Wie behandelt man Hirnvenenthrombosen am besten? |
Theo Dingermann |
03.05.2021 17:08 Uhr |
In sehr seltenen Fällen kann eine Covid-19-impfung mit dem Impfstoff Vaxzevria Blutgerinnsel an ungewöhnlichen Orten hervorrufen. Der Pathomechanismus ist noch nicht vollständig verstanden. / Foto: Getty Images/Science Photo Library
Seit Mitte März 2021 werden aus Deutschland und anderen Ländern insgesamt sehr selten, aber immer wieder Fälle ungewöhnlicher Hirnvenenthrombosen nach einer Impfung mit dem Covid-19-Impfstoff von Astra-Zeneca (Vaxzevria®) gemeldet. Erstaunlich schnell fanden Forscher aus Greifswald eine mögliche Ursache für die lebensbedrohliche Komplikation. Offensichtlich ähneln die Mechanismen, die zu Hirnvenenthrombosen führen, den Mechanismen, die einer Heparin-induzierten Thrombozytopenie (HIT) zugrunde liegen. In Anlehnung an dieses Krankheitsbild wird die Impfnebenwirkung auch Vakzin-induzierte immunthrombotische Thrombozytopenie (VITT) genannt.
Ein Team um Professor Dr. Andreas Tiede von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) veröffentlichte jetzt im Fachjournal »Blood« seine detaillierten Erfahrungen in Diagnostik, Krankheitsverlauf und Therapie der gefährlichen Komplikation. Hierzu werteten sie fünf Fälle von VITT nach Exposition mit dem ChAdOx1-Impfstoff von Astra-Zeneca (AZD1222, Vaxzevria®) aus. Die Patientinnen kamen fünf bis elf Tage nach der ersten Impfung in die Klinik der Medizinische Hochschule Hannover. Das Spektrum der klinischen Manifestationen umfasste zerebrale Sinusthrombosen (CVST), splanchnische Venenthrombosen (SVT), arterielle zerebrale Thromboembolien und thrombotische Mikroangiopathien (TMA). Alle Patienten hatten eine Thrombozytopenie und deutlich erhöhte D-Dimer-Werte.
Autoantikörper gegen den Plättchenfaktor 4 (PF4) wurden bei allen Patientinnen nachgewiesen, obwohl sie nie mit Heparin in Kontakt gekommen waren. Zudem band Immunglobulin aus Seren der Patientinnen in Anwesenheit von Vaxzevria an Thrombozyten von gesunden Spendern. Diese Bindung ließ sich durch Heparin unterdrücken.
Alle Patientinnen wurden antikoaguliert, wobei eine mit unfraktioniertem Heparin und alle anderen mit Argatroban, einem direkten Thrombin-Inhibitor, behandelt wurden. Die Antikoagulation allein oder in Kombination mit Eculizumab, einem monoklonalen Antikörper, der zur Therapie einer paroxysmalen nächtlichen Hämoglobinurie eingesetzt wird, oder mit einer intravenösen Applikation von Immunglobulin (IVIG) löste die Pathologie bei drei Patientinnen auf. Zum Teil war auch eine Behandlung mit Cortison und weiteren Medikamenten erforderlich.
Zwei Patientinnen hatten trotz Antikoagulation und IVIG weitere thromboembolische Ereignisse zu einem Zeitpunkt, als die Thrombozytenzahl nach IVIG wieder anstieg. Dies könne darauf hinweisen, dass die Thrombozyten-Aktivierung über den Fc-gamma-Rezeptor 2A nicht der einzige prothrombotische Mechanismus in diesem Syndrom ist.
Die Heparin-Gabe sei bei der klassischen HIT streng zu meiden, bei der mit Heparin-behandelten VITT-Patientinnen habe sie aber keine negativen Auswirkungen gehabt, schreiben die Autoren. Argatroban sei aber eine sichere und effektive Alternative.
Letztlich war die Therapie bei allen Patientinnen erfolgreich. Drei von ihnen konnten inzwischen die Klinik wieder verlassen. »Für die Patientinnen war es lebensrettend, dass wir einerseits genug hochspezialisierte Intensivbetten vorhalten und andererseits eine Klinik der Maximalversorgung sind, an der Spezialisten verschiedenster Fachdisziplinen 24 Stunden am Tag sieben Tage in der Woche zusammenarbeiten«, betont MHH-Präsident Professor Dr. Michael Manns in einer Pressemitteilung der Hochschule. Nur die fachübergreifende Zusammenarbeit von Kolleginnen und Kollegen verschiedener medizinischer Abteilungen habe es ermöglicht, innerhalb weniger Tage eine neuartige Erkrankung zu erfassen und effektiv zu behandeln.
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