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»Die Blaue Hand«

Wie nutzen Apotheken Schulungsmaterial?

Zum ersten Mal wurde in Deutschland systematisch untersucht, ob Apotheker risikominimierendes Schulungsmaterial mit dem Blaue-Hand-Symbol kennen, wie sie es verwenden – und was aus ihrer Sicht daran verbessert werden könnte.
Daniela Hüttemann
15.04.2021  07:00 Uhr

Seit 2016 wird in Deutschland behördlich genehmigtes Material zur sicheren Anwendung von Arzneimitteln unter dem Label »die Blaue Hand« geführt – in Anlehnung an die »Rote-Hand-Briefe«, die seit 1969 zur schnellen Verbreitung von Sicherheitsrisiken dienen. Das Blaue-Hand-Material adressiert Angehörige der Heilberufe und/oder Patienten und kann Checklisten für Ärzte oder Patientenkarten, Broschüren, Schulungsvideos und vieles mehr umfassen. Aktuell listet das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) mehr als 230 Präparate, für die ergänzendes Schulungsmaterial zu Fach- und Gebrauchsinformationen angeordnet wurde. Dieses Material ist Teil der Zulassung, um ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis zu gewährleisten.

Prominente Beispiele für Arzneimittel mit behördlich genehmigtem Schulungsmaterial sind die teratogenen Arzneimittel Valproat und Isotretinoin, bei denen weibliche Behandelte umfassend über verhängnisverhütende Maßnahmen aufgeklärt werden und es unter anderem entsprechende Checklisten für die verordnenden Ärzte gibt. Für alle Adrenalin-Autoinjektoren existieren Patientenkarten und Broschüren sowie Multimedia-Guides zur korrekten Anwendung. Ein weiteres Beispiel sind Verordnungsleitfäden und Therapiepässe für die Einnahme direkt wirkender oraler Antikoagulanzien (DOAK). Das meiste Schulungsmaterial adressiert den Arzt oder Patienten, doch es gibt auch Dokumente, die sich explizit an Apotheker richten, wie einen Begleitbrief zum Dexamfetamin-haltigen ADHS-Mittel Attentin® zur Verhinderung von Missbrauch, einen Leitfaden zur Abgabe des Fentanyl-haltigen Nasensprays Instanyl® oder eine Checkliste zur Abgabe der oralen Retinoide Acitretin, Alitretinoin und Isotretinoin.

Mehr als 400 Apotheken befragt

»Fünf Jahre nach Einführung der Blauen Hand wollten wir wissen, wie bekannt das Schulungsmaterial in Apotheken ist – und falls nicht, wie man das Bewusstsein dafür und den Umgang damit verbessern kann«, erklärt Professor Dr. Martin Schulz, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) im Gespräch mit der Pharmazeutischen Zeitung. »Dazu haben wir Anfang 2020 eine Umfrage unter unseren Referenzapotheken durchgeführt.« Teilgenommen haben 373 öffentliche und 32 Krankenhausapotheken. Die Ergebnisse wurden vor Kurzem im Fachjournal »Medicine« veröffentlicht.

Dabei gaben alle Krankenhausapotheken und 86 Prozent der öffentlichen Apotheken an, dass ihnen das Blaue-Hand-Material grundsätzlich bekannt sei. »Das Symbol in Anlehnung an die Rote-Hand-Briefe wird gut angenommen«, resümiert Schulz. 77 Prozent der öffentlichen und 59 Prozent der Klinikapotheken halten das angebotene Material zudem für geeignet, um Anwendungsrisiken zu minimieren. 65 Prozent der öffentlichen und 53 Prozent der Krankenhauspharmazeuten gaben an, Patienten beziehungsweise Ärzte und Pflegepersonal über vorliegendes Blaue-Hand-Material zu informieren. Dabei merkten einige Krankenhausapotheker an, dass sie keinen oder zu wenig Kontakt mit Patienten zur effektiven Einbindung entsprechender Schulungsmaterialien hätten.

Material per Post kann in Informationsflut untergehen

Die meisten Apotheken bekommen das Blaue-Hand-Material per Post, viele auch per E-Mail, zum Teil hängt es auch in Form von Patientenkarten direkt am Umkarton des Arzneimittels an. Zudem ist sämtliches Material auf den jeweiligen Websites der Bundesoberbehörden (BfArM und PEI) abrufbar. Auch pharmazeutische Unternehmen bieten das Schulungsmaterial für ihre betroffenen Präparate in der Regel auf ihren Websites an. Außerdem steht das Material über das Plus X-Modul der ABDA-Datenbank² direkt bei dem jeweiligen Arzneimittel bereit. Voraussetzung hierfür ist, dass der pharmazeutische Unternehmer sein Schulungsmaterial ABDATA zur Verfügung stellt. Allerdings wussten 13 Prozent der öffentlichen Apotheken nicht, wie sie an das Material kommen.

