Pharmazeutische Zeitung online
Mikrobiomforschung

Wir sind nicht allein

Der Mensch allein wäre ohne die Billionen Mikroben, die ihn innen und außen besiedeln, überhaupt nicht lebensfähig. Sie entscheiden auch mit darüber, ob wir krank oder gesund sind. Wir wiederum beeinflussen sie unter anderem durch unsere Ernährung.
Christiane Berg
12.02.2021  07:00 Uhr

»Die Erforschung und somit Kenntnis des Mikrobioms als Gesamtheit aller Mikroben, die den menschlichen Organismus natürlicherweise besiedeln, ist der Schlüssel zu einem neuen Verständnis von Gesundheit und Krankheit«, machte Professor Dr. Thomas Bosch, Kiel, beim 25. gemeinsamen Fortbildungsseminar der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG) und der Apothekerkammer Hamburg am vergangenen Wochenende deutlich, natürlich online in diesen Zeiten. Die Fortbildung stand unter dem Motto »Das Mikrobiom – Der Organismus im Organismus«.

»Als komplexe mikrobielle Gemeinschaft ist das Mikrobiom für unsere Existenz von maßgeblicher Bedeutung. Nicht nur, dass es uns einzigartig macht. Ohne die mikrobiellen Besiedler, die unsere epithelialen Oberflächen bevölkern, wären wir nicht lebensfähig«, sagte Bosch, der den Menschen als »Holobionten«, also als komplexe Lebensgemeinschaft des Wirtes mit assoziierten Mikroben im Mund, im Darm, in der Nase, in den Ohren und auf der Haut betrachtet.

»Das Mikrobiom reguliert unseren Nährstoffwechsel und ist somit Quelle auch unserer Energie. Es schützt uns vor Pathogenen und krankmachenden Keimen«, so der Entwicklungsbiologe. »Unbedingte Voraussetzung für eine starke Pathogen- und Immunabwehr jedoch ist die funktionierende, also ungestörte Funktion, Interaktion und Kommunikation im Netzwerk der Billionen von Mikroben, die den menschlichen Organismus bewohnen«, betonte Bosch mit Verweis auf die durch das Mikrobiom gewährleistete »Kolonisierungsresistenz«.

Habe der moderne Lebensstil der vergangenen Jahrzehnte zu einer signifikanten Minderung dieser Kolonisierungsresistenz geführt, so sei dies auch offenbar Ursache der »rätselhaften Verschlechterung unserer Gesundheit in den vergangenen 50 Jahren«. Die deutliche Dysbiose und Abnahme der bakteriellen Diversität, so Bosch, könne als Grund der zunehmenden Inzidenz chronisch-entzündlicher und neuroinflammatorischer Erkrankungen wie Asthma, Diabetes mellitus, Reizdarmsyndrom, Multiple Sklerose oder Morbus Crohn so wie auch Depressionen, Angststörungen, Morbus Parkinson oder Morbus Alzheimer angesehen werden.

Dabei lasse sich die Abnahme der Vielfalt des Mikrobioms in der westlichen Welt nicht nur auf falsche Ernährungs- oder Hygiene- und Desinfektionsmaßnahmen, sondern insbesondere auf den zunehmenden Einsatz von Antibiotika in der Medizin und in der Viehzucht zurückführen.

Dick durch Antibiotika in der Fleischindustrie?

Überbordende Antibiotika-Verordnungen zur Therapie von Infektionen, so Bosch, gehen mit der Zerstörung des körpereigenen Mikrobioms und somit Herabsetzung der Widerstandsfähigkeit vieler Menschen gegenüber krankmachenden Keimen bei zeitgleicher Zunahme von Antibiotika-Resistenzen einher. Nicht nur das: Es sei zudem ein direkter Zusammenhang auch zwischen dem übermäßigen Einsatz von Antibiotika in der Landwirtschaft mit der rasant zunehmenden Zahl übergewichtiger Menschen zu verzeichnen.

»Mit der seit den 1950iger-Jahren in der Viehzucht zur Erhöhung der Fütterungseffizienz von Nutztieren praktizierten Antibiotika-Gabe legen nicht nur die Tiere pro Pfund Futter mehr an Gewicht zu. Dieses Prinzip gilt auch für Menschen, die Antibiotika belastetes Fleisch zu sich nehmen und durch fatale Änderungen ihrer symbiotischen Mikrobengemeinschaft immer adipöser werden«, warnte er. Für die These, dass die Zusammensetzung der Bakterien im Darm über die Frage »Dick oder dünn?« entscheidet, spreche auch die Tatsache, dass mit dem Transfer spezifischer Bakterien-Kulturen und Mikrobiome übergewichtiger Menschen Dickleibigkeit auf zuvor dünne Mäuse übertragen werden kann.

Bosch betonte, dass sich durch Transplantation pathophysiologischer Darm-Mikrobiotika im Tierversuch weitere Krankheiten induzieren lassen. »Zudem wissen wir heute, dass falsche, dysbiotische Bakterien auch im alltäglichen Zusammenleben von Mensch zu Mensch übertragbar sind«, führte er weiter aus. Im Gegenzug liege die Vermutung nahe, dass sich durch eine wie auch immer aussehende therapeutische Manipulation des Darms spezifische Erkrankungen heilen lassen.

Das Artensterben in uns

Nicht zuletzt die Erfolge der fäkalen Mikrobiotika Transplantation als neuer Methode der Wahl bei rezidivierenden Clostridium-difficile-Infektionen gäben Anlass zur Hoffnung. Dieses alles sei noch Zukunftsmusik. Weitere Forschungen seien unumgänglich. Dass der westliche Lebensstil der Artenvielfalt der menschlichen Mikroben zum Schaden gereicht, lasse sich jedoch schon heute nicht mehr in Zweifel ziehen.

»Die Vielfalt der Insekten nimmt ab, die der Pflanzen ebenso – das weiß auch die Öffentlichkeit. Aber dass sich dieser Prozess überall auf der Welt auch in unseren Körpern vollzieht, scheint noch nicht jedem klar zu sein. Die mikrobielle Diversität verringert sich immer rascher«, warnte Bosch, der eine neue Sicht auf den Menschen als Metaorganismus in Koexistenz und Koevolution mit Mikroben dringend erforderlich nennt.

»Erst, wenn wir unser Verständnis von Lebensprozessen revolutionieren, werden wir auch neue Ansätze in der Therapie chronisch-entzündlicher Erkrankungen finden. Erst, wenn wir uns als Teil multiorganischer Netzwerke begreifen und loslassen von der Idee, dass der Mensch ausschließlich aus Körperzellen besteht, erreichen wir die dringend notwendige Widerstandsfähigkeit und Belastbarkeit gegenüber einer sich ständig ändernden Umwelt«, so Bosch.

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