Wie gut sind wir für extrem hohe Temperaturen gerüstet? |
Bei höher gelegenen und schlecht isolierten Wohnungen helfen auch Abdunklung und Ventilator in den nächsten Tagen nur wenig. Den Menschen dort sollten zumindest tagsüber öffentliche Räume zur Verfügung stehen, um sich abzukühlen. / Foto: Getty Images/fStop Images - Emily Keegin
Wieder Hitze-Alarm in Deutschland: Von möglicherweise vielen Toten durch sehr hohe Temperaturen warnte bereits vor Tagen der Bundesgesundheitsminister. Ärztinnen und Ärzte fordern Deutschlands Kommunen zur Bereitstellung von kühlenden Räumen wie etwa Kirchen auf – falls nötig notfalls kurzfristig. Für die Bundesärztekammer sind künftige Hitzewellen allgemein bereits «die größte Herausforderung» für die Gesundheit besonders gefährdeter Menschen. Große Sorgen machen sich deshalb laut einer neuen Umfrage auch die meisten Menschen im Land. Doch bei den Vorbereitungen auf mögliche Extremwerte auf der Temperaturskala sieht es in Deutschland nach Ansicht von Kritikern schlecht aus.
Als erste Wettermodelle vor Tagen auf mögliche Extremtemperaturen in der kommenden Woche hinwiesen, stellte Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach (SPD) fest: «Diese Hitzewelle könnte viele Todesopfer bringen.» Nun soll es nicht so extrem heiß werden und nicht so flächendeckend wie ursprünglich prognostiziert. Der Deutsche Wetterdienst sagt ab Montag aber immer noch verbreitet Werte über 30, vielfach über 35 Grad voraus.
Hitzewellen und Extremwetter machen sieben von zehn Bundesbürgern große oder sehr große Sorgen. Das ist das Ergebnis einer Forsa-Umfrage für die Krankenkasse DAK-Gesundheit, die der Deutschen Presse-Agentur in Berlin am Freitag vorlag. Eine Mehrheit in der Bevölkerung sieht Deutschland dabei nicht gut genug gerüstet für große Hitze, wie die Ende Juni erstellte Umfrage für den DAK-Hitzereport weiter ergab.
Mehr als zwei Drittel der Befragten (68 Prozent) sind der Meinung, dass nicht genug getan werde, um darauf zu reagieren und negative Auswirkungen zu minimieren. Vor allem die jüngeren Menschen erwarten laut Umfrage einen stärkeren Schutz der Bevölkerung vor Hitzewellen. Gefragt worden war, ob die Menschen alles in allem der Meinung seien, dass ausreichend Maßnahmen gegen die Hitze unternommen würden.
26 Prozent der Menschen hatten nach eigenen Angaben durch die Hitze in den Wochen vor der Befragung bereits gesundheitliche Probleme. Der Anteil der betroffenen Frauen lag mit 34 Prozent fast doppelt so hoch wie der der Männer (18 Prozent). Bei den Hitzebeschwerden wurden Abgeschlagenheit und Müdigkeit sowie Schlafbeschwerden und Kreislaufproblemen am häufigsten genannt.
Obwohl die Gesundheitsprobleme durch extreme Temperaturen vor allem ältere Menschen betreffen, sind jüngere Menschen am meisten besorgt bei dem Thema. Insgesamt waren 20 Prozent aller Befragten mit Bezug auf Hitzewellen und Extremwetter in «sehr großer Sorge». In der Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen lag der Anteil mit 29 Prozent deutlich höher.
«Es gibt nur wenige Kommunen in Deutschland, die einen Hitzeaktionsplan haben», stellte der Vorsitzende der Arbeitsgruppe Klimawandel der Bundesärztekammer, Gerald Quitterer, Mitte der Woche vor Journalisten fest. «In wenigen Kliniken gibt es überhaupt Überlegungen, Fortbildungen dazu.» Auch die meisten Pflegeheime seien nicht vorbereitet. Wenn «eine richtig fette Hitzewelle» komme, sei es wichtig, «dass wir uns sehr kurzfristig anders vorbereiten», so Quitterer.
Die Augsburger Umweltmedizinerin Claudia Traidl-Hoffmann forderte die Entwicklung von Frühwarnsystemen: «Wir brauchen diese Frühwarnsysteme gerade für Erkrankte.» Kranke oder ältere Menschen seien besonders gefährdet, so Traidl-Hoffmann. Aber auch Kinder wegen einer bei ihnen noch reduzierten Fähigkeit zur Temperatur-Regulierung. Ein besonders hohes Hitzerisiko trügen Lungenerkrankte und Menschen, die gerade eine Covid-19-Infektion hinter sich hätten, berichtete die Medizinerin.
Immer wieder landeten aber auch ursprünglich Gesunde Menschen mit Hitzschlag in der Notfallaufnahme – teils in lebensbedrohlichem Zustand. Gefährdet sei das Herz-Kreislauf-System. Im Körper gebe es zudem bestimmte Kipppunkte, ab denen Hitzeschäden nicht mehr reversibel seien, so Traidl-Hoffmann. «Wenn die Kipppunkte überschritten sind, kann man das nicht mehr rückgängig machen.»
Einer Anfang des Monats veröffentlichten Studie des Robert-Koch-Instituts, des Umweltbundesamts und des Deutschen Wetterdiensts zufolge gab es 2018 geschätzt rund 8700 hitzebedingten Sterbefällen in Deutschland. 2019 waren es demnach rund 6900, 2020 rund 3700 solcher Sterbefälle.
Für den Fall möglicher Spitzenwerte auf dem Thermometer fordert der Vorsitzende der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit, Martin Herrmann, schnelles Handeln. So könnten in Kommunen Räume bereit gehalten werden, in denen man sich kühlen könne, zum Beispiel Kirchen. Denn Wohnungen könnten «zur tödlichen Falle» werden. «Das alles kann man jetzt noch machen, wenn in drei, vier Tagen eine größere Hitzewelle kommt.»
Die Präsidentin der Niedersächsischen Ärztekammer, Martina Wenker, sagte der «Hannoverschen Allgemeinen Zeitung», besonders Städte seien von Hitze betroffen. Dort müsse es kühle Räume geben. Kommunen sollten zudem Pläne für die Versorgung besonders Betroffener entwickeln.
Wichtig sei es, dass gefährdete Menschen schnell von Hitzewarnungen erreicht würden, forderte der Leiter des Zentrums für Medizin-Meteorologische Forschung des Deutschen Wetterdiensts, Andreas Matzarakis. «Mein Wunsch wäre, dass es eine Hitzewarnung im Laufband im Fernsehen gibt.» Der Wetterdienst habe mit seiner WarnWetter-App und seiner GesundheitsWetter-App seine Möglichkeiten ausgeschöpft.
Lauterbachs Ministerium weist auf Anstrengungen hin, die die Politik insgesamt gegen negative Klimawandel- und Hitzefolgen unternehme: «Anpassung an Hitze betrifft zahlreiche Ressorts.» Nach Darstellung des Gesundheitsministeriums laufen bereits viele Anstrengungen gegen Hitzefolgen. Gefragt seien auch die Länder und Kommunen sowie die Träger von Einrichtungen. Eine Bund/Länder-Arbeitsgruppe habe schon 2017 Handlungsempfehlungen für örtliche Hitzeaktionsplänen erarbeitet.