien ist die mangelnde Wirksamkeit im Zentralnervensystem, da die Blut-Hirn-Schranke für die Enzyme eine unüberwindbare Barriere darstellt. Ein neuartiger Therapieansatz sind niedermolekulare Substanzen, die eine Neubildung der im Lysosom nicht abbaubaren Makromoleküle verhindern oder zumindest reduzieren. Diese Therapie setzt also auf die Substratreduktion. Ein weiterer Vorteil gegenüber der EET ist die patientenfreundlichere orale Anwendung (33).

Als Substratreduktionstherapie (SRT) ist Eliglustat (Cerdelga®) zugelassen für die Langzeitbehandlung von erwachsenen Patienten mit Morbus Gaucher Typ 1 sowie Miglustat (Zavesca®) bei leichten bis mittelschweren Formen des Typ 1, wenn eine Enzymersatztherapie nicht möglich ist, sowie zur Behandlung progressiver neurologischer Manifestationen bei erwachsenen und pädiatrischen Patienten mit Niemann-Pick-Krankheit Typ C (Tabelle 2). Beide Arzneistoffe hemmen spezifisch das Enzym Glucocerebrosid-Synthase. Für die Behandlung von Morbus Fabry befindet sich mit Lucerastat eine weitere SRT im fortgeschrittenen Stadium der klinischen Erprobung (34–36).

Die Gabe von Miglustat beziehungsweise Eliglustat verbesserte bei unbehandelten Gaucher-Patienten die Hämoglobin- und Thrombozytenwerte und verringerte das Milz- und Lebervolumen. Bei Patienten, die von einer EET auf eine SRT umgestellt wurden, blieben die klinischen Symptome in der Regel stabil. Zudem hatte die Behandlung einen positiven Effekt auf die Knochendichte.

In der klinischen Erprobung war Eliglustat im Hinblick auf hämatologische Parameter, Organvolumen und Knochendichte stärker wirksam auch bei schwereren Formen der Erkrankung, weshalb es für die Erstbehandlung zugelassen ist. Klinische Daten bis zu vier Jahren legen nahe, dass es bei Langzeitbehandlung den Krankheitsverlauf bei Morbus Gaucher Typ 1 stabilisiert.

Die häufigsten Nebenwirkungen unter Eliglustat in den klinischen Studien waren Kopfschmerzen, Arthralgie, Nasopharyngitis, obere Atemwegsinfektionen, Diarrhö, Schwindel und Herzklopfen. Unter Miglustat wurden Diarrhö, Blähungen, Bauchschmerzen, Gewichtsverlust und Tremor beobachtet. Die häufigste schwerwiegende Nebenwirkung war eine periphere Neuropathie (34, 35).

Wichtig bei Eliglustat: Vor Therapiestart muss der CYP2D6-Metabolisierungsstatus bestimmt werden. Der Arzneistoff wird hauptsächlich über CYP2D6 in der Leber metabolisiert. Patienten, die ultraschnelle CYP2D6-Metabolisierer sind, erreichen möglicherweise keine ausreichenden Konzentrationen für eine therapeutische Wirkung. Deshalb ist der Arzneistoff für diese Patienten nicht zugelassen. Intermediäre und schnelle CYP2D6-Metabolisierer sollten zweimal täglich eine Kapsel à 84 mg Eliglustat, langsame CYP2D6-Metabolisierer einmal täglich eine Kapsel schlucken (34).

Die Niemann-Pick-Krankheit Typ C ist eine sehr seltene, progredient und tödlich verlaufende neurodegenerative Erkrankung, bei der der intrazelluläre Lipidtransport aufgrund eines Mangels der Transportproteine NPC-1 und -2 beeinträchtigt ist (Tabelle 4). Die neurologischen Manifestationen sind eine Folge der Anreicherung von Glykosphingolipiden in Neuronen und Gliazellen. In klinischen Studien konnte die Behandlung mit Miglustat das Fortschreiten neurologischer Symptome aufhalten (35, 37).

Pharmakologische Chaperone

Migalastat (Galafold®) ist ein pharmakologisches Chaperon, das für die Behandlung von Morbus Fabry entwickelt wurde (Tabelle 2). Es bindet selektiv und reversibel mit hoher Affinität an das aktive Zentrum von bestimmten mutierten α-Galactosidase-A-Formen (α-Gal A). Dies stabilisiert die Enzymmoleküle im endoplasmatischen Retikulum und fördert deren Transport zu den Lysosomen. In den Lysosomen wird die α-Gal-A-Aktivität durch die Dissoziation von Migalastat wiederhergestellt und führt zum Katabolismus von GL-3 und ähnlichen Substraten.

In der klinischen Testung profitierten sowohl Patienten, die zuvor mit einer EET (Agalsidase alfa oder Agalsidase beta) behandelt wurden und danach Migalastat erhielten, als auch Patienten, die initial mit dem Arzneistoff behandelt wurden. Die bei Morbus Fabry beeinträchtigte Nierenfunktion blieb stabil, die Herzfunktion verbesserte sich und die Glykosphingolipid-Plasmaspiegel blieben niedrig. In einer gepoolten Analyse der klinischen Daten wurden bei mit Migalastat behandelten Patienten weniger renale, kardiale oder zerebrovaskuläre Ereignisse beziehungsweise eine geringere Mortalität beobachtet als unter EET (29 gegenüber 44 Prozent). Die Therapie wird in der Regel gut vertragen. Häufigste Nebenwirkungen in den klinischen Studien waren Kopfschmerzen, Nasopharyngitis, Übelkeit, Fatigue, Fieber und Parästhesien (33, 38).

Wichtig: Vor der Behandlung mit dem Chaperon (für Patienten ab 16 Jahre) muss mittels eines Gentests festgestellt werden, ob eine auf Migalastat ansprechende Genmutation vorliegt (38).

Neue Hoffnung Gentherapie

Ein vielversprechender Ansatz, der sich aber weitgehend in den Anfängen befindet, ist die Gentherapie. In früher klinischer Erprobung sind Gentherapien für Morbus Gaucher Typ 1 (AVR-RD-02) und Morbus Fabry (AVR-RD-01). Den Patienten werden Stammzellen entnommen und die sich darin befindenden CD34+-Zellen aufkonzentriert. Mithilfe eines Lentivirus-Vektors wird eine gesunde Kopie des defekten Gens für die Glucocerebrosidase ex vivo in die Zellen eingeschleust. Die Patienten erhalten dann eine einmalige Infusion ihrer modifizierten Stammzellen. Erste Ergebnisse werden dieses Jahr erwartet (39, 40).

An einem weiteren gentherapeutischen Ansatz, der sich in der frühen klinischen Erprobung bei Morbus Fabry befindet, arbeiten mehrere Unternehmen. Hierbei werden modifizierte, nicht vermehrungsfähige Adeno-assoziierte Viren, die eine gesunde Kopie des GLA-Gens enthalten, infundiert. Die Viren sollen im Patienten die Zellen infizieren, die bei Morbus Fabry betroffen sind (41–43).

Als ultimative Therapie bei schweren Formen einer lysosomalen Speicherkrankheit kann eine Stammzell- oder Knochenmarkstransplantation erwogen werden. So ist zum Beispiel beim Hurler-Syndrom, der schwersten MPS-I-Form, die hämatopoetische Stammzelltransplantation die Behandlung der Wahl für Patienten unter 2,5 Jahren, da sie die Neurokognition erhält und das Überleben verlängert (1, 4).

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