Finerenon schützt Nieren und Herz |
Brigitte M. Gensthaler |
11.11.2022 07:00 Uhr |
Finerenon könnte die Herz- und Nierenfunktion von Diabetespatienten schützen. In Studien verzögerte der Wirkstoff die Progression einer chronischen Nierenerkrankung. / Foto: Adobe Stock/sewcream
Finerenon (Kerendia® 10 und 20 mg Filmtabletten, Bayer) wird angewendet zur Behandlung der chronischen Nierenerkrankung (CKD, Stadium 3 und 4 mit Albuminurie) bei Erwachsenen mit Typ-2-Diabetes. Viele Diabetespatienten mit CKD erleiden ein Nierenversagen oder vorzeitigen Tod. Die empfohlene Tagesdosis beträgt 20 mg, hängt aber ab von der Nierenfunktion (geschätzte glomeruläre Filtrationsrate, eGFR) des Patienten und seinem Serumkaliumwert. Bei einem Serumkalium bis 4,8 mmol/l kann die Behandlung mit Finerenon begonnen werden, nicht aber bei Werten ab 5 mmol/L, dazwischen nur unter besonderer Beobachtung.
Serumkalium und eGFR müssen vier Wochen nach Therapiebeginn oder nach einer Dosiserhöhung von Finerenon erneut gemessen werden. Danach muss das Serumkalium regelmäßig erneut bestimmt werden. Aufgrund begrenzter klinischer Daten sollte die Einnahme bei einer Progression zur terminalen Niereninsuffizienz (eGFR unter 15 ml/min/1,73 m2) beendet und bei schwerer Leberinsuffizienz nicht begonnen werden.
Der Patient kann die Tablette mit einem Glas Wasser mit oder ohne Nahrung einnehmen, aber nicht zusammen mit Grapefruit oder Grapefruitsaft. Die Tablette kann unmittelbar vor der Einnahme zerstoßen und mit Wasser oder weicher Nahrung wie Apfelmus gemischt werden.
Finerenon ist ein nicht-steroidaler selektiver Antagonist des Mineralocorticoid-Rezeptors (MR), der durch Aldosteron und Cortisol aktiviert wird und die Gentranskription reguliert. Durch die Bindung an den MR entsteht ein spezifischer Rezeptor-Ligand-Komplex. Wenn Aldosteron und Cortisol den Rezeptor nicht mehr überaktivieren können, wird die Expression inflammatorischer und profibrotischer Mediatoren gestoppt. Dies soll letztlich renale und kardiovaskuläre Ereignisse verhindern, was große klinische Studien belegen konnten.
In der im Fachjournal »New England Journal of Medicine« 2020 veröffentlichten randomisierten, doppelblinden Phase-III-Studie FIDELIO-DKD erhielten mehr als 5600 Patienten mit CKD und Typ-2-Diabetes entweder Finerenon oder Placebo zusätzlich zur Standardbehandlung. Die mediane Nachbeobachtungsdauer betrug 2,6 Jahre.
Der primäre Endpunkt war eine Kombination aus der Zeit bis zum ersten Auftreten von Nierenversagen (chronische Dialyse oder Nierentransplantation oder anhaltende Abnahme der eGFR auf < 15 ml/min/1,73 m2 über mindestens vier Wochen), einer anhaltenden Abnahme der eGFR um mindestens 40 Prozent gegenüber Baseline oder renalem Tod. Der wichtigste sekundäre Endpunkt war eine Kombination aus der Zeit bis zu einem kardiovaskulären Tod, einem nicht tödlichen Herzinfarkt oder Schlaganfall oder Hospitalisierung aufgrund von Herzinsuffizienz.
Das Verum konnte sowohl die Progression der diabetischen Nephropathie als auch das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse signifikant verringern. In der Studie erlitten 17,8 Prozent der Patienten unter Verum einen Verlust der Nierenfunktion (kombinierter primärer Endpunkt), verglichen mit 21,1 Prozent unter Placebo. Unter Finerenon erlebten zudem weniger Patienten den kombinierten sekundären Endpunkt (13 versus 14,8 Prozent). 7,7 Prozent der Patienten im Finerenon-Arm starben (Mortalität jeglicher Ursache) gegenüber 8,6 Prozent im Placebo-Arm. Die Autoren folgern aus der Studie, dass Finerenon das Risiko einer CKD-Progression und von kardiovaskulären Schäden stärker reduziert als Placebo.
In der FIGARO-DKD-Studie wurde die Wirksamkeit von Finerenon versus Placebo bei rund 7400 Patienten mit Typ-2-Diabetes und weniger stark ausgeprägter Nierenschwäche (Stadium 2 bis 4) untersucht. Hier lag der Fokus auf kardiovaskulären Komplikationen als primärem Endpunkt. In einem medianen Follow-up von 3,4 Jahren erlitten 12,4 Prozent der Patienten in der Finerenon-Gruppe und 14,2 Prozent unter Placebo ein kardiovaskuläres Ereignis (kardiovaskulärer Tod, Herzinfarkt, Schlaganfall und Herzinsuffizienz mit Krankenhauseinweisung). Die Patienten profitierten vor allem von einer geringeren Rate an Klinikaufenthalten wegen Herzinsuffizienz. Auch in puncto Nierenfunktion schnitten die Patienten im Verum-Arm besser ab. Für die Autoren zeigen die Ergebnisse, dass auch Diabetespatienten mit weniger ausgeprägter Nierenschwäche kardiovaskulär von Finerenon profitieren.
