Wie SARS-CoV-2 die Immunabwehr ausspielt |
Christina Hohmann-Jeddi |
08.06.2020 17:55 Uhr |
Ein Makrophage nimmt mit Antikörpern markierte Coronaviren auf – manchmal wird er darüber infiziert. / Foto: Adobe Stock/Juan Gärtner
Da aufgrund der Coronavirus-Pandemie der Fortbildungskongress Pharmacon in Meran ausfallen musste, kommt der Pharmacon dieses Jahr virtuell zu den Teilnehmern nach Hause. Im Eröffnungsvortrag der Online-Ersatzveranstaltung pharmacon@home stellten Dr. Ilse Zündorf von der Goethe-Universität Frankfurt am Main und Professor Dr. Theo Dingermann, Chefredakteur der Pharmazeutischen Zeitung, das SARS-Coronavirus-2 genauer vor.
SARS-CoV-2 ist eines von sieben Coronaviren, die Krankheiten beim Menschen hervorrufen; davon gelten vier als harmlose Erkältungserreger. Ein etwa 30.000 Basen umfassendes einsträngiges RNA-Genom ist von Nukleokapsid-Proteinen umgeben, die sich wiederum in einer Hülle aus Lipiden befinden. In diese Hülle sind mehrere Oberflächenproteine integriert, von denen das auffälligste das Spike-Protein ist, berichtete Zündorf. Schnell war bekannt, dass das neue Coronavirus genau wie SARS-CoV-1 über das Spike-Protein an den menschlichen ACE2-Rezeptor bindet, um in die Wirtszellen zu gelangen, sagte Dingermann. Daraus konnte relativ schnell abgeleitet werden, dass das Virus, das zunächst als lungenrelevant eingestuft wurde, auch eine Reihe von anderen Organen angreift, die ebenfalls ACE2 auf der Oberfläche besitzen. Dazu zählen neben Darmzellen auch Herzmuskel-, Nieren- und Immunzellen wie Monozyten und Makrophagen.
Bei einer Infektion wird das Virus rezeptorvermittelt von den Zellen aufgenommen und Teile davon dann als »pathogene molekulare Muster« erkannt, was zunächst eine unspezifische Immunantwort in Gang setzt. So werden zum Beispiel die Musterkennungsrezeptoren TLR3 und TLR7 sowie zytosolische RNA-Sensoren aktiviert. Dies bewirkt, dass verschiedene Transkriptionsfaktoren wie NF-κb in den Zellkern gelangen, wo sie die Expression von proinflammatorischen Zytokinen erhöhen.
Gleichzeitig werden Fragmente von Coronavirus-Proteinen auf der Zelloberfläche von Antigen-präsentierenden Zellen den Zellen des spezifischen Immunsystems präsentiert, was zu einer gegen das Virus gerichteten Immunreaktion mit Bildung spezifischer CD4+-, CD8+-T-Zellen und antikörperproduzierenden B-Zellen führt. »Im Anschluss werden auch Gedächtnis-Zellen gebildet, die vor weiteren Infektionen mit dem Virus schützen«, sagte Zündorf.
Bei vielen Infizierten funktioniere diese Immunantwort gut, berichtete Dingermann, doch bei Einzelnen unterdrücke das Virus die Immunabwehr. Das gehe mit einer schlechteren Prognose einher. Hierfür gebe es verschiedene Mechanismen, wie den Abbau der zytosolischen RNA-Sensoren, über die verschiedene Signalwege ausgeschaltet werden. Welche dieser Mechanismen welche Rolle spielt und ob sie alle parallel eintreten, sei bislang noch unklar. »Das ist noch Grundlagenforschung«, sagte Dingermann.
Letztlich führe die Unterdrückung des Immunsystems bei diesen Infizierten aber dazu, dass sich das Virus ungehemmt ausbreiten und weitere Zellen infizieren kann, die schließlich zerstört werden. Das führt zu Gewebeschäden, die eine Entzündung verursachen und durch das Anlocken von Immunzellen und dem verstärkten Freisetzen von proinflammatorischen Zytokinen das Gewebe weiter schädigen.
Hinzu könne in einzelnen Fällen kommen, dass die Immunzellen selbst, nämlich Monozyten und Makrophagen, von SARS-CoV-2 infiziert werden. Das kann entweder über die ACE2-Rezeptoren auf der Zelloberfläche geschehen oder über die Aufnahme von Antikörper-Virus-Komplexen, die in den Zellen verdaut werden sollen. Die Infektion der Immunzellen führt letztlich dazu, dass der NF-κB-Weg nicht mehr gehemmt wird und eine massive Produktion von proinflammatorischen Zytokinen einsetzt. »Als Zytokinsturm ist dieses Phänomen bekannt«, so Dingermann. Schwerste Organschäden durch das eigene Immunsystem sind die Folge.
Im zweiten Teil ihres Vortrag gingen die beiden Referenten auch auf die Entwicklung eines Impfstoffs gegen SARS-CoV-2 ein.
Der diesjährige Pharmacon Meran vom 7. bis 12. Juni musste aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt werden. Als Ersatz bietet die Bundesapotheker fünf kostenlose Live-Vorträge mit begrenzter Teilnehmerzahl an. Das kurz nach Absage der Präsenzveranstaltung entworfene Format pharmacon@home war sehr schnell ausgebucht. Die gute Nachricht: Die Vorträge werden aufgezeichnet und allen Interessierten vom 13. bis 22. Juni 2020 kostenlos auf der Kongress-Website www.pharmacon.de zur Verfügung gestellt. Alle PZ-Berichte zum Pharmacon Meran beziehungsweise pharmacon@home finden Sie dauerhaft hier.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.