Pharmazie
Am 27. März diesen Jahres wurde in den USA nach nur 6monatiger
Begutachtungszeit der Phosphodiesterase-5-Hemmer Sildenafil (Viagra,
Pfizer) von der US-amerikanischen Zulassungsbehörde FDA für die
Behandlung von Erektionsstörungen zugelassen. Mit der Zulassung in der
EU durch die EMEA wird im Laufe dieses Jahres gerechnet. Es ist zur Zeit
das einzige wirksame Arzneimittel zur peroralen Anwendung für diese
Indikation (2,10).
Das Marktpotential ist enorm, obwohl genaue Zahlen zum Ausmaß und Prävalenz
der erektilen Dysfunktion nicht vorliegen. Nach verschiedenen Quellen soll jeder
zweite Mann zwischen 40 und 70 Jahren Probleme bei der Initiierung oder
Aufrechterhaltung der für den Geschlechtsverkehr notwendigen Erektion aufweisen.
Die angenommene Prävalenz ist etwa 40 Prozent bei 40 Jahre alten Männern und 67
Prozent bei Männern älter als 70 Jahre. Rund 11 Prozent der 260 Millionen Männer
in Europa leiden unter Impotenz. Die Kosten für eine Einzeldosis Sildenafil in den
USA betragen etwa 10 US Dollar, das sind etwa 18 DM. Die Kosten in der
Bundesrepublik Deutschland als Einzelimport nach § 73, Abs. 3 AMG belaufen sich
auf etwa 30 bis 35 DM (2, 3, 5, 6). Zur Zeit ist davon auszugehen, daß Viagra das
bisher umsatzstärkste Arzneimittel wird.
Bisher standen mit der Schwellkörper-Autoinjektionstherapie (SKAT), in der Regel
mit Prostaglandin E1 (Alprostadil), Erfolgsquote etwa 90 Prozent, oder der
Applikation dieser Substanz als Gel in die Harnröhre (MUSE - Medicated
Urethral System for Erection), Erfolgsquote etwa 50 bis 60 Prozent, zwar wirksame
aber unkomfortable Therapiemethoden zur Verfügung, die auch nicht ohne Risiken
wie Fibrosen (etwa 5 Prozent bei SKAT), Priapismus (Risiko 0,001 Prozent pro
Applikation bei SKAT) oder Kreislaufkollaps (3 bis 4 Prozent bei MUSE) sind (3,
8, 10).
Ursprünglich wurde der Vasodilatator Sildenafil als Angina-pectoris-Mittel
entwickelt. Die in den klinischen Prüfungen der Phase I aufgefallene Nebenwirkung -
Zunahme von Erektionen - wurde zur Indikation (1, 3, 5, 8).
Wirkung und Wirkungsmechanismus
Infolge sexueller Stimulation freigesetztes NO (Stickstoffmonoxid) aktiviert
cyclisches Guanosinmonophosphat (cGMP). Der Mechanismus dieser Aktivierung
ist derzeit nicht bekannt. cGMP erweitert die Schwellkörpergefäße des Penis
(Corpus cavernosum). Sildenafil ist ein relativ selektiver Hemmstoff der
cGMP-spezifischen Phosphodiesterase (PDE) Typ 5 und verhindert dadurch den
Abbau des Botenstoffs cGMP. Daraus folgt eine verstärkte und verlängerte
Vasodilatation und Erektion. Ohne sexuelle Stimulation bleibt, im Gegensatz zur
SKAT-Therapie, ein Effekt aus. Die PDE Typ 5 ist das dominierende Isoenzym im
menschlichen Corpus cavernosum. Mit etwa 10fach niedrigerer Potenz hemmt
Sildenafil auch die PDE 6, die zum Beispiel in der Retina vorkommt (1, 3-6.)
Klinische Prüfung
In verschiedenen klinischen Prüfungen an mehr als 4000 Männern zwischen 19 und
87 Jahren mit erektiler Dysfunktion verschiedener Ursachen (Diabetes, Hypertonie,
Rückenmarksverletzungen, Zustand nach radikaler Prostatektomie, ohne definierte
organische Ursachen, Depression) wurden (10), 25, 50 und 100 mg Sildenafi - in
der Regel eine Stunde vor dem Geschlechtsverkehr - untersucht. Die Erfolgsquoten
lagen dosisabhängig zwischen 60 und 80 Prozent, zum Teil sogar bis 90 Prozent.