Die am häufigsten gemeldete Nebenwirkung unter Finerenon war Hyperkaliämie (18,3 Prozent in der Fidelio-DKD-Studie). Weitere häufige Nebenwirkungen sind Hyponatriämie, Hypotonie, Juckreiz und Verlust der Nierenfunktion. Gelegentlich kann auch der Hämoglobinwert abfallen.
Das Medikament darf nicht bei Patienten mit Morbus Addison angewendet werden. Kontraindiziert ist zudem die gleichzeitige Anwendung mit starken CYP3A4-Inhibitoren. Der Grund: Finerenon wird zu etwa 90 Prozent durch CYP3A4 und zu 10 Prozent durch CYP2C8 verstoffwechselt. Alle vier Hauptmetaboliten sind pharmakologisch inaktiv.
Aus pharmakokinetischen Gründen sollte Finerenon nicht gleichzeitig mit Rifampicin und anderen starken CYP3A4-Induktoren wie Carbamazepin, Phenytoin, Phenobarbital und Johanniskraut oder mit Efavirenz und anderen moderaten CYP3A4-Induktoren angewendet werden. Die Induktoren senken voraussichtlich die Plasmakonzentration von Finerenon beträchtlich, was die therapeutische Wirkung abschwächt.
Ebenfalls nicht empfohlen wird die Kombination mit kaliumsparenden Diuretika wie Amilorid und Triamteren und anderen Mineralocorticoid-Rezeptorantagonisten wie Eplerenon, Spironolacton und Canrenon, da das Hyperkaliämie-Risiko steigen könnte.
Frauen im gebärfähigen Alter müssen während der Behandlung mit Finerenon zuverlässig verhüten. Es gibt keine Erfahrungen mit der Anwendung bei Schwangeren, allerdings haben tierexperimentelle Studien eine Reproduktionstoxizität gezeigt. Ebenfalls aus Tierstudien ist bekannt, dass Finerenon und seine Metaboliten in die Muttermilch übergehen.
Die chronische Nierenerkrankung (CKD) ist eine der häufigsten Komplikationen bei Typ-II-Diabetes und weltweit mit einer hohen Krankheitslast verbunden. Es sind verschiedene Pathomechanismen der Nierenschädigung bekannt. Neben Stoffwechselfaktoren und hämodynamischen Faktoren sind es auch entzündliche und fibrotische Faktoren, die eine Rolle spielen. Heute weiß man, dass durch Blockade einer Überaktivierung des Mineralocorticoid-Rezeptors unerwünschte über inflammatorische und fibrotische Signalwege vermittelte renale und kardiovaskuläre Ereignisse verhindert werden können.
Bisher hat man dieses Wissen aber noch nicht in der Therapie der CKD bei Typ-II-Diabetes ausnutzen können. Das liegt daran, dass die altbekannten steroidalen Antagonisten am Aldosteron-Rezeptor hier zu wenig untersucht sind und ihr hohes Hyperkaliämie-Risiko eine wichtige Therapielimitation darstellt. Mit Finerenon kommt in Deutschland nun der erste nicht-steroidale Rezeptorantagonist auf den Markt. Es weist nicht nur strukturell Unterschiede zu Eplerenon und Spironolacton auf. Besonders wichtig ist, dass andere Bindeverhalten am Rezeptor, sodass der Neuling die Genexpression im Vergleich zu den steroidalen Rezeptorantagonisten anders moduliert und damit entzündungsfördernde und fibrotische Prozesse reduziert. Hinzu kommen eine andere Verteilung im Körper sowie Unterschiede in der Selektivität und Affinität zum Rezeptor.
Pharmazeutisch betrachtet ist der erste nicht steroidale Mineralocorticoid-Rezeptor als Sprunginnovation zu werten. Auch die bisherigen Studiendaten rechtfertigen diese Einstufung. Ein bedeutender kardiorenaler Nutzen wurde nachgewiesen. Auch unter Finerenon kann es zur Hyperkaliämie kommen, aber das Risiko dafür ist im Vergleich zu den alten Substanzen deutlich verringert.
Bislang darf Finerenon im CKD-Stadium 3 und 4 zum Einsatz kommen. Wenn der Arzneistoff schon in früheren Stadien zugelassen wäre, könnten noch mehr Patienten profitieren. Denn CKD ist ein typisches Beispiel für eine Erkrankung, bei der es darum geht, möglichst früh zu handeln, um das Schicksal der Patienten zu verbessern.
Sven Siebenand, Chefredakteur