Wie man Attacken schnell durchbricht |
Brigitte M. Gensthaler |
24.11.2020 18:00 Uhr |
Schmerzen, Übelkeit, Wärme- und Lichtempfindlichkeit: Eine Migräneattacke kann die Betroffenen tagelang schwer beeinträchtigen. / Foto: Fotolia/Light Impression
Bis zu 10 Prozent der Menschen leiden an Migräne. Die meisten erleben einen bis zwei Tage vor der Attacke eine Prodromalphase: Sie fühlen sich müde, gereizt und haben Heißhunger. Die Aura, die 10 bis 15 Prozent der Migränepatienten erleben, hält etwa eine Stunde an, während die Attacke vier bis 72 Stunden dauern kann mit einseitigem Kopfschmerz, Übelkeit, Erbrechen, Licht- und Wärmeempfindlichkeit. Auch in der 24- bis 48-stündigen Erholungsphase seien die Patienten noch nicht voll belastbar, informierte Dr. Torsten Kraya, Neurologe am Klinikum St. Georg in Leipzig, beim Heidelberger Webkongress der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg.
Gemäß der S1-Leitlinie »Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne« sind Analgetika und nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) zur Behandlung von akuten Migräneattacken wirksam. Bei Beginn der Akutsymptome sollte der Patient möglichst rasch zum Beispiel ASS 1 g, Ibuprofen 600 bis 800 mg oder Paracetamol 1 g sowie Metoclopramid (10 mg MCP) einnehmen. Kombipräparate mit Coffein wirken teilweise besser, so der Schmerztherapeut.
Bei unzureichendem Ansprechen sind 5-HT1B/1D-Agonisten (Almotriptan, Eletriptan, Frovatriptan, Naratriptan, Rizatriptan, Sumatriptan und Zolmitriptan) angezeigt. Standard ist die orale Gabe. Sumatriptan subkutan wirkt sehr schnell. Die 3-mg-Injektion sei genauso effektiv wie 6 mg, aber besser verträglich, informierte Kraya. Ein entsprechender Fertigpen (Migrapen®, Lupin Europa) ist seit Herbst 2020 auf dem Markt. Die Kombination von Triptanen mit Naproxen ist laut Leitlinie wirksamer als die Monotherapie.
Zwei neue Wirkstoffe zur Akuttherapie sind in den USA bereits zugelassen. Der 5-HT1F-Agonist Lasmiditan (Reyvow™) wirkt nicht vaskonstriktorisch und eignet sich daher auch für Menschen mit koronarer Herzerkrankung oder Schlaganfall/Herzinfarkt in der Anamnese. Lasmiditan sei nur indiziert für Patienten, für die Triptane nicht infrage kommen, sagte der Neurologe. Der niedermolekulare Wirkstoff Ubrogepant (Ubrelvy™) gehört zu den »Gepanten«; das sind Calcitonin-Gene-Related-Peptide (CGRP)-Rezeptorantagonisten. Die orale Gabe von 100 mg ist laut Kraya gut wirksam zur Therapie von akuter Migräne mit oder ohne Aura.
Bei sehr häufigen oder langen Attacken, die auf eine Akuttherapie nicht ansprechen, bei Kontraindikationen gegen Triptane, sehr langen und komplizierten Auren sowie bei migränösem Infarkt in der Vorgeschichte ist eine Migräneprophylaxe indiziert. »Am wichtigsten sind die Aufklärung und die Stärkung der Selbstwirksamkeit«, so der Referent. Stressmanagement, Entspannungsverfahren, Ausdauersport und Medikamente gehören zum Repertoire. Wenn nicht medikamentöse Verfahren nicht ausreichen, kommen Arzneimittel hinzu, zum Beispiel Betablocker wie Metoprolol und Propranolol, Flunarizin und Antikonvulsiva wie Topiramat, in zweiter Linie auch Amitriptylin, Sartane und ACE-Hemmer. »Ziel ist nicht Attackenfreiheit, sondern eine Halbierung der Frequenz«, erklärte Kraya.
Speziell zur Prophylaxe wurden monoklonale Antikörper entwickelt: Fremanezumab (Ajovy®) und Galcanezumab (Emgality®) richten sich gegen CGRP selbst, Erenumab (Aimovig®) gegen den CGRP-Rezeptor. Alle werden subkutan injiziert. Mit Eptinezumab steht ein lang wirksamer CGRP-Antagonist zur intravenösen Gabe in den Startlöchern. Die Antikörper wirkten schnell, auch bei chronischer Migräne und bei vortherapierten Patienten, berichtete der Arzt. »Derzeit können wir aber nicht sagen, welcher Patient von welchem CGRP-Antikörper besser profitiert als von einem anderen. Wir sollten diese Medikamente erst einsetzen, wenn andere Prophylaktika nicht wirksam sind.«