Die Ansprechrate auf Placebo betrug zwischen 20 und 30 Prozent. Bei Patienten mit
Diabetes oder Zustand nach radikaler Prostatektomie beträgt die Erfolgsquote
wahrscheinlich nur etwa 50 Prozent (1-3, 5).
Wirkungen und unerwünschte Wirkungen dieses Arzneimittels bei Männern ohne
Erektionsstörungen sind bisher nicht untersucht. Der Arzneistoff könnte bei diesen
Gesunden ohne objektivierbare Wirkung sein, unerwünschte Wirkungen sind
hingegen zu erwarten (2). Zu einer notwendigen doppelblinden, randomisierten,
placebo-kontrollierten Studie dürfte wohl auch keine Ethik-Kommission ihre
Zustimmung erteilen. Erste klinische Studien mit Frauen, etwa. bei
Durchblutungsstörungen von Klitoris und Scheidenwand, sind bereits angelaufen.
Dosierung und Anwendung
Männer mit Erektionsstörungen können, nach ärztlicher (urologischer) Untersuchung,
in der Regel 50 mg Sildenafil eine Stunde (0,5 bis 4 Stunden) vor der sexuellen
Aktivität einnehmen, maximal einmal pro Tag. Der Effekt tritt etwa 10 Minuten nach
visueller sexueller Stimulation ein. Die Einzeldosis kann nach Wirksamkeit und
Verträglichkeit auf 25 mg erniedrigt oder auf 100 mg erhöht werden. Bei Patienten
über 65 Jahre, mit Leberfunktionsstörungen (zum Beispiel alkoholische Zirrhose),
schweren Nierenfunktionsstörungen (CLCR < 30 ml/min) oder gleichzeitiger
Einnahme von Hemmstoffen des Cytochrom P450-Isoenzyms 3A4 wie
Erythromycin, Ketoconazol oder Itraconazol beträgt die anfängliche Einzeldosis 25
mg. Das Maximum der erektionsfördernden Wirkung wie auch der
Sildenafil-Plasmakonzentration wird nach etwa einer Stunde erreicht. Nach 4 bis 6
Stunden ist die Wirkung abgeklungen (2, 5, 6, 8).
Viagra (Sildenafil citrat) ist in den USA als blaue, rautenförmige Filmtablette mit
gerundeten Ecken im Handel (Fl. mit 30 Stück) und wie folgt gekennzeichnet (1); es
ist nicht auszuschließen, daß Fälschungen "in den Handel" kommen:
Dosis25 mg50 mg100 mg
VorderseiteVGR 25VGR 50VGR 100
RückseitePFIZERPFIZERPFIZER
Fl. mit 30 St. NDC-0069-4200-30 NDC-0069-4210-30 NDC-0069-4220-30
Kontraindikationen
Wie immer ist bei bekannter Überempfindlichkeit gegen den Arzneistoff oder einen
Bestandteil der Zubereitung (zum Beispiel Magnesiumstearat, Titandioxid, Triacetin,
Lactose) die Anwendung kontraindiziert. Da Sildenafil den hypotensiven Effekt von
Nitraten potenziert, ist die Anwendung bei Patienten, die Nitrate einnehmen
kontraindiziert. Männer mit Erkrankungen der Retina wie Makuladegeneration oder
Retinitis pigmentosa sollten Sildenafil vorsichtshalber nicht verwenden. Vorsicht ist
bei Patienten mit Ulcera oder Blutgerinnungsstörungen geboten. Vor allem ältere
Patienten sollten bezüglich ihrer Herz-Kreislauf-Funktion zunächst untersucht
werden, da der Geschlechtsverkehr eine Belastung für das Herz-Kreislauf-System
darstellen kann (1, 3, 6).
Unerwünschte Wirkungen
Häufige (über 10 Prozent) unerwünschte Wirkungen nach Einnahme von Sildenafil
sind Kopfschmerzen, Verdauungsstörungen/dyspeptische Beschwerden, Diarrhoe
und Flush. Gelegentlich (1 bis 10 Prozent) traten Rhinitis, Muskelschmerzen und
Sehstörungen wie Störung des Farbsehens, verschwommenes Sehen, blaue Schleier
für einige Stunden, Lichtempfindlichkeit auf. Diese unerwünschten Wirkungen sind in
der Regel dosisabhängig, so traten bei Einzeldosen von 100 mg bei 17 Prozent
dyspeptische Beschwerden und bei 11 Prozent Sehstörungen und damit häufiger als
nach Einnahme von 50 mg auf. Bis zu 5 Prozent der Patienten schieden aus den
klinischen Studien aufgrund von unerwünschten Wirkungen aus. Bei weniger als 2
Prozent der Patienten wurden weitere unerwünschte Wirkungen wie
Photosensibilisierung, allergische Reaktionen, Erbrechen, Anämie, Leukopenie,
Hyper- und Hypoglykämie, Tremor, Vertigo, Kontaktdermatitis, Tinnitus
beschrieben. Priapismus wurde bisher nicht beobachtet (1-3, 5, 8).
Wechselwirkungen
Sildenafil wird hauptsächlich durch Cytochrome P450 (CYP), 3A4 und weniger
durch 2C9, metabolisiert. Cimetidin (800 mg) erhöht die
Sildenafilplasmakonzentration um 56 Prozent. Der spezifische CYP 3A4-Inhibitor
Erythromycin, zweimal täglich 500 mg über 5 Tage, erhöhte die Sildenafil-AUC um
182 Prozent. Noch stärkere Effekte sind durch die gleichzeitige Gabe der CYP
3A4-Hemmer Ketoconazol, Itraconazol oder Mibefradil bezüglich der
Verminderung der Sildenafil-Clearance zu erwarten (1). Diese Kombinationen
sollten vermieden werden.
Zusammenfassung
Der Medienrummel im Zusammenhang mit der Zulassung und Markteinführung von
Viagra hat bereits in kurzer Zeit die Aufmerksamkeit von Bevölkerung, Internet,
Versandfirmen geweckt. Apotheker- und Ärzteschaft sind aufgerufen, Interessenten
umfassend zu beraten. Der Fehlgebrauch einer so potenten Substanz erscheint
vorprogrammiert. Die weltweit bereits erfolgte breite Anwendung des Arzneimittels
außerhalb von Studien wird bald detailliertere Aussagen über das Risikopotential
erlauben. Unerlaubter Handel, beobachteter Fehlgebrauch und unerwünschte
Wirkungen sollten der Arzneimittelkommission mitgeteilt werden.
Literatur
(1) Pfizer Labs, VIAGRA. http://www.viagra.com. Issued March 1998.
(2) N.N.: First approval for Viagra - in US. Scrip No. 2322 (1998) 17.
(3) N.N.: Potenzpille" Sildenafil" (USA: Viagra). arznei-telegramm 5 (1998) 50.
(4) Moreland, R.B., et al., Sildenafil, a novel inhibitor of phosphodiesterase type 5 in
human corpus cavernosum smooth muscle cells. Life Sci. 62 (1998) PL-309-318.
(5) Goldstein, I., et al., Oral sildenafil in the treatment of erectile dysfunction. N.
Engl. J. Med. 338, 20 (1998) 1397-1404.
(6) Neuse-Schwarz, B.: Sildenafil: neue Hoffnung bei Potenzproblemen. Pharm. Ztg.
143, 15 (1998) 1202-1203.
(7) Sildenafil, Drug Evaluation Monographs. Drugdex®, Vol. 96, Exp. 30.06.1998.
Micromedex INC., Denver, CO.
(8) Oo, W.C., Baumgärtner, M., Impotenz: etablierte und neue Therapieansätze.
Pharm. Ztg. 143, 10 (1998) 761.
(9) Boolell, M., et al., Sildenafil, a novel effective oral therapy for male erectile
dysfunction. Br. J. Urol. 78 (1996) 257-261.
(10) Utiger, R.U., A pill for impotence (editorial). N. Engl. J. Med. 338, 20 (1998)
1458-1459.
Anschrift des Verfasser:
Dr. Martin Schulz
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