Wie genau merkt sich der Körper eine Corona-Infektion? |
Theo Dingermann |
18.11.2020 18:00 Uhr |
Plasmazellen (B-Zellen, orange) differenzieren sich aus Gedächtniszellen des Immunsystems, wenn diese auf ein bekanntes Antigen treffen. Sie bilden Antikörper (weiß) gegen ein Virus (blau), mit dem der Körper bereits Kontakt hatte. Die freigesetzten Antikörper binden an spezifische Antigene, beispielsweise virale Proteine, und markieren diese zur Zerstörung durch Phagozyten. / Foto: Getty Images/Juan Gärtner/Science Photo Library
Hartnäckig hält sich die Einschätzung, dass relativ schnell nach einer Genesung von Covid-19 das Immunsystem die spezifischen Antikörper gegen das Virus verliert. Dass dies nicht unbedingt relevant zu sein scheint, beschreiben Wissenschaftler aus La Jolla, San Diego und New York in einer neuen Arbeit, die jetzt auf dem »BioRxiv«-Preprint-Server zugänglich ist.
Dazu untersuchten Dr. Jennifer M. Dan und Kollegen die Immunkomponenten von 185 Covid-19-Rekonvaleszenten, darunter auch 41 Fälle, bei denen die Patienten bereits vor mehr als sechs Monaten genesen waren. Tatsächlich erwies sich bei diesen Kasuistiken die spezifische IgG-Fraktion gegen das Spike-Protein von SARS-CoV-2 über mehr als sechs Monate relativ stabil. Spike-spezifische B-Zellen des Immungedächtnisses waren nach sechs Monaten häufiger vorhanden als nach einem Monat. SARS-CoV-2-spezifische CD4+- und CD8+-T-Zellen nahmen mit einer Halbwertszeit von drei bis fünf Monaten ab.
Durch die integrierte Untersuchung von Antikörpern, Gedächtnis-B-Zellen, CD4+- und CD8+-T-Zellen des Immungedächtnisses gegen SARS-CoV-2 konnten die Wissenschaftler für jede Komponente eine ganz eigene Kinetik beschreiben. Dies sind dringend benötigte Informationen, denn Kenntnisse zur Kinetik, zur Dauer und zur Evolution des immunologischen Gedächtnisses einer spezifischen Immunantwort nach einer Infektion oder Immunisierung sind essenziell, um Langzeiteffekte vorhersagen zu können.
Die Forscher konnten zeigen, dass sich bei der überwiegenden Mehrheit der mit SARS-CoV-2 infizierten Personen (91 bis 96 Prozent) neutralisierende Antikörper zumindest für eine Dauer von Monaten nachweisen ließen. Besonders stabil zeigten sich Antikörper gegen das Spike-Protein beziehungsweise gegen die Rezeptor-Bindedomäne dieses Proteins, von denen man weiß, dass sie in der Lage sind, die Funktion des Virus zu neutralisieren.
Allerdings scheint das Ausmaß der Antikörperreaktion gegen SARS-CoV-2 zwischen Individuen sehr heterogen zu sein. Bei den Antikörpern überspannten die Antworten in den Untersuchungen einen Bereich ungefähr um das 200-fache. Das legt nahe, dass langfristig Längsschnittstudien erforderlich sein werden, um die Antikörperkinetik gegen SARS-CoV-2 genau zu definieren.
Die Halbwertszeiten der Gedächtnis-T-Zellen, die bei Patienten nachgewiesen wurden, die bereits vor mehr als sechs Monaten genesen waren (166 bis 271 Tage für CD8+- und 96 bis 174 Tage für CD4+-T-Zellen), lagen bei rund 123 Tagen. Derartige Charakteristika findet man auch für CD8+-T-Zellen nach einer Gelbfieberimpfung. Diese und andere Daten deuten darauf hin, dass das T-Zell-Gedächtnis ein deutlich stabileres Plateau erreicht als bisher vermutet und nur sehr langsam abnimmt.
»Ein so nachhaltiges Immungedächtnis sollte verhindern, dass die überwiegende Mehrheit der Menschen für viele Jahre schwer an Covid-19 erkrankt«, sagt Professor Dr. Shane Crotty, Virologe am La Jolla Institute of Immunology in einem Beitrag der »New York Times«.
Zudem ergänzen die hier vorgestellten Ergebnisse sehr ähnlich Befunde aus anderen Laboratorien. Unter anderem berichtete erst vor Kurzem eine Gruppe aus Freiburg, dass Menschen, die von Covid-19 genesen waren, über schützende Killer-Zellen verfügen, selbst dann, wenn keine Antikörper mehr nachweisbar waren.
Dass Antikörpertiter nach einer Impfung abnehmen, ist keineswegs die Ausnahme. Das Gegenteil ist der Fall. Der Schutz einer Impfung beruht auf dem Immungedächtnis und nicht auf der Verfügbarkeit aktuell zirkulierender Antikörper. Werden tatsächlich einmal hohe Antikörpertiter benötigt, muss die Bildung durch eine weitere Impfung induziert werden. Dies macht man sich derzeit zunutze bei der Keuchhusten-Impfung von Schwangeren im dritten (oder bei drohender Frühgeburt im zweiten) Trimenon. Diese Impfung soll neuerdings laut STIKO unabhängig vom Abstand zu vorher verabreichten Pertussis-Impfungen und in jeder Schwangerschaft erfolgen. Ziel der Pertussis-Impfung in der Schwangerschaft ist die Reduzierung von Erkrankungen, Hospitalisierungen und Todesfällen durch Infektionen mit Bordetella pertussis bei Neugeborenen und jungen Säuglingen.
Die STIKO begründet ihre Empfehlung damit, dass in verschiedenen Studien gezeigt wurde, dass bei der Mehrzahl schwangerer Frauen in westlichen Ländern die Pertussis-spezifischen Antikörperkonzentrationen sehr niedrig sind, sodass ein Nestschutz ihrer Neugeborenen vor Pertussis durch diaplazentare Antikörperübertragung in den ersten Lebensmonaten sehr unwahrscheinlich ist. Eine Impfung während der Schwangerschaft führt dagegen zu hohen Antikörperkonzentrationen bei der werdenden Mutter und dem Neugeborenen.
Dieses Beispiel zeigt eindrucksvoll, wie wenig aussagekräftig Messungen von Antikörpertitern sind. Bei Vorliegen eines guten Immungedächtnisses lassen sich spezifische Antikörper sehr schnell und sehr effektiv induzieren, wenn dem trainierten Immunsystem ein relevantes Antigen erneut präsentiert wird. Unter diesem Aspekt sind auch die Antikörpertests zum Nachweis einer Immunität gegen SARS-CoV-2 kritisch zu betrachten.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.