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Wie Omikron Delta verdrängen konnte

Die SARS-CoV-2-Variante Omikron hat die Delta-Variante rasch verdrängt und sich in in vielen Ländern durchgesetzt. Gründe für das größere Durchsetzungsvermögen von Omikron sind eine höhere Übertragbarkeit und die Fähigkeit, einen Immunschutz teilweise zu unterlaufen.
Theo Dingermann
08.03.2022  13:00 Uhr

Seit Mitte November 2021 breitet sich die besorgniserregende SARS-CoV-2-Variante (VOC) Omikron weltweit aus und hat mittlerweile fast überall andere Varianten verdrängt. Seit Längerem ist bekannt, dass Omikron, die verglichen mit anderen VOC über 30 Mutationen in der Rezeptor-Bindungsdomäne des Spike-Proteins aufweist, eine Immunfluchtvariante ist und wahrscheinlich einen neuen Serotyp repräsentiert. Quantitative Aspekte der Verbreitung dieser Variante waren hingegen noch nicht genau untersucht. Zwei nationale Kohortenstudien schließen jetzt diese Lücke.

Daten aus England

Daten zum Ansteckungspotenzial von Omikron im Vergleich zur Delta-Variante in England liefert nun eine epidemiologische Studie, die Hester Allen und Kollegen von der UK Health Security Agency auf den »MedRxiv«-Preprintserver publizierten. Sie analysierten Daten zur Rate der Sekundärinfektionen, zum Risiko der Übertragung auf benannte Kontaktpersonen der Index-Patienten und zum Risiko zur Bildung von Clustern in den Haushalten der Betroffenen.

Die Autoren werteten 23.667 Omikron- und 59.031 Delta-Fälle zwischen dem 5. und 11. Dezember 2021 aus. Nach Bereinigung der Daten durch bestimmte Ausschlusskriterien wurden letztlich 13.680 Omikron- beziehungsweise 37.601 Delta-Fällen genauer betrachtet. 40.123 Kontakte von Omikron-Patienten und 111.469 Kontakte von Delta-Patienten wurden in die Analyse zur Rate der Sekundärinfektionen (secondary attack rate) einbezogen.

Die Patienten, die sich mit der Delta-Variante infiziert hatten, meldeten im Durchschnitt 2,0 Kontakte pro Fall, davon 1,6 Haushaltskontakte und 0,4 Kontakte außerhalb des Haushalts. Omikron-Patienten meldeten insgesamt weniger Kontakte, jedoch mit größeren Schwankungen (1,7 Kontakte pro Fall, davon 1,1 Haushaltskontakte und 0,6 Kontakte außerhalb des Haushalts).

Omikron immer infektiöser als Delta

Es zeigte sich, dass Patienten, die mit Delta infiziert waren, die Infektion an etwa 11 Prozent ihrer Haushaltsmitglieder weitergaben, während diejenigen, die sich mit Omikron infiziert hatten, die Infektion an fast 16 Prozent weitergaben. Das bedeutet, dass das Risiko, das Virus weiterzugeben, bei einer Infektion mit Omikron um 48 Prozent höher ist als bei einer Infektion mit Delta.

Dieser Unterschied ist außerhalb der eigenen vier Wände sogar noch auffälliger: Personen, die mit Delta infiziert waren, verbreiteten die Infektion bei etwa 4 Prozent der Personen, mit denen sie außerhalb ihrer Wohnung in Kontakt kamen, während Omikron-Infizierte das Virus an 8 Prozent der Personen weitergeben, sodass sich das Risiko mehr als verdoppelt.

Der Übertragungsvorteil von Omikron wird außerhalb des Haushalts deutlicher, denn selbst bei weniger Gelegenheiten für eine wiederholte und längere Exposition mit dem Virus ist das Risiko sich anzustecken im Vergleich zu Delta mehr als doppelt so hoch, sagt Professor Dr. Marm Kilpatrick vom Department of Ecology and Evolutionary Biology an der University of California, Santa Cruz gegenüber dem Fachjournal »Nature«.