»Die Mehrheit der befragten Apothekerinnen und Apotheker findet Schulungsmaterial sinnvoll und geeignet, um Risiken für den Patienten zu reduzieren. Aus Apothekersicht sind die Informationen klar und verständlich, allerdings könnten sie kürzer und komprimierter sein«, so Schulz. Denn oft sei die Durchsicht und Weitergabe an den Patienten ein zeitliches oder organisatorisches Problem im Apothekenalltag. »Die Umsetzung im laufenden Betrieb scheint eines der größten Hindernisse zu sein«, so ein Ergebnis der Umfrage.

Die AMK fragte die Referenzapotheken auch, wie sich das Schulungsmaterial besser bekannt machen und praktisch anwenden lässt. Dabei wünschten sich viele einen besseren Zugang, zum Beispiel durch vollständige Verknüpfung mit der Apothekensoftware. Das Material sollte zudem zielgruppenspezifischer versendet werden.

Das Blaue-Hand-Symbol sollte auf die Packung gedruckt werden

Die Patienten selbst zeigen Schulungsmaterial wie ihren Therapiepass nur selten in der Apotheke vor. Noch nicht einmal ein Viertel der Befragten sei bislang von Patienten auf das Blaue-Hand-Symbol angesprochen worden. »Ein Vorschlag aus einigen Apotheken war, das Blaue-Hand-Symbol auf den Umkarton des Arzneimittels oder auch einen QR-Code aufzudrucken«, so Schulz. So sehen sowohl Apotheker als auch Patient gleich, dass hier Schulungsmaterial existiert und man per Scan sofort dorthin gelangt.

Sinnvoll erachten Apotheken zudem Multimedia-Material, das sich auch bei sprachlichen Barrieren gut einsetzen ließe. Informationsbroschüren sollten darüber hinaus mehrsprachig und in einfacher Sprache angeboten werden, so ein weiterer Vorschlag. Dabei könnten mehr Symbole und Piktogramme verwendet und die Informationen auf das Wesentliche beschränkt werden, damit das Material nicht zu lang oder unübersichtlich wird.

Wichtig bleibt es, die Apotheken zu erreichen, die das Blaue-Hand-Material noch gar nicht kennen oder aktiv nutzen. »Wir werden es als AMK immer wieder ansprechen, zudem sollte es stärker bei Fort- und Weiterbildungen berücksichtigt werden«, so Schulz. Und auch bereits im Studium sollten angehende Apotheker über die verschiedenen Maßnahmen zur Risikominimierung bei der Arzneimittelanwendung hingewiesen werden.

Schulungsmaterial in Beratungsroutinen einbauen

Letztlich zeige die AMK-Umfrage aber auch, dass der zeitliche, personelle und materielle Aufwand für die Apotheken entscheidend sei, das Blaue-Hand-Material konsequent und zielgerichtet einzusetzen.

Schulz: »Wir empfehlen, den Umgang mit dem Blaue-Hand-Material in die Arbeitsroutinen einzubauen. Über betroffene Arzneimittel, die in der eigenen Apotheke häufig vorkommen, sollte es dazu interne Teamschulungen geben. Wo finde ich das Material? Wie baue ich es ins Beratungsgespräch ein? Zudem sollte das pharmazeutische Personal den Inhalt des Schulungsmaterials grundsätzlich kennen, denn es hilft nicht, wenn man die Broschüre während des Beratungsgesprächs erst einmal selbst lesen muss.«

»Es ist gut zu wissen, dass ein Großteil der Apotheken das Blaue-Hand-Material kennt und nutzt, wenn auch noch nicht immer in vollem Umfang«, so Schulz‘ Fazit. Hierzu erwarten Apotheken die umfassende digitale Integration der Materialien in die Apothekensoftware. Auch kurz und prägnant gestaltete Inhalte sowie eine verstärkte »Sichtbarkeit« der Blauen Hand auf betroffenen Arzneimittelpackungen wären sinnvoll, um die Bekanntheit von Schulungsmaterialien auch bei Patienten (weiter) zu erhöhen.

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