Wird zu häufig operiert? |
Christina Hohmann-Jeddi |
01.12.2022 14:00 Uhr |
Knotige Veränderungen an der Schilddrüse lassen sich bei fast jedem zweiten Erwachsenen in Deutschland finden. / Foto: Getty Images/Doucefleur
Fast jeder zweite Erwachsene in Deutschland hat knotige Veränderungen seiner Schilddrüse. Darauf weist die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) in einer Mitteilung hin. Ein Grund hierfür ist der in Deutschland verbreitete Iodmangel.
Bei Anzeichen auf eine Krebserkrankung oder starker Vergrößerung der Drüse kann sie vorsorglich operiert werden. Bislang ging man davon aus, dass etwa 15 Prozent der Schilddrüsenknoten bösartig sind oder entarten können. Jetzt zeigt eine deutsche Langzeituntersuchung, dass der Prozentsatz wohl deutlich geringer ist.
Eine Arbeitsgruppe um Professor Dr. Martin Grußendorf von der Universitätsklinik Düsseldorf hatte in den Jahren zwischen 1989 und 2013 in einem endokrinologischen Zentrum 17.592 Patientinnen und Patienten mit Schilddrüsenknoten von mehr als 1 cm Durchmesser untersucht. 1904 von ihnen wurden operiert und 6731 länger als ein Jahr nachverfolgt (davon 1165 länger als zehn Jahre und bis zu 23 Jahren).
Bei 155 Patientinnen und Patienten konnten im Jahr nach der Erstvorstellung Malignome histologisch nachgewiesen werden, bei weiteren 25 wurde ein Malignom in den Jahren zwei bis fünf entdeckt und bei weiteren neun in den Jahren sechs bis zehn. Danach wurden bis 23 Jahre nach Erstdiagnose der Knoten keine weiteren bösartigen Veränderungen festgestellt. Insgesamt diagnostizierten Ärztinnen und Ärzte bei 189 Patienten Schilddrüsenkrebs. Dies entspricht einer Malignitätsrate von 1,1 Prozent, berichtet das Team im »European Thyroid Journal«.
Die Daten bestätigen Zahlen des Robert-Koch-Instituts zur Häufigkeit von Schilddrüsenkrebs. Dort wurden in 25 Jahren bundesweit 103.300 Fälle erfasst. »Die daraus abgeleitete Krebsrate von Knoten der Schilddrüse liegt bei etwa 1 Prozent und damit bei nur circa einem Zehntel der in den Leitlinien angegebenen Rate«, sagt Grußendorff in der Mitteilung.
»Diese neuen Zahlen sollten in die Risikoabschätzung beim Umgang mit den Knoten einfließen, insbesondere auch was die OP-Entscheidung angeht«, so Grußendorf. Das fordert auch die DGE. Momentan werden in Deutschland jährlich rund 56.000 Schilddrüsenoperationen durchgeführt. »Das sind circa 70 Operationen pro 100.000 Einwohner. Im europäischen Durchschnitt liegen die Zahlen jedoch mit 47 Operationen pro 100.000 Einwohner deutlich niedriger.«
Deutschland ist bekanntermaßen ein Iodmangelgebiet. Um Überdiagnostik und Übertherapie zu vermeiden, sollte hier laut der DGE auf ein routinemäßiges Ultraschall-Screening der Schilddrüse verzichtet werden, wenn keine Hinweise auf eine Schilddrüsenerkrankung vorliegen. Wird ein Knoten mit einem Durchmesser von mehr als 1 cm nachgewiesen, sollte zunächst eine Sonografie mit einer standardisierten Befundung nach TIRADS (Thyroid Imaging And Reporting System) erfolgen.
Außerdem rät die Fachgesellschaft, im Blut den TSH-Wert zu bestimmen. Weicht er von der Norm ab, sollten im nächsten Schritt zusätzlich die Schilddrüsenhormone fT4 und fT3 gemessen werden. »Ebenso empfehlen wir die Bestimmung des Calcitonin-Wertes«, so der Experte. Dadurch könnten die in etwa 0,5 Prozent der Fälle auftretenden sogenannten C-Zell-Karzinome frühzeitig entdeckt werden.
Hat man sich entschieden, den Knoten zu beobachten, sollte man ihn nach sechs bis zwölf Monaten erneut per Ultraschall kontrollieren und bei weiterhin unauffälligem Befund eine weitere Nachkontrolle nach zwei bis drei Jahren durchführen. »Da bei initial unauffälligen Schilddrüsenknoten danach nur noch sehr wenige Malignome auftreten, muss der Stellenwert einer langjährigen Nachsorge jedoch kritisch hinterfragt werden«, ergänzt Grußendorf.