Die Forscher untersuchten auch, wie sich die Impfung auf die Wahrscheinlichkeit auswirkt, sich mit den Varianten anzustecken. Sie stellten fest, dass ungeimpfte Haushaltsmitglieder eine um 23 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit haben, sich mit Omikron zu infizieren als mit Delta.

Dieser Unterschied vergrößerte sich jedoch bei geimpften Personen, was die besondere Fähigkeit der Omikron-Variante zur Immunflucht verdeutlicht. Bei Haushaltsmitgliedern, die drei Dosen eines SARS-CoV-2-Impfstoffs erhalten hatten, war die Wahrscheinlichkeit einer Infektion mit Omikron mehr als doppelt so hoch wie mit Delta.

Omikron auch bei Geimpften infektiöser als Delta

Zudem zeigen die Daten, dass eine dritte Impfstoffdosis im Vergleich zu zwei Dosen einen eher marginalen positiven Effekt auf die Übertragung beider Varianten hat, obwohl dieser Effekt für Delta größer ist als für Omikron. Nach einer dritten Dosis war die Wahrscheinlichkeit, sich mit Delta zu infizieren, um 32 Prozent geringer im Vergleich zu zwei Dosen. Die Wahrscheinlichkeit, sich mit Omikron zu infizieren reduzierte sich hingegen nur um 12 Prozent bei Personen, die dreimal geimpft waren gegenüber denen, die zwei Impfdosen erhalten hatten.

Bei Personen, die eine Auffrischungsimpfung erhalten hatten, war die Wahrscheinlichkeit, dass sie eine Delta-Infektion an ihre Haushaltsmitglieder weitergaben, um 38 Prozent und die Wahrscheinlichkeit, dass sie eine Omikron-Infektion weitergaben, um 22 Prozent geringer als bei Personen, die nur zwei Impfungen erhalten hatten.

Obwohl diese Studie darauf hindeutet, dass die bestehenden SARS-CoV-2-Impfstoffe nur einen begrenzten Schutz vor einer Infektion mit Omikron bieten, weiß man aus vielen anderen Studien, dass sie bei der Vorbeugung schwerer Erkrankungen, die durch beide Varianten verursacht werden, sehr wirksam sind, sagt Professor Dr. Leo Poon, Virologe an der Universität Hongkong gegenüber »Nature«. »Somit ist die Impfung nach wie vor eine der wirksamsten Maßnahmen, um sich vor schweren Erkrankungen, Krankenhausaufenthalten und Tod zu schützen«, sagt Poon.

Studie aus Norwegen

Eine ähnliche Studie wurde von Dr. Silje B. Jørgensen und Kollegen von Norwegian Institute of Public Health, Oslo, Norwegen, durchgeführt und in »JAMA« publiziert.

Die Autoren untersuchten Daten von 31.220 Haushalten mit einem Indexfall. Diese Personen hatten Kontakt mit 80.957 Nicht-Indexpersonen. Von denen gehörten 11.643, 41.015 beziehungsweise 28.299 einem Haushalt an, in dem sich der Indexfall mit Omikron, Delta beziehungsweise mit einer nicht klassifizierten Variante infiziert hatte.

Die Sekundärinfektionsrate lag bei 25,1 Prozent, wenn der Indexpatient mit Omikron infiziert war. Hatte sich der Indexpatient mit der Delta-Variante infiziert, betrug der Wert 19,4 Prozent. Und im Fall einer Infektion mit einer nicht klassifizierten Variante lag die Sekundärinfarktrate bei 17,9 Prozent.

Im einem bereinigten logistischen Regressionsmodell betrug das Chancenverhältnis (odds ratio) für ein positiv getestetes Nicht-Index-Haushaltsmitglied verglichen mit der Delta-Variante 1,52, wenn sich der Indexpatient mit Omikron infiziert hatte, beziehungsweise 0,93, wenn sich der Index-Patient mit einer nicht klassifizierten Variante infiziert hatte.

Die Odds Ratios waren höher bei Männern, ungeimpften Personen und Personen, die älter als 30 Jahre waren.

Zusammenfassend zeigen die Daten, dass die Sekundärinfektionsrate von SARS-CoV-2 in norwegischen Haushalten mäßig erhöht war, wenn der Indexfall mit der Omikron-Variante im Vergleich zur Delta-Variante infiziert war.